China Arbeitsmarkt im Umbruch

Chinas Wachstum kühlt sich langsam ab. Um wirtschaftlich weiterhin erfolgreich zu sein, braucht das Land innenpolitische Reformen: besonders die Lage auf dem Arbeitsmarkt muss sich verbessern.

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Wanderarbeiter auf einer Baustelle in Peking Quelle: dpa

China ist momentan vor allem mit Handelskonflikten und Politskandalen in den Schlagzeilen: Inselstreit mit Japan, Klagen des Westens gegen Chinas Handelspolitik, Politskandale um hochrangige Parteimitglieder. Viele Experten deuten diese Scharmützel als Manöver, um von den Richtungsstreitigkeiten am Vorabend des Führungswechsels in der kommunistischen Partei abzulenken. Denn die innenpolitisches und wirtschaftlichen Probleme Chinas sind zahlreich, die Lösungsstrategien konträr. Klaus Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), bezeichnet die Arbeitsmarktpolitik als wichtigste Stellschraube für eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft des Landes: „Es ist entscheidend für China wie sich der Arbeitsmarkt entwickeln wird, er steht im Zentrum des gesellschaftlichen Wandlungsprozesses. Der Arbeitsmarkt hat in den letzten Jahren bereits einschneidende Veränderungen erlebt – weitere Reformen können aber nicht länger aufgeschoben werden.“

 

Von geplanter Beschäftigung zu kapitalistischer Konkurrenz

Chinas Arbeitsmarkt hat seit der Öffnung in den 80er Jahren einen rasanten Wandel hingelegt: Vor Deng Xiaopings Reformen existierte praktisch kein Arbeitsmarkt. Arbeitskräfte wurden nicht nach ihren individuellen Fähigkeiten rekrutiert, sondern nach der politischen Klasse der Familie. Der Lohn richtete sich nach einem Punktesystem: je nach Studienfach oder Ausbildungsrichtung gab es eine festgelegte Anzahl an Punkten. Diese stieg mit dem Lebensalter, nicht aber durch besondere Leistungen. Die Arbeitskräfte waren durch das Haushaltsregistrierungssystem (Hukou) an ihren offiziellen Wohnsitz gebunden, nur dort erhielten sie eine Beschäftigung.

 

Diese starre Arbeitsmarktpolitik löste sich in den letzten dreißig Jahren auf: Das Hukou-System ist zwar noch nicht ganz abgeschafft, aber inzwischen so sehr liberalisiert, dass es starke Wanderungsbewegungen auf dem chinesischen Arbeitsmarkt zulässt. Die Arbeitsplatzzuteilung und die Einkommensregulierung sind vollständig gefallen: Arbeitgeber stehen nun im Wettbewerb um die hellsten Köpfe, Arbeitnehmer konkurrieren um die bestbezahlten Arbeitsplätze.

 

Mindestlohn gegen soziale Schere

Der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt führte aber auch dazu, dass die soziale Schere inzwischen weit auseinanderklafft: 250 Dollarmilliardäre und über 1 Million Dollarmillionäre stehen rund 150 Millionen Menschen gegenüber, die ihr Dasein noch immer in Armut fristen. Klaus Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), sagt: „Das chinesische Wachstum ist so rabiat vorangeschritten, dass China geplant das kapitalistischste Land der Welt wurde, mit einer der größten Einkommensungleichheiten.“ Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung des Einkommens misst (0 bedeutet absolute Gleichverteilung, 100 maximale Ungleichheit, ab einem Wert von 40 drohen soziale Unruhen), lag im China der 1990er Jahre noch bei rund 32, stieg bis 2007 auf 41,5, um zwei Jahre später einen Spitzenwert von 48 zu erreichen.

 

Da diese Entwicklung soziale Sprengkraft birgt, versucht die Politik aktiv dagegenzuwirken: Sie legte im nationalen Beschäftigungsplan fest, dass die Mindestlöhne bis 2015 jährlich im Schnitt um 13 Prozent steigen sollen. Die Quote wurde 2011 sogar übertroffen, die Löhne stiegen insgesamt um 22 Prozent. Doch die Kehrseite der positiven Lohnentwicklung ist die Inflation: sie lag letztes Jahr bei 5,8 Prozent, dieses Jahr bisher nur bei 3,3 Prozent. Besonders die gestiegenen Lebenshaltungskosten in den Städten fressen den Chinesen ihr Einkommen weg. Die Immobilienpreise verdreifachten sich in den letzten Jahren in Städten wie Peking, Hongkong oder Shenzhen, die Lebensmittelpreise stiegen 2011 offiziell um 12 Prozent. Die Höhe der Lebenshaltungskosten in Shanghai schoss im letzten Jahr an Metropolen wie New York oder Los Angeles vorbei. Weltweit liegt Shanghai inzwischen auf Rang zwölf der teuersten Städte.

 

Gewerkschaften auf dem Vormarsch

Den Mindestlohn erhöht die chinesische Führung zwar zentralistisch, trotzdem verlangen chinesische Arbeitnehmer nach mehr Rechten, um bei Lohnverhandlungen und Arbeitsbedingungen ein Wörtchen mitreden zu können. Rund 30.000 Streiks jährlich halten Arbeiter in China trotz offiziellem Verbot ab. Die chinesische Führung gerät unter Zugzwang: „Bisher kontrollierte die Partei die Gewerkschaften, der Gewerkschaftsführer unterstützte das Unternehmen, “ sagt Zimmermann, „Langsam lässt die chinesische Führung es aber zu, dass sich Gewerkschaften zur eigentlichen Arbeitnehmervertretungen wandeln. Immer aber mit der Vorsicht, dass sie nicht zu radikal werden, keine Lohnexplosionen provozieren oder sich als Feind der wirtschaftlichen Entwicklung etablieren.“

