Ökonomisch lassen sich 70 Jahre Volksrepublik in zwei Kapitel zusammenfassen: Die ersten 30 Jahre nach der Machtübernahme der Kommunistischen Partei handeln von Irrwegen, dem Chaos durch die Kulturrevolution und einer Bevölkerung, die weitergehend arm blieb. Der dramatische wirtschaftliche Anstieg begann erst vor 40 Jahren, als der Reformer Deng Xiaoping damit begann, die Öffnung des Landes voranzutreiben.
Gemessen am Wohlstandsgewinn der Menschen hätte dieser Stichtag eine noch weitaus größere Party verdient gehabt als die Feierlichkeiten heute zum Gründungstag. Dass China in Rekordzeit zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen ist und in einigen Jahren die USA als Land mit dem größten Bruttoinlandsprodukt ablösen wird, haben die Chinesen vor allem Deng und seinen Mitstreitern zu verdanken – und nicht Staatsgründer Mao Zedong.
Schritt für Schritt entfernten sie das Land von der lange vorherrschenden Planwirtschaft und begannen, mit Marktwirtschaft zu experimentieren. Statt Staatsbetrieben dominieren heute privat geführte Unternehmen die chinesische Wirtschaft. Eigentumsrechte haben dafür gesorgt, dass hunderte Millionen Menschen eine starke Mittelschicht begründen konnten. Dank seiner jungen Milliarden-Bevölkerung etablierte sich China als Werkbank der Welt und schaffte so ein Wirtschaftswunder, das seinesgleichen sucht.
Dass China heute vor Kraft strotzt und Präsident Xi Jinping selbstbewusst die größte Militärparade anführen kann, die das Land je gesehen hat, basiert allerdings auf einem relativ einfachen Wachstumsrezept: China musste bislang nicht den Takt angeben sondern vor allem aufholen. Das Land hat eingeführt, was der Rest der Welt bereits hatte. Der Bau einer hervorragenden Infrastruktur hat die Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten dabei erheblich angekurbelt.
Nach 70 Jahren ist ein ökonomischer Strukturwandel nötig
Die wirkliche Bewährungsprobe steht noch aus. Peking muss dem Land neue Wachstumsimpulse verleihen. Die Bevölkerung altert wegen der langjährigen Ein-Kind-Politik überproportional schnell und die Zahl der Erwerbspersonen sinkt, weshalb die Löhne steigen. China läuft Gefahr, dass es wie andere einst schnell wachsende Staaten auf einem bestimmten Wohlstandsniveau verharren und nicht zu den wohlhabenden Nationen aufschließen wird.
Peking hat zwar damit begonnen, umzulenken und will selbst zum Taktgeber für Innovation und Technologie werden. Damit allein ist es jedoch nicht getan.
Die Kommunistische Führung kann ihre Macht nur behaupten, wenn ihr ein tiefgreifender ökonomischer Strukturwandel gelingt, den China auf dem Weg von einem Schwellen- zu einem vollentwickelten Land bewältigen muss. Schwierig ist das, weil die anstehenden Veränderungen viele Verlierer produzieren wird. Der konsequente Kampf gegen Schulden, Umweltzerstörung und Überproduktion etwa in der Stahl- und Baubranche, die Modernisierung des staatlichen Unternehmenssektors und der notwendige Umbau der Wirtschaftsstruktur des Landes werden erst einmal Wachstum und Arbeitsplätze kosten.





Neben dieser großen Herausforderung im Inneren muss sich China auch auf der Weltbühne behaupten. Galt außenpolitisch lange die zurückhaltende Maxime des Pragmatikers Deng Xiaoping, „die Stärke verstecken und auf den richtigen Augenblick warten“, tritt China unter Xi Jinping offen selbstbewusst auf. Die Territorialansprüche im Südchinesischen und Ostchinesischen Meer werden kämpferisch vertreten. Mit der Infrastrukturinitiative der „Neuen Seidenstraße“ baut Peking seinen Einfluss in der Welt aus. Chinas neue Wirtschaftskraft ist der politische Hebel. Mit geballter Finanzkraft erweitern Chinas Staatsmedien weltweit ihre Reichweite. Das sorgt für Irritationen.
Vor allem gegenüber den USA versuchte Peking lange einen „Sputnik-Moment“ zu vermeiden. Doch Washington ist aufgewacht und hat China als größte Bedrohung für seine Vormachtstellung in der Welt ausgemacht. Egal ob unter US-Präsident Donald Trump oder einem anderen Präsidenten. Die Reibungen zwischen den USA und der aufstrebenden Weltmacht China werden weiter zunehmen. Für Peking ist das eine zusätzliche Variable, die den Aufstieg nicht stoppen, aber verkomplizieren wird. Die tiefhängenden Früchte sind weitgehend gepflückt.