Coronavirus Warum in Hongkong jetzt das Toilettenpapier knapp wird

Eindrücke aus Hongkong: Die Regale im „Wellcome“-Supermarkt im Stadtteil Northpoint sind voll beladen. Alles ist da auf den ersten Blick.

Zuerst Proteste, jetzt das Virus: Hongkongs Wirtschaft erleidet durch den Ausbruch den nächsten Schlag. Menschen erinnern sich besorgt an die Sars-Krise vor 17 Jahren. In keiner anderen Stadt gab es damals so viele Tote wie in der dicht besiedelten Finanzmetropole.

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Von einer kritischen Versorgungslage kann in Hongkong keine Rede sein. Die Regale im „Wellcome“-Supermarkt im Stadtteil Northpoint sind voll beladen. Milch, Joghurt, Pasta, Früchte und Gemüse – alles da. Nur dort, wo eigentlich das Toilettenpapier liegen sollte, klafft eine große Lücke. Bei den Taschentüchern gleich nebenan ist nur noch die verhältnismäßig teure Marke Tempo zu haben. „Bevor ich die nehme, kann ich auch Feuchttücher besorgen“, sagt eine Kundin. Auch in anderen Supermärkten der Stadt sah es am Montag nicht anders aus. Die chinesische Sonderverwaltungsregion hat mit einem handfesten Toilettenpapier-Engpass zu kämpfen. Schon seit Tagen ist es so gut wie überall ausverkauft.

Grund für den Run waren Gerüchte, dass es bald keinen Nachschub mehr geben könnte, weil Fabriken nebenan auf dem chinesischen Festland während der Coronavirus-Krise nicht produzieren können. Hersteller beschwichtigten zwar, dass die Arbeit bald wieder aufgenommen werde und es keine Probleme geben sollte. Besorgte Hongkonger rafften aber lieber trotzdem schnell alles zusammen, was noch zu kriegen war.

Die Toilettenpapier-Krise sagt viel darüber aus, wie ernst das Coronavirus in der Finanzmetropole genommen wird. Menschen gehen zwar zur Arbeit und ihrem Alltag nach. Geschäfte und Restaurants sind geöffnet. Dennoch ist die Angst vor der Ausbreitung der Krankheit groß. Mit 35 bestätigten Infektionen und einem Todesfall kommt Hongkong im Vergleich zu anderen chinesischen Großstädten dabei noch glimpflich davon.

Während die meisten Supermarktregale im Hongkong prall gefüllt sind, herrscht nahezu gähnende Leere beim Toilettenpapier, wie diese Aufnahme des WiWