Chinas neue Seidenstraße Kambodscha, Paradebeispiel für ein Land unter Chinas Einfluss

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In Kambodscha lässt sich das Ausmaß der Umwälzungen erkennen, die das Projekt der Neuen Seidenstraße mit sich bringt. Das gibt angesichts der Entwicklungen in Osteuropa einen Ausblick auf eine mögliche neue Weltordnung. Ein Gastbeitrag.

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Der Berliner Publizist Dr. Georg Milde beschäftigt sich mit den aktuellen Veränderungen auf der Welt. Dazu verfasste der Politikwissenschaftler und langjährige Herausgeber des Magazins „politik&kommunikation“ u.a. die Bücher „In Transformationsgewittern“ und „Was anders bleibt“.

Rotbrauner Staub beschwert die Luft und nimmt fast die Sicht auf die weite Landschaft des Distrikts Stuong Hav im Südosten Kambodschas. Wenn sich die aufgewirbelten Lehmpartikel über der aufgerissenen Fahrbahn wieder legen, sind immerzu neue Baustellenschilder erkennbar: „China Road and Bridge Corporation“ – stets taucht der Name des Unternehmens auf, das hier mit Hilfe von eigenen Baufahrzeugen bis hin zu eingeflogenen Vorarbeitern die neue Straße baut.

Das Pekinger Staatsunternehmen ist in vielen Ländern aktiv, von Bahnstrecken und Häfen in Afrika bis zu Brücken in Europa. Kambodscha ist für die ambitionierte chinesische sogenannte Initiative Neue Seidenstraße von hoher geostrategischer Bedeutung, verkürzt sich doch von hier der Lieferweg für Waren nach Norden, ergänzt durch neue Verkehrswege im benachbarten Laos direkt ins Reich der Mitte. An Orten wie dieser Großbaustelle wird deutlich, wie viel Geld in die „Belt and Road Initiative“ des chinesischen Staatschefs Xi Jinping fließt. Vor allem zeigt sich hier, mit welchem Nachdruck an vielen Schauplätzen der Welt Fakten geschaffen werden – bis hin zum Duisburger Hafen, wo derzeit mit chinesischer Beteiligung ein riesiges Bahnterminal errichtet wird, als europäische Drehscheibe für den Schienentransport Richtung Fernost.

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Die Straße kurz vor dem Golf von Thailand wird von einem noch viel größeren Bauvorhaben gekreuzt: Auf einem erhöhten Damm lässt dasselbe chinesische Unternehmen die erste Autobahn des Landes entstehen, die von der Hauptstadt Phnom Penh bis an die Küste führt. Der Rohbau ist fertig, die künftigen Mautgebühren werden nach China fließen. In den staatsnahen Medien Kambodschas wird der künftige „Expressway“ als ein Paradebeispiel der milliardenschweren Infrastrukturhilfe zur Stärkung der Beziehungen zwischen beiden Ländern bejubelt.

Die bisher schnellste Verbindung zur Küste, eine Nationalstraße, war kurz nach der Unabhängigkeit Kambodschas 1953 mit amerikanischer Hilfe gebaut worden. Damals entstand auch der von Frankreich finanzierte Tiefseehafen von Sihanoukville, wo heute bereits aus der Ferne viele riesige Seecontainer mit chinesischen Schriftzeichen in den Himmel ragen. Die vormaligen Partner sind hier praktisch abgeschrieben. In der Umgebung haben sich in den vergangenen Jahren viele chinesische Unternehmen angesiedelt, so wie in der gesamten Stadt an zahllosen Stellen chinesische Schriftzüge und Geschäfte auffallen, die in manchen Gegenden gar dominieren.

Kambodscha hat sich unter der autokratischen Führung des Langzeit-Premierministers Hun Sen für ein anderes System als das des Westens entschieden und ist zunehmend von den Finanzspritzen seines Förderers abhängig. Dies verstärkte sich, nachdem die Europäische Union vor zwei Jahren Sanktionen gegen Kambodscha verhängt hatte – wegen systematischer Menschenrechtsverletzungen. Die kambodschanische Regierung ignoriert diesen moralischen Fingerzeig. Hun Sen, einst Kämpfer der berüchtigten Roten Khmer, wettert immer lauter gegen USA und EU – bis hin zu kruden Thesen zum russischen Überfall auf die Ukraine, den er als Krieg zwischen Russland und Europa betrachtet, inklusive Kämpfern aus europäischen Ländern. Die Ablehnung eines vermeintlich westlichen Gedankenkonstrukts der Demokratie- und Menschenrechtsprinzipien eint Kambodscha mit Ländern wie China und Russland, in denen ein weitaus rigideres Vorgehen im politischen Alltag und Wirtschaftssystem vorherrscht.

