Dass der Milliardär als Anwalt der besorgten „White Working Class“ auftreten kann, verdankt er allerdings der Vorarbeit durch die Republikanische Partei, die seit Jahrzehnten einen absurden Kulturkampf gegen das liberale Establishment betreibt. Mit einer verschärften, spalterischen Rhetorik der Angst (vor Reichtumsneid und Sozialismus, Gottlosigkeit und Egalitarismus) sollen die weißen Wähler an die Wahlurnen getrieben werden. So wird Obama von ultrakonservativen Nachrichtensendern wie Fox News zum heimlichen Muslim und Hillary Clinton zur liberalen Teufelin dämonisiert: Beide gelten der religiösen Rechten als Vorboten der Apokalypse. Ein Drittel der potenziellen Trump-Wähler, so das Ergebnis einer Umfrage, ist allen Ernstes davon überzeugt, dass die demokratische Kandidatin mit Luzifer im Bunde sei. Ein Propagandaeffekt, der tief verwurzelt ist in der Psyche der konservativen Wählerschaft.
Die Tea Party machte aus dem religiösen Wahn politische Methode: Ihre Galionsfigur Sarah Palin, die Frau aus dem Volke, agitierte gegen die korrupte Zentrale Washington als Hort des Bösen, als Feind des „eigentlichen“, guten Amerika. Die Wahlkampagnen der Grand Old Party mutierten zu regelrechten Kreuzzügen. Eine fundamentalistische Wende, nach der sich Republikaner und Demokraten nicht mehr viel zu sagen hatten. Das Land war in zwei Glaubensgemeinschaften gespalten. Eine Wagenburgmentalität breitete sich in beiden Lagern aus. Amerika war, wie der Politikwissenschaftler Torben Lütjen sagt, „in liberale und konservative Echokammern zerfallen, in denen völlig unterschiedliche Realitäten produziert wurden: schalldichte Räume, in die von außen nichts hineindringt, während die Stimmen im Innern sich um ein Vielfaches verstärken“. Vor allem der Konservativismus wurde „undurchdringlich für andere Wahrheiten“. Gewiss, in Wahlkämpfen werden allenthalben Halbwahrheiten gehandelt. Für Amerikas Konservative jedoch, so Lütjen, „gibt es keine Autorität mehr, die sie zumindest über die nachweisbaren Fehlinformationen aufklären könnte“. Sie pflegen einen Antiintellektualismus, der sich „bis hin zur dreisten Wirklichkeitsverneinung gesteigert hat“.
Der Bannerträger der Post-Truth-Ära
Kein Wunder, dass Donald Trump so ungeniert lügt. Er ist der ungekrönte König der Post-Truth-Ära. Darin ähnelt er nicht zufällig Potentaten wie dem von ihm geschätzten Putin. Trump immunisiert sich gegen die Wahrheit, er erfindet sich den politischen Gegner, um ihn zu erledigen. Seine Schmähungen sind bösartige Don Quijoterien: Er imaginiert monströse Windmühlen, um lustvoll gegen sie ankämpfen zu können, etwa wenn er die Gesundheitsreform als „Socialism“ brandmarkt oder Hillary Clinton als „korrupteste Person“ schmäht, „die je für das Amt des Präsidenten kandidiert hat“. Mithilfe der sozialen Medien ist es ihm gelungen, eine politische Parallelwelt zu schaffen, in der die Wirklichkeit sich in subjektiven Sichtweisen auflöst – oder durch Softwareroboter ersetzt wird: Sogenannte Bots speisen inzwischen automatisch Botschaften ins Netz ein, etwa um Onlineumfragen zu manipulieren. Nach dem ersten Fernsehduell, das für die meisten Medienbeobachter an Clinton ging, „korrigierten“ Pro-Trump-Tweets das Ergebnis im Sinne des Kandidaten. Aus Sicht der Roboter hatte er gewonnen.
„Donald“, sagte Hillary Clinton bei einer Fernsehdebatte, „ich weiß, Sie leben in Ihrer eigenen Welt.“ Doch was, wenn diese Welt die Wirklichkeit kapert? Wenn Hass und Lügen und digitale Dienste unser Wirklichkeitsbild formen? Ein Viertel von Trumps elf Millionen Followern sind Bots. Sie füttern die Phrasenmaschine Twitter, in deren Echokammern nicht nur die Grenzen von Wahrheit und Lüge, sondern auch von Mensch und Maschine verschwimmen.
Gleichviel: Was zählt im Wahlkampf, ist das, was für Wirklichkeit gehalten wird: ihre Inszenierung. Souverän ist, wer sich die Welt erfindet. Mag sein, dass Donald Trump die Wahl am 8. November verliert. Den Kampf um Aufmerksamkeit hat er haushoch gewonnen.