Clintonscher Optimismus „Freund Peter“ auf Harmonie-Mission in der Türkei

Peter Altmaier vor dem Mausoleum des Staatsgründers der Türkei Mustafa Kemal Atatürk. Quelle: dpa

Die deutsch-türkischen Beziehungen waren zuletzt miserabel. Nun will der Wirtschaftsminister unbedingt für Entspannung sorgen und setzt auf „unseren großen Schatz“ statt auf die „schwierigen Momente“ der Vergangenheit.

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Peter Altmaier ist ein bisschen spät dran, aber er hat Geschenke mitgebracht. Zumindest rhetorische. Am Donnerstagabend halb zehn, geplant war halb neun, steht der Bundeswirtschaftsminister endlich am Rednerpult eines Luxushotels in Ankara. Er gibt einen Empfang für Unternehmer und Verbände. Im Saal unter Kronleuchtern, die die Größe einer S-Klasse haben, gibt es türkische Vorspeisen, es ist voll und laut. „Liebe Freunde“, beginnt Altmaier dann, „ich sage das ganz bewusst: liebe Freunde!“

Altmaier hatte einen grundsätzlichen Auftritt angekündigt. Und in der Tat, das wurde er. Wenn auch vor allem in Sachen Wandel durch Annäherung. Dass das deutsch-türkische Verhältnis zuletzt miserabel war und warum - er erwähnt es kurz. Aber er hält sich nicht lang daran auf. Es habe „schwierige Momente“ gegeben, Sorgen um Menschenrechte. Viel wichtiger jedoch als Vergangenheitsbewältigung ist Altmaier an diesem Abend die Betonung der „gemeinsamen geostrategischen Interessen.“ Applaus.

Der Wirtschaftsminister ist von seinem Wesen her ohnehin der geborene Botschafter: stets zugewandt, offen und freundlich. Altmaier liebt politische Prozesse, das Vorantreiben, Vermitteln, Positionen Erforschen. Klimastürze sind nicht sein Ding. Stattdessen verteilt Altmaier Wertschätzung, wo er kann, beschwört die „Stabilität“, wird bei der jungen Generation von Deutsch-Türken - „unser großer Schatz“ - geradezu pathetisch. Ein Minister im ausgelobten Land.

Eine bemerkenswerte Wende: In den vergangenen Jahren, nach dem Flüchtlingsdeal und dem gescheiterten Putschversuch, lagen die Beziehungen in Trümmern. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Bundesrepublik mehrfach beschimpft, die Fälle Deniz Yücels und Peter Steudtners wogen schwer. Noch am Tage von Altmaiers Abreise hatte der BDI gefordert, die Türkei müsse die Rechtsstaatlichkeit achten.

Insofern ist der zweitägige, überaus harmonische Arbeitsbesuch aus Deutschland ein klares Zeichen für Entspannungswillen in Berlin - und natürlich auch für die ökonomischen Nöte Ankaras, das sich gerade keine Eskalation leisten kann. Der Verfall der Lira, eine explodierende Inflation, überbordende Auslandsverschuldung - der einst so dynamische Staat schwächelt. Die Wachstumsrate soll 2018 nur bei 3,8 Prozent liegen, 2019 gar bei 2,3. Zu wenig für ein Schwellenland. Noch 2017 hatte sie bei 7,4 Prozent gelegen. Vor allem die türkische Mittelschicht gerät unter Druck.

Bei Altmaiers Gesprächen ist deshalb wenig von der konfrontativen Vergangenheit die Rede, dafür viel von den Chancen der Zukunft. Beim Treffen mit dem einflussreichen Finanzminister Berat Albayrak, dem Schwiegersohn Erdogans, streift Altmaier zwar nochmal die „schwierigen Momente“ der Vergangenheit, schwenkt dann aber sofort auf künftige Perspektiven um: er sehe eine „Stabilisierung“, sei sehr „optimistisch“, es gäbe eine „exzellente Basis“. Und Albayrak revanchiert sich mehrfach bei seinem „Freund Peter“ für die „neuen Impulse“.

Bei näherem Hinsehen ist aber noch nicht viel. Bei der von den Türken so erwünschten Ausweitung der Zollunion bremsen die Deutschen, die gemeinsame Wirtschafts- und Handelskommission namens Jetco tagt im Beisein Altmaiers überhaupt das erste Mal. Eingerichtet wurde sie aber schon 2012.

Dabei ist die Türkei für die deutsche Wirtschaft, bei allen ökonomischen und rechtlichen Unsicherheiten, weiterhin ein viel versprechendes Investitionsland. Jedenfalls in der Theorie: eine junge Bevölkerung und gute Lage, viel Ehrgeiz und Nachholbedarf. Der Energiekonzern Eon, der Milliarden im Land investiert hat, ist deshalb sogar durch CEO Johannes Teyssen in der Delegation vertreten. Ankara plant große Solarprojekte im Land, Siemens macht sich außerdem Hoffnungen auf milliardenschwere Bahnausbauprogramme. 

Doch spruch-, gar unterschriftsreif ist davon bei Altmaiers Besuch noch nichts. Also verlegt sich der Minister auf seine Spezialdisziplin: gute Laune. „Unsere wirtschaftlichen Beziehungen entscheiden über unsere politischen“, sagt er beim abendlichen Empfang. Und: „It‘s the Economy, stupid!“ Ein bisschen Clintonscher Optimismus in Ankara, wer hätte das noch vor einem Jahr ahnen können?

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