 

Lohnerhöhungen sind für den sozialen Frieden in China, sowie die Steigerung des Binnenkonsums essentiell, haben aber auch ihre Kehrseite: die gestiegenen Lohnkosten führen dazu, dass arbeitsintensive Branchen abwandern. Chinesische Unternehmen verlagern ihre Produktion im besten Fall in ärmere Provinzen im Landesinneren oder lagern sie komplett aus China in billigere Länder in der Region aus, wie Bangladesch, Vietnam oder Indonesien. Auch für westliche Unternehmen lohnt es sich durch die gestiegenen Lohnstückkosten und den teuren Transport der Güter nicht mehr, ihre Waren in China herzustellen. Sie verlagern ihre Produktion genauso wie China selbst in andere asiatische Billiglohnländer oder gleich ganz zurück ins Heimatland, wie es US-amerikanische Unternehmen verstärkt praktizieren.

China will Grips anlocken

 

Kaptalintensive Unternehmen, die vor allem hochqualifizierte Arbeitskräfte brauchen, sollen zum neuen Hauptstandbein Chinas ausgebaut werden. Die Zentren befinden sich in den Küstenmetropolen im Jangtse und Perlfluss Delta: dort befinden sich renommierte Universitäten, aber auch Absolventen anderer Talentschmieden strömen in die vielversprechenden Küstenstädte. China hat sich in seiner Entwicklung weg vom Billiglohnland, weg von der Werkbank der Welt, ehrgeizige Ziele gesteckt: Festgeschrieben im letzten Fünfjahresplan will China im Jahr 2050 Weltmarktführer beim Humankapital sein. Qualifikation und Produktivität der Chinesen müssen also rasant ansteigen. Aber nicht nur die eignen Köpfe sollen brillieren: „China sicherte sich bereits den Zugang zu natürlichen Ressourcen in Afrika und Australien, nun möchte das Land auch die besten Wissensressourcen, die besten Nachwuchskräfte der ganzen Welt ansaugen“, sagt Zimmermann.

 

China braucht Zuwanderung nicht nur, um die ambitionierten Humankapital-Ziele zu erreichen. Der demografische Wandel allein sorgt schon für einen zunehmenden Arbeitskräftemangel. Die Ein-Kind-Politik, die 1979 begleitend zur wirtschaftlichen Öffnungspolitik eingeführt wurde, hat dazu geführt, dass die Gesellschaft in kurzer Zeit drastisch alterte: lag das Durchschnittsalter 1980 noch bei 22 ist es inzwischen auf 36 hochgeschossen. Im Jahr 2000 waren sieben Prozent der Chinesen über 65 Jahre alt, 2050 werden es prognostizierte 25 Prozent sein. Chinas Altersstruktur nähert sich rasch der Altersstruktur hochentwickelter Länder wie Japan, Deutschland oder Italien an. Sie haben momentan den höchsten Anteil älterer Menschen, aber auch schon einen Wohlstand erreicht, von dem China noch weit entfernt ist. Dazu Zimmermann: „Selbst wenn die Ein-Kind-Politik, die inzwischen recht locker gehandhabt wird, abgeschafft würde, wird das nichts an der Geburtenrate ändern. Je höher der Enzwicklungsstand der Gesellschaft, desto weniger Kinder werden geboren. In China ist es längst nicht mehr so wichtig viele Kinder zu haben. Lieber investieren die Eltern in die gute und teure Ausbildung eines Sprösslings.“

Hochgebildet und arbeitslos

 

Da das soziale Sicherungssystem in China schlecht ausgebaut ist, ist der gute Job des Nachwuchses noch immer die beste Altersabsicherung für die Eltern. Die Ausbildung der Kinder wird mit viel Geld und Drill vorangetrieben. Die Zahl der Universitätsabsolventen ist inzwischen stark angestiegen: Hatten 1998 830.000 Chinesen einen Hochschulabschluss in der Tasche, zählt China 2010 schon sechs Millionen Akademiker. Die Zahl hat sich in zwölf Jahren mehr als versiebenfacht. So schnell hält der Arbeitsmarkt jedoch nicht mit, er kann die Akademiker-Schwemme noch nicht aufnehmen. Viele Uniabsolventen finden deshalb keinen Job oder nur einen Arbeitsplatz, der weit unter ihrer Qualifikation liegt. China möchte Weltführer im Humankapital werden, der chinesische Arbeitsmarkt ist aber momentan überfordert. Zimmermann erklärt: „Die Arbeitslosigkeit unter Hochqualifizierten ist ein politisches Planungsproblem: China überlässt die wirtschaftliche Entwicklung nicht dem freien Spiel der Märkte, sondern will mit Gewalt den Sprung ins nächste Jahrhundert wagen. China schafft deshalb zuerst einen Überfluss an Humankapital, in der Hoffnung, dass die Nachfrage nachzieht.“

 

China braucht zwar eine gebildete Elite, damit die wirtschaftliche Weiterentwicklung voranschreitet. Wenn jedoch Scharen an Universitätsabsolventen keinen angemessenen Job finden, gleichzeitig der Druck wächst, ihre Eltern zu versorgen und die Last der Lebenshaltungskosten steigt, schüre das Unzufriedenheit, die die Partei fürchte, so Zimmermann. Denn die chinesischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts wären ohne Unterstützung der Volksmassen vielleicht nicht erfolgreich gewesen. Der Impuls für die Umwälzungen sei jedoch von den Intellektuellen ausgegangen. Bestes Beispiel ist die Gründung der Kommunistischen Partei 1921 in Intellektuellenkreisen.

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