Cameron-Nachfolge Großbritanniens langer Weg zum neuen Premier

Fünf Politiker wollen den britischen Premierminister Cameron beerben, obwohl ein schwieriger Job auf sie zukommt. Am Dienstag beginnt ein aufwendiges monatelanges Ausleseverfahren. Als Favoriten gelten zwei Frauen.

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Leadsom ist erst seit sechs Jahren Abgeordnete, an Selbstbewusstsein mangelt es ihr dennoch nicht. „Ich bin besser vorbereitet für die bevorstehenden Brexit-Verhandlungen“, erklärte sie jüngst, „als irgendjemand anderes.“ Quelle: AP

London Der Vorschlag war ganz schnell vom Tisch. Einige konservative Parlamentarier haben vor wenigen Tagen ein Schnellverfahren in die Diskussion gebracht, um Innenministerin Theresa May innerhalb von wenigen Wochen zur neuen Premierministerin Großbritanniens zu küren und Großbritannien nach dem Brexit-Schock wieder handlungsfähig zu machen.

Man könne May ganz ohne die langwierige Abstimmung unter den Parteimitgliedern zur Nachfolgerin von Noch-Premier David Cameron machen, wenn ihre Konkurrenten um diesen Posten damit einverstanden wären, darunter auch Justizminister Michael Gove, hieß es.

Doch daraus ist nichts geworden. Gove war einer derjenigen, die sich gegen diesen Vorschlag sperrten. May habe nicht die „moralische Autorität“ und auch nicht das Mandat, um Großbritannien aus der EU zu führen, wie es die Wähler wollten, denn sie habe offiziell den Status quo unterstützt, so Gove.

Daher geht an diesem Dienstag das aufwendigere Verfahren um die Cameron-Nachfolge los, das wohl erst Anfang September enden wird. In einer ersten Runde verkleinern die konservativen Abgeordneten die Zahl der Kandidaten. Aus fünf sollen zwei werden. Derzeit ist noch unklar, wie viele Wahlgänge dafür notwendig sind.

Neben May und Gove haben die Tory-Abgeordnete und Brexit-Befürworterin Andrea Leadsom, Arbeitsminister Stephen Crabb und der ehemalige Verteidigungsminister Liam Fox ihren Hut in den Ring geworfen. Wenn die Tory-Parlamentarier die Kandidatenliste auf zwei reduziert haben, entscheiden die 150.000 Parteimitglieder in einer Art Urabstimmung über den neuen Parteichef und Premier, der am 9. September feststehen soll.

Medienberichten zufolge haben derzeit May und Leadsom die besten Chancen, in die finale Runde zu kommen. Erstmals seit Margaret Thatcher könnte damit eine Premierministerin in No. 10 Downing Street einziehen. Dazu soll auch der ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson beigetragen haben, der die Kandidatur von Leadsom unterstützt.


Ein gespaltenes Land, eine zerstrittene Partei

Johnson wollte eigentlich selbst um das höchste Regierungsamt kandidieren. Doch Justizminister Gove, mit dem er eigentlich gemeinsam für den Brexit kämpfte, bremste ihn am Ende aus. Johnson habe nicht die jetzt notwendigen Führungsqualitäten, erklärte Gove und brachte sich stattdessen selbst ins Rennen um die Cameron-Nachfolge. Angesichts dieses Manövers wenden sich allerdings einige Tory-Abgeordnete von Gove ab und schwenken Medienberichten zufolge zu Andrea Leadsom über.

Auf die voraussichtliche Nachfolgerin von David Cameron kommt eine äußerst schwierige Aufgabe zu. Wer auch immer ihn beerbt, muss das gespaltene Land und die zerstrittene Partei versuchen zu einen und gleichzeitig durch die Austrittsverhandlungen mit der EU führen.

Die 59-jährige May gilt als gute Kandidatin dafür, weil sie sich vor dem Referendum zwar offiziell für den Verbleib in der EU ausgesprochen hat, aber nicht besonders lautstark. Sie könne daher die Brexit-Gegner und -Befürworter versöhnen. Nach der Abstimmung erklärte sie, ein Brexit sei ein Brexit und müsse nun auch durchgezogen werden.

May sitzt seit Anfang der Neunziger Jahre im britischen Unterhaus, seit 2010 ist sie Innenministerin. Auf einen festen Zeitpunkt für den Abschied aus der Staatengemeinschaft will May sich allerdings nicht festlegen – im Gegensatz zu ihrer Konkurrentin Andrea Leadsom: Sie will den offiziellen Antrag auf EU-Austritt nach Artikel 50 des Vertrags von Lissabon bereits im Herbst stellen und die Gespräche mit den EU-Partnern dann „so schnell wie möglich“ führen.

Leadsom hatte sich vor drei Jahren noch gegen einen Austritt ausgesprochen. Der wäre ein Desaster für die britische Wirtschaft, hatte sie damals gesagt. Sie wechselte allerdings danach ins Brexit-Lager und wurde zu einer der lautstärksten Kämpferinnen gegen den Status quo. In einem Fernsehinterview sagte sie am Sonntag: Die Person, die das Land künftig führe, müsse an die Möglichkeiten glauben, die ein EU-Austritt Großbritannien biete.

Leadsom ist erst seit sechs Jahren Abgeordnete und hat bei weitem nicht so viel politische Erfahrung vorzuweisen wie May. An Selbstbewusstsein mangelt es Leadsom dennoch nicht. „Ich bin besser vorbereitet für die bevorstehenden Verhandlungen“, erklärte sie jüngst, „als irgendjemand anderes.“

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