Clinton und Trump im Wirtschaftswahlkampf Große Versprechen verdecken große Ratlosigkeit

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Unzufriedene Weiße

Beide Konzepte werden, selbst wenn sie ihren ökonomischen Zweck – mehr Wachstum – vordergründig erfüllen, das Problem wohl nicht grundlegend lösen können, sondern es möglicherweise sogar noch verschärfen. Denn in einer derart reifen Volkswirtschaft und reichen Gesellschaft wie den USA laufen beide Rezepte auf erneute Verschärfungen der Bedingungen heraus, die diese Probleme erst geschaffen haben: mehr Staatsschulden, also mehr Abhängigkeit des Staates und der ganzen Gesellschaft von den Finanzmärkten und langfristig immer weniger Spielraum für die (Sozial-)Politik. Hinter den großspurigen Plänen und Versprechungen aus vergangenen Epochen verbirgt sich die reine Ratlosigkeit, wie es mit dem amerikanischen Kapitalismus und dem Land weitergehen kann.

Diese Ratlosigkeit herrscht in allen früh industrialisierten und heute hochentwickelten westlichen Gesellschaften. Man glaubt einen Organismus durch immer höhere Doping-Dosen anfeuern zu müssen – in der immer weniger begründbaren Hoffnung, dass er irgendwann wieder aus eigener Kraft immer wieder über sich selbst hinauswächst - wie in seinen Jugendjahren. Amerika als Modell der Moderne und Wirtsnation des Kapitalismus leidet natürlich besonders an den Phantomschmerzen einer Gesellschaft, die sich (noch) nicht damit abfinden kann, dass die ökonomischen Expansionsmöglichkeiten offensichtlich an Grenzen stoßen. Das Gebot des "immer weiter, immer mehr!" ist schließlich in keinem Land so sehr Grundlage des nationalen Selbstverständnisses wie in den USA.

Für Amerika gilt in ganz besonderer Weise, was für alle kapitalistischen Gesellschaften gilt: Die Leute sind nicht unbedingt zufrieden, wenn es ihnen nach objektiven Kriterien gutgeht. Entscheidend ist, dass es ihnen besser geht als früher, als den Eltern und vor allem als den Nachbarn: „Keeping up with the Joneses“ lautet die Parole. Der Schwarze oder der hispanische Einwanderer, der sich gerade so durchschlägt, ist womöglich zufriedener als ein Mittelklasse-Weißer in Kentucky, der das Gefühl hat, mit seinen früheren Klassenkameraden nicht mithalten zu können und sich von selbstgerechten Bewohnern der West- oder Ostküste als „white trash“ bezeichnen lassen muss.

Für viele weiße Männer in Amerika ist es derzeit besonders schwierig, aus Vergleichen mit anderen Zufriedenheit zu gewinnen. 73 Prozent der weißen Amerikaner sagen, so eine Umfrage vor einigen Monaten, dass sie mindestens einmal am Tag sauer sind, aber nur 56 Prozent der Schwarzen und 66 Prozent der Hispanics. Die Weißen, zumindest die auf der Verliererseite des Digital Divide, erleben, dass sie allmählich als Kollektiv ihre dominierende Stellung verlieren. In früheren Generationen konnten selbst durchschnittlich erfolgreiche weiße Männer Selbstbewusstsein aus ihrer Überlegenheit über Frauen und nicht-weiße Männer beziehen. Vorbei.

50 prominente Republikaner haben mit scharfen Worten vor einer Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten gewarnt - dem Kandidaten ihrer eigenen Partei.

Egal, ob Trump oder Clinton an die Macht kommt: mit ihren gestrigen oder vorgestrigen Wirtschaftsrezepten werden beide die heutigen und morgigen sozialen Wunden nicht grundlegend heilen. Das Wachstum, das sie sich erhoffen, ist erstens schlicht unmöglich und zweitens würde es wohl mehr neue Wunden schlagen als alte heilen. Denn seine Profiteure wären sicher nicht in erster Linie die wütenden weißen Männer von Kentucky.

Dem Zeitalter der säkularen Stagnation, das Ökonomen wie Larry Summers vermutlich zu Recht voraussehen, werden Gesellschaften und ihre Eliten nicht entkommen. Man wird sich in ihm einrichten müssen. Amerika wird der Abschied vom immer neuen Aufstieg besonders schwerfallen.

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