
Von Olympiafieber ist in diesen Tagen in Peking wenig zu spüren. Vielmehr liegt über der Stadt, in der in 40 Tagen die Jugend der Welt um Gold, Silber und Bronze kämpfen wird, eine unruhige Spannung. Mehr Polizeiwagen als sonst sind in den Straßen unterwegs. An den großen Kreuzungen der Stadt gibt es schon seit Wochen verschärfte Kontrollen. Die Behörden suchen nach allem: Alkoholsündern, Bettlern, Prosituierten, Ausländern ohne gültiges Visum Chinesen ohne Aufenthaltsgenehmigung für Peking.
Überall hängen Hinweisschilder mit Regeln, die in den kommenden Wochen zu beachten sind. Wer Freunde oder Bekannte aus China – seien es Ausländer oder Chinesen – in seiner Privatwohnung übernachten lassen will, muss dieses bei der Polizei anmelden. In Kneipen mahnen Tafeln zu situiertem Benehmen. Außerdem habe man immer seine Ausweispapiere mit sich zu führen, es könne "jederzeit Kontrollen geben.“
Chinas Führung hat Angst vor politischen Aktionen
In den kommenden Tagen werden die chinesischen Behörden außerdem damit beginnen, alle Fahrzeuge zu überprüfen, die von außerhalb Pekings in die Olympiastadt einfahren. Bettler, Wanderarbeiter und Vertreter nationaler Minderheiten wie Tibeter und muslimische Uiguren müssen die chinesische Hauptstadt verlassen. Es ist eine gespenstische Szenerie, die sich in diesen Tagen in Peking ausbreitet.
Ein Grund für die chinesische Kontroll- und Regelungswut: Die Furcht vor Terroranschlägen während der Spiele. Doch noch größer als die Angst vor Attacken durch Organisationen wie Al Qaida ist die Furcht der Herrscher vor politischen Aktionen während der Spiele, etwa durch Pro-Tibet-Gruppen, die das Regime der Kommunisten ins Wanken bringen könnten. Öffentliche Kundgebungen, gleich welcher Art, wollen die Behörden schon im Ansatz ersticken. Etwa 100000 Polizei- und Armeetruppen werden während der Spiele in Alarmbereitschaft sein.
In Seoul 1988 herrschte Lebensfreude statt Kontrollwut
Welch ein Unterschied zu den Olympischen Spielen 1988 in Seoul, den letzten die in einem fernöstlichen Land ausgetragen wurden. Zwar fürchtete sich auch die südkoreanische Regierung vor Anschlägen aus dem verfeindeten Norden und traf strenge Sicherheitsvorkehrungen Doch die südkoreanische Hauptstadt vibrierte vor Freude, Lebenslust und Aufbruchstimmung, die gelöste und lockere Atmosphäre war schon bei der Ankunft am Flughafen Kimpo mit Händen zu greifen. Überall begrüßten junge und alte Koreaner jubelnd die Hunderttausenden Besucher aus dem Ausland. Immer wieder kam es zu spontanen Verbrüderungsszenen zwischen Besuchern aus dem Westen und Koreanern. Athleten, Offizielle und Touristen feierten zusammen mit der Bevölkerung in Seouls Vergnügungsviertel Itaewon bis tief in die Nacht. Es war eine entspannte Sport-Party, genau so wie sie sich die Offiziellen in Peking eigentlich wünschen.
Dabei sah es zunächst so aus, als würden die Olympischen Spiele in Seoul 1988 von genau den harschen Maßnahmen begleitet sein, wie heute die Spiele in Peking. Mehr als 100000 Sicherheitskräfte wollten die Militärdiktatoren Südkoreas aufbieten, um die wachsende demokratische Opposition im Zaum zu halten. Schon seit mehreren Jahren hatten die Generäle in Seoul mit Studentendemonstrationen zu kämpfen. Das IOC erwog bereits die Verlegung der Spiele nach Berlin oder Los Angeles.
Doch nachdem es im Frühjahr 1987 wieder zu massiven Protesten gekommen war, bei denen landesweit mehr als zwei Millionen Südkoreaner gegen die Militärs auf die Straße gegangen waren und sich mehrere Demonstranten verbrannt hatten, entschloss sich Staatspräsident Roh Tae-woo zu einem mutigen Schritt: In einer Acht-Punkte-Erklärung kündigte er im Juni 1987 freie Wahlen und die Aufhebung der Pressezensur an und entließ Oppositionsführer Kim Dae-jung aus dem Hausarrest. Dem viel beschworenen „Wirtschaftswunder am Han-Fluss“ sei nun das „politische Wunder“ gefolgt, jubelte das Ausland. Der Druck der Straße, interne Machtkämpfe sowie Druck der USA, die 1987 40000 Truppen in Südkorea stationiert hatten, hatten die Generäle schließlich zum Handeln gezwungen.