China Arbeitsmarkt im Umbruch

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Mindestlohn gegen soziale Schere

Der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt führte aber auch dazu, dass die soziale Schere inzwischen weit auseinanderklafft: 250 Dollarmilliardäre und über 1 Million Dollarmillionäre stehen rund 150 Millionen Menschen gegenüber, die ihr Dasein noch immer in Armut fristen. Klaus Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), sagt: „Das chinesische Wachstum ist so rabiat vorangeschritten, dass China geplant das kapitalistischste Land der Welt wurde, mit einer der größten Einkommensungleichheiten.“ Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung des Einkommens misst (0 bedeutet absolute Gleichverteilung, 100 maximale Ungleichheit, ab einem Wert von 40 drohen soziale Unruhen), lag im China der 1990er Jahre noch bei rund 32, stieg bis 2007 auf 41,5, um zwei Jahre später einen Spitzenwert von 48 zu erreichen.

 

Da diese Entwicklung soziale Sprengkraft birgt, versucht die Politik aktiv dagegenzuwirken: Sie legte im nationalen Beschäftigungsplan fest, dass die Mindestlöhne bis 2015 jährlich im Schnitt um 13 Prozent steigen sollen. Die Quote wurde 2011 sogar übertroffen, die Löhne stiegen insgesamt um 22 Prozent. Doch die Kehrseite der positiven Lohnentwicklung ist die Inflation: sie lag letztes Jahr bei 5,8 Prozent, dieses Jahr bisher nur bei 3,3 Prozent. Besonders die gestiegenen Lebenshaltungskosten in den Städten fressen den Chinesen ihr Einkommen weg. Die Immobilienpreise verdreifachten sich in den letzten Jahren in Städten wie Peking, Hongkong oder Shenzhen, die Lebensmittelpreise stiegen 2011 offiziell um 12 Prozent. Die Höhe der Lebenshaltungskosten in Shanghai schoss im letzten Jahr an Metropolen wie New York oder Los Angeles vorbei. Weltweit liegt Shanghai inzwischen auf Rang zwölf der teuersten Städte.

 

Gewerkschaften auf dem Vormarsch

Den Mindestlohn erhöht die chinesische Führung zwar zentralistisch, trotzdem verlangen chinesische Arbeitnehmer nach mehr Rechten, um bei Lohnverhandlungen und Arbeitsbedingungen ein Wörtchen mitreden zu können. Rund 30.000 Streiks jährlich halten Arbeiter in China trotz offiziellem Verbot ab. Die chinesische Führung gerät unter Zugzwang: „Bisher kontrollierte die Partei die Gewerkschaften, der Gewerkschaftsführer unterstützte das Unternehmen, “ sagt Zimmermann, „Langsam lässt die chinesische Führung es aber zu, dass sich Gewerkschaften zur eigentlichen Arbeitnehmervertretungen wandeln. Immer aber mit der Vorsicht, dass sie nicht zu radikal werden, keine Lohnexplosionen provozieren oder sich als Feind der wirtschaftlichen Entwicklung etablieren.“

 

Lohnerhöhungen sind für den sozialen Frieden in China, sowie die Steigerung des Binnenkonsums essentiell, haben aber auch ihre Kehrseite: die gestiegenen Lohnkosten führen dazu, dass arbeitsintensive Branchen abwandern. Chinesische Unternehmen verlagern ihre Produktion im besten Fall in ärmere Provinzen im Landesinneren oder lagern sie komplett aus China in billigere Länder in der Region aus, wie Bangladesch, Vietnam oder Indonesien. Auch für westliche Unternehmen lohnt es sich durch die gestiegenen Lohnstückkosten und den teuren Transport der Güter nicht mehr, ihre Waren in China herzustellen. Sie verlagern ihre Produktion genauso wie China selbst in andere asiatische Billiglohnländer oder gleich ganz zurück ins Heimatland, wie es US-amerikanische Unternehmen verstärkt praktizieren.

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