




Die erste Ausgabe des Satireblattes "Charlie Hebdo" nach dem islamistischen Anschlag auf die Redaktion ist den Zeitungsverkäufern in Frankreich förmlich aus den Händen gerissen worden. Binnen Minuten war das Blatt vielerorts am Mittwochmorgen vergriffen. Im ganzen Land bildeten Leser Schlangen vor den Kiosken, um das Heft mit einer Mohammed-Karikatur auf der Titelseite zu kaufen. Während sich der Al-Kaida-Ableger im Jemen zu den Anschlägen in Paris bekannte, drohte der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif mit Konsequenzen, sollten die "Heiligkeiten" verachtet werden.
"Ich habe es nie zuvor gekauft, es entspricht auch nicht ganz meiner politischen Linie, aber es ist wichtig für mich, das Blatt heute zu kaufen und damit die Meinungsfreiheit zu unterstützen", sagte David Sullo, der mit vielen anderen Käufern vor einem Pariser Kiosk anstand. Ähnlich äußerten sich landesweit Leser, die die erste "Ausgabe der Überlebenden" kaufen wollten.
Vor einer Woche waren zwei Islamisten in die Redaktionsräume von "Charlie Hebdo" in Paris gestürmt und hatten zwölf Menschen erschossen, die meisten von ihnen Redakteure. Die Zeitung ist schon länger wegen ihrer religionskritischen Haltung und der Mohammed-Karikaturen bekannt. Bei weiteren Attentaten in der vergangenen Woche wurden eine Polizistin und vier Juden von einem Islamisten getötet.
Die wichtigsten Fakten zu "Charlie Hebdo"
Die französische Satire-Zeitung im Zentrum des Terroranschlags von Paris arbeitet mit Provokationen: „Charlie Hebdo“ macht sich über Päpste und Präsidenten lustig - und auch über den Propheten Mohammed. Die Wochenzeitung, die am Mittwoch einem Angriff mit mindestens zwölf Toten zum Opfer fiel, rief mit Karikaturen des hoch verehrten Propheten in der islamischen Welt immer wieder Empörung hervor.
Im November 2011 waren die Büros der Zeitung Ziel eines Brandbombenangriffs, nachdem sie eine Ausgabe publiziert hatte, in der Mohammed „eingeladen“ wurde, ihr Gastredakteur zu werden. Auf der Titelseite: eine Karikatur des Propheten.
Ein Jahr später veröffentlichte die Zeitung inmitten der Aufregung über einen islamfeindlichen Film weitere Mohammed-Zeichnungen. Die Karikaturen stellten Mohammed nackt und in erniedrigenden oder pornografischen Posen dar. Während die Emotionen hochkochten, nahm die französische Regierung die Redefreiheit in Schutz. Gleichzeitig warf sie „Charlie Hebdo“ vor, Spannungen zu schüren.
Die Zeitung mit niedriger Auflage tendiert politisch betrachtet zum linken Spektrum. Sie ist stolz, mit Karikaturen und parodierenden Berichten Kommentare zum Weltgeschehen abzugeben. „Wir gehen mit den Nachrichten wie Journalisten um“, sagte ein Karikaturist mit Namen Luz 2012 der Nachrichtenagentur AP. „Einige nutzen Kameras, einige nutzen Computer. Für uns ist es ein Papier und Bleistift“, sagte er. „Ein Bleistift ist keine Waffe. Er ist einfach ein Äußerungsmittel“, meinte er.
Chefredakteur Stéphane Charbonnier, der bei dem Anschlag am Mittwoch getötet wurde, hatte die Mohammed-Karikaturen ebenfalls verteidigt. „Mohammed ist mir nicht heilig“, sagte er 2012. „Ich mache Muslimen keine Vorwürfe dafür, dass sie nicht über unsere Zeichnungen lachen. Ich lebe unter französischem Gesetz“, ergänzte er. „Ich lebe nicht unter Koran-Gesetz.“
Eine von Charbonniers letzten Karikaturen, die in der dieswöchigen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ veröffentlicht wurde, scheint in Anbetracht der Ereignisse wie eine unheimliche Vorahnung. „Noch immer keine Anschläge in Frankreich“, sagte ein Extremisten-Kämpfer darin. „Warte - wir haben bis Ende Januar, um unsere Neujahrswünsche vorzubringen.“
Al-Kaida im Jemen bekannte sich zu dem Anschlag auf "Charlie Hebdo". In einem Video erklärte die Gruppe, dies sei die Vergeltung für eine Beleidigung des Propheten Mohammed. Der iranische Außenminister Sarif forderte mit Blick auf die Karikaturen, "Heiligkeiten" müssten respektiert werden. "Wenn wir nicht lernen, einander zu achten, wird es sehr schwer in einer Welt unterschiedlicher Meinungen und unterschiedlicher Kulturen und Zivilisationen", sagte er in Genf vor weiteren Verhandlungen über das Atomprogramm seines Landes. Noch weiter ging der iranische Großajatollah Nasser Makarem Schirasi, der die neuen Karikaturen als "Kriegserklärung gegen alle Muslime" wertete.
Kritik kam auch aus dem Nahen und Mittleren Osten. So warf der einflussreiche Großmufti von Ägypten den "Charlie Hebdo"-Redakteuren Rassismus vor, weil Mohammed nach seiner Ansicht nicht bildlich gezeigt werden darf. Der Großmufti von Jerusalem und den palästinensischen Gebieten, Mohammed Hussein, erklärte, damit würden Hass und Ressentiments geschürt.
Muslimische Geistliche aus Frankreich hatten ihre Gemeinden aufgefordert, Ruhe zu bewahren und die Meinungsfreiheit zu achten. Auch in Deutschland betonte der Zentralrat der Muslime, man müsse dies im Sinne der Meinungsfreiheit hinnehmen, auch wenn sich viele Muslime durch die Mohammed-Darstellung gekränkt fühlten. Die Sicherheitslage in Deutschland hat sich nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden durch den Verkauf der neuen Ausgabe nicht verändert. Es bleibe aber dabei, dass die Gefährdung hoch sei, hieß es in Sicherheitskreisen.
Auf der neuen Ausgabe der Zeitung ist eine Darstellung Mohammeds zu sehen, der ein Schild mit dem weit verbreiteten Solidaritätsaufruf "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie) in der Hand hält. Über dem Mohammed-Bild steht: "Tout est pardonné" ("Alles ist vergeben").
Im Rest des Blattes ist drastischer Spott zu sehen, für den die Redaktion bekannt ist. So sagen Dschihadisten in einer Karikatur: "Wir sollten die Charlie-Leute in Ruhe lassen. Sonst werden die noch für Märtyrer gehalten und wenn die in den Himmel kommen, werden diese Bastarde uns die Jungfrauen wegnehmen."
Die erste Ausgabe seit dem Attentat wird in einer Auflage von drei Millionen Exemplaren gedruckt. Normalerweise hat die Zeitung eine Auflage von 60.000 Exemplaren. Vorgesehen sind auch digitale Ausgaben auf Englisch, Spanisch und Arabisch. Zudem soll es gedruckte Versionen auf Italienisch und Türkisch geben. In Deutschland ist das Blatt ab Samstag im Verkauf. Es seien unter 10.000 Exemplare zugesagt, sagte eine Sprecherin der Vertriebsgesellschaft Saarbach. "Viel zu wenig."