Diese Entwicklung in Südostasien steht damit beispielhaft für eine weltweite Tendenz, die in den vergangenen Jahren immer sichtbarer wurde – und die nun in der Debatte über eine neue Weltordnung als Folge des Ukraine-Krieges ein neues Ausmaß erreicht hat.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht eine Aufteilung der Welt zwischen Akteuren wie den USA, dem aufstrebenden China und auch dem zurückkehrenden Russland, während Europa in diesem Prozess kaum eine Rolle spiele. Das neue Denken finde in Einflusszonen statt, innerhalb derer das jeweilige System seine Werte zur Geltung bringen könne. Im Umkehrschluss: Der Westen kann – anders als bisher versucht – nicht erwarten, dass seine Werte auch außerhalb der eigenen Einflusszonen gelten. Diese Prognose deckt sich in beunruhigender Weise mit der Forderung des russischen Außenministers Sergej Lawrow nach einer Rückkehr zu den Grundsätzen der friedlichen Koexistenz zwischen den unterschiedlichen Blöcken während des Kalten Krieges. Wer dem zustimmt, akzeptiert zugleich, dass eine Wertepolitik nur im eigenen Land möglich ist, nicht jedoch die Veränderung anderer Systeme.



In China verboten, in Sihanoukville rund um die Uhr

Zurück in eine andere Einflusszone: Die einst verschlafene Küstenstadt Sihanoukville hat in den vergangenen vier Jahren einen Bauboom mit nahezu platzender Infrastruktur erlebt und ist zu einem Moloch aus 30- bis 40-stöckigen Hochhäusern geworden, in denen chinesische Investoren mehr als 100 riesige Spielcasinos betreiben.

Was in China gesetzlich verboten ist (und auch der kambodschanischen Bevölkerung), findet in Sihanoukville rund um die Uhr statt: In jedem Casino spielen fast ausschließlich chinesische Touristen an Unmengen von Spielautomaten, Spieltischen oder in VIP-Räumen – inklusive chinesischem Personal und aus der Heimat importierten Produkten bis hin zu den Zahnstochern. Eine klimatisierte Glitzerwelt mit überbordenden Golddekors, die viele Besucher mehr interessiert als die einst traumhafte Küste. Diese wurde inzwischen begradigt und mit neuen Straßen versehen, vom früheren Charme der sogenannten „Schweiz Indochinas“ ist hier nur noch wenig zu spüren. Was das konkret für die Einheimischen bedeutet, berichtet ein ehemaliger Gastronom: „Anfang 2019 verlor ich innerhalb weniger Monate mehrere Restaurants. Chinesische Geschäftsleute haben einfach den zehnfachen Mietpreis geboten oder direkt das Grundstück als Bauland gekauft.“ Trotz langfristiger Verträge zog der somit Vertriebene nicht vor ein Gericht. „Der Rechtsweg hat in diesem Land keine Aussicht auf Erfolg, wenn es um solch große Investitionen geht.“

Umso positiver wird die Entwicklung von einer jungen Chinesin bewertet, die kambodschanischen Servicekräften Grundkenntnisse ihrer Sprache beibringt: „Das ist doch bestens für die Stadt, es wird hier immer komfortabler und sicherer.“ Eine geordnete Struktur sei das Wichtigste für chinesische Reisende, denn diese seien sie aus ihrer Heimat gewohnt. „China ist wie ein geschütztes Gewächshaus. Um dort gut zu leben, muss man nur den Anordnungen des Staates folgen.“

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So wie in China und Russland die Amtszeitbegrenzung an der Spitze des Landes beseitigt wurde, hat auch der kambodschanische Regierungschef inzwischen erklärt, er werde so lange an der Macht bleiben, wie er wolle – und sei es „für immer“, beziehungsweise bis ihm sein als Nachfolger auserkorener Sohn folge. Dass in diesem Monat 19 kambodschanische Oppositionspolitiker zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, spricht die Sprache dieser Einflusszone. Die Regierungspartei CPP stellt inzwischen sämtliche Parlamentsmitglieder – im System der Autokraten gelten demokratische Entscheidungsprozesse nichts.

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