




Turbulent geht es zu am chinesischen Aktienmarkt. Nachdem sich der Shanghai Composite Index innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt hatte, sorgt seit Juni eine herbe Talfahrt von knapp 40 Prozent weltweit für Nervosität unter den Anlegern. Eine Rezession der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt hätte gravierende Folgen weit über Chinas Grenzen hinaus. Diese Angst sorgte zuletzt für massive Preiskorrekturen an den Aktien- und Rohstoffmärkten.
Um das „chinesische Wirtschaftswunder“, das gerade zu verblassen droht, zu verstehen, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Nachdem in der politisch wie wirtschaftlich fast vollständig isolierten Volksrepublik die Zustände zum Ende der Mao-Ära unhaltbar geworden waren, leitete die Kommunistische Partei (KP) unter Führung von Deng Xiaoping von 1979 an schrittweise angebotsseitige Strukturreformen ein. Diese sorgten für einen rasanten Anstieg des chinesischen Wirtschaftswachstums.
Zu den Autoren
Ronald-Peter Stöferle, 34, und Mark Valek, 33, sind seit 2013 Partner und Fondsmanager bei der unabhängigen Investmentboutique Incrementum in Liechtenstein. Sie entwickelten für den Austrian Economics Golden Opportunities Fonds (ISIN LI0226274319) eine Strategie, die auf den Erkenntnissen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie aufbaut. Beide arbeiteten zuvor für Banken in Wien, Stöferle im Research-Team der Erste Group, Valek als Fondsmanager bei Raiffeisen Capital Management. Mit dem Wiener Wirtschaftsphilosophen Rahim Taghizadegan veröffentlichten Sie den Bestseller „Österreichische Schule für Anleger – Austrian Investing zwischen Inflation und Deflation“.
Zuvor hatten die planwirtschaftliche Praxis, begleitet von Kampagnen wie der „Große Sprung nach vorn“ oder die „Kulturrevolution“, zu massiven sozialen und wirtschaftlichen Problemen geführt. Der KP drohte eine Legitimitätskrise. Sie verfügte augenscheinlich nicht über das notwendige Rüstzeug, um das Land in das kommunistische Elysium („Insel der Seligen“) zu führen. Ihr alleiniger Führungsanspruch aber lag genau darin begründet.
Permanentes Experimentieren mit Veränderungen

Um dieses Legitimitätsproblem zu lösen, bediente sich Deng paradoxerweise internationaler Erfolgsrezepte (Best Practices), die er entlehnte aus dem institutionellen Arsenal des Kapitalismus, also vom ideologischen Antagonisten. Dazu zählten Liberalisierungen, die Stärkung der Eigentumsrechte sowie eine behutsame internationale Öffnung der chinesischen Wirtschaft.
Die KP begab sich auf eine Gratwanderung, die viel Fingerspitzengefühl verlangte. Schließlich mussten die ergriffenen Maßnahmen in Einklang gebracht werden mit der marxistisch-leninistischen Ideologie. Das Resultat war ein permanentes Experimentieren mit institutionellen Veränderungen, die zur Lösung aktueller Probleme beitragen sollten und Teil eines graduellen und adaptiven Transformationsprozesses waren.

In China hat sich so eine dynamische und in vielen Zügen marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung herausgebildet. Über Jahrzehnte vergrößerte sich der Kapitalstock und es wurden Wachstumsraten von rund zehn Prozent erzielt. Der alleinige Führungsanspruch der KP legitimierte sich immer mehr durch die ökonomischen Erfolge.
Dies wiederum bedeutet, dass die politische Stabilität in China mehr als andernorts davon abhängt, inwieweit die Wirtschaftspolitik Pekings von der Bevölkerung, vor allem von der wachsenden Mittelschicht, als erfolgreich angesehen wird. Schließlich kann sich der Unmut über eine erfolglose Wirtschaftspolitik nicht einfach in der Abwahl der Regierung artikulieren.
Seit der Entfesselung der unsichtbaren Hand des Marktes greift in China allerdings auch die raffende Hand der Parteikader zu. Politische Macht wurde missbraucht zur Abschöpfung eines guten Teils des Wohlstandszuwachses in die Taschen einer Koterie. Es bedurfte also eines außergewöhnlichen Wirtschaftswachstums, um die Mittelschicht mit manierlichen Lohn- und Vermögenszuwächsen bei Laune zu halten.
Doch wie nachhaltig ist der Aufschwung? Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass ein zunehmend geringer Teil des nominalen Wachstums als wirklicher Wohlstandszuwachs infolge der Liberalisierungen zu werten ist. Das Gros ist auf einen exzessiven staatlich gelenkten Kreditboom zurückzuführen.