Charmeoffensive in Berlin Besser Kurz als nie

Österreichs Bundeskanzler will in Berlin die Bedenken am Kurs seiner Regierung ausräumen. Sebastian Kurz hatte als Außenminister Angela Merkel immer wieder attackiert – jetzt versucht er es mit einer Charmeoffensive.

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Sebastian Kurz bei Angela Merkel: Charmeoffensive in Berlin Quelle: dpa

Wien Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hat Angela Merkel lange warten lassen. Erst rund einen Monat nach seinem Amtsantritt trifft Europas jüngster Regierungschef am heutigen Mittwoch seine deutsche Amtskollegin zum ersten Vier-Augen-Gespräch. Zuvor hatte Kurz bereits seine Antrittsbesuche in Brüssel und am vergangenen Freitag in Paris absolviert.

Bislang waren die Kontakte zwischen Kurz und Merkel quasi auf die minimale Routine geschränkt. Die Kanzlerin gratulierte dem damaligen Außenminister nach seinem Wahlsieg im Oktober und nach seiner Vereidigung im Dezember telefonisch. Darüber hinaus sind sich beide Regierungschefs zweimal im Rahmen des Treffens der Europäischen Volkspartei (EVP) in Brüssel zwangsläufig begegnet. Mehr nicht.

Mit einer Charmeoffensive in Berlin will der ÖVP-Chef die Bedenken am proeuropäischen Kurs seiner rechtskonservativen Regierung ausräumen. „Wir sind ein klar proeuropäisches Land, und ich bin ein überzeugter Pro-Europäer“, sagte Kurz der französischen Zeitung „Le Figaro“ am Freitag. „Deutschland ist nicht nur ein sehr wichtiger Nachbar, Freund und Partner, sondern auch unser wichtigster Handelspartner“, betonte der österreichische Kanzler vor seiner Abreise.

Kurz wird bis Donnerstag versuchen, die Skepsis gegen seine konservativ-rechtspopulistische Regierung mit viel Lächeln und wohlfeilen Worten zu beenden. „Uns geht es um die gutnachbarschaftlichen Beziehungen“, hieß es im österreichischen Kanzleramt ganz diplomatisch. Denn der Kanzler braucht Angela Merkel, wenn die EU-Ratspräsidentschaft der Österreicher im zweiten Halbjahr ein Erfolg werden soll.

Wie groß die Unterstützung aus Berlin für Kurz ausfallen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Große Koalition aus Union und SPD tatsächlich bis zum Frühjahr zustande kommt. Gerade in den Reihen der Sozialdemokraten, allen voran SPD-Chef Martin Schulz, ist die Zahl der Kritiker besonders groß. Ähnlich wie bereits am vergangenen Freitag bei seiner Stippvisite beim französischen Präsidenten Emanuel Macron wird Kurz gebetsmühlenartig die europäische Ausrichtung der neuen Bundesregierung in Wien betonen.

Kurz vertritt als Chef einer rechtskonservativen Regierung aus ÖVP und FPÖ unter dem Deckmantel der „Subsidiarität“ eine andere Europapolitik als seine deutsche Amtskollegin. Kurz will so wenig Europa wie nur möglich und so viel Nationalstaat wie möglich.

Im Gegensatz zu den exzellenten Wirtschaftsbeziehungen läuft es im politischen Verhältnis längst nicht mehr so rund wie früher. Noch als Außenminister hatte der 31-Jährige Merkel wegen ihrer Migrationspolitik immer wieder attackiert. Die Schließung der Balkanroute auf Initiative Österreichs sorgte für Irritationen mit Deutschland.

Bei der Konstruktion von Europa und dem eigenen Land als Wagenburg gegen Migranten steht Kurz unter dem Druck seines rechtspopulistischen Koalitionspartners FPÖ. Denn die frühere Haider-Partei, die im Europaparlament mit dem rechtsextremistischen Front National eine Fraktion bildet, verlangte vor nicht allzu langer Zeit noch eine Volksabstimmung über die Mitgliedschaft Österreichs in der EU.


Ein paar Übereinstimmungen – und die Flüchtlingsfrage

Heute fährt sie offiziell nur noch einen europakritischen Kurs. „Der einzige Unterschied zu Figuren wie Orbán und Trump ist, dass die hiesigen bei Verkündigung von Grauslichkeiten ständig lächeln. Österreich ist im Land des Lächelns angelangt“, definierte der österreichische Schriftsteller Peter Turrini vor wenigen Tagen im österreichischen Magazin „News“ den neuen Stil von Kurz und seiner Regierungsmannschaft.

Berlin ist an einem guten und vertrauensvollen Verhältnis mit Wien gelegen. „Es steht fest, dass Österreich und Deutschland Partner, Freunde und Nachbarn auf ganz besonders hohem Niveau sind“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert bereits vor Tagen. Im Mittelpunkt des europapolitischen Konzeptes von Kurz stehen die Themen Sicherheit mit Grenzschutz und Migrationspolitik, Subsidiarität in Europa und Digitalisierung. Darüber will er mit Merkel sprechen, heißt es in österreichischen Regierungskreisen. Bei einigen Themen gibt es auch Übereinstimmungen bei Interessen. Beide Regierungen wollen beispielsweise die amerikanischen Internetkonzerne besteuern und die digitale Wirtschaft mit einer Reihe von Maßnahmen fördern.

Deutschland und Österreich, beide Länder im Herzen Europas, brauchen einander. Merkel hat insbesondere kein Interesse, Kurz in die Arme ihres europapolitischen Gegners Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn, zu treiben. Kurz und Orbán liegen insbesondere im Umgang mit Migranten und dem Grenzschutz oft auf gleicher oder ähnlicher Linie. Auch andere osteuropäische Staaten wie Polen, Tschechien und die Slowakei sind nahe an den österreichischen Positionen in der Flüchtlingspolitik.

Kurz hat den von der EU beschlossenen Plan für die faire Verteilung der Flüchtlinge als „Irrweg“ bezeichnet. Nach seiner Meinung sollte jedes Land selbst entscheiden, ob es Migranten aufnehme wolle, sagte er im Dezember der „Bild am Sonntag“. Er fordert eine Korrektur der „Fehlentwicklungen“ in der Flüchtlinge- und Migrationspolitik der EU und hat mit dieser Position auch viele Freunde in Deutschland wie beispielsweise in der CSU gefunden.

In Berlin wird Kurz viele Bühnen haben, um seine Positionen zu erklären. Zunächst wird er Mittwochmittag Angela Merkel zum Vier-Augen-Gespräch treffen. Danach gibt es eine gemeinsame Pressekonferenz. Anschließend stattet er Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) einen Besuch ab. Später geht es ins Fernsehstudio nach Berlin-Adlershof, um die ARD-Talksendung Sandra Maischberger aufzuzeichnen. Dort wird der frühere Jura-Student sich nach einem Dialog mit Maischberger auch einen Schlagabtausch mit dem Grünen-Politiker Jürgen Trittin liefern.

Abends lädt dann der Medienkonzern Axel Springer („Bild“, „Welt“) mit Vorstandschef Mathias Döpfner zum Dinner ins konzerneigene Hochhaus ein. Unter den Gästen sind nach Angaben des österreichischen Kanzleramtes unter anderem Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann, Haribo-Eigentümer Hans-Guido Riegel, RB Leipzig-Trainer Ralph Hasenhüttl und Vodafone-Deutschland-CEO Hannes Ametsreiter. Am Donnerstag schließlich trifft Kurz nach einem Besuch des ZDF-Morgenmagazins Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue, bevor es zurück nach Wien geht.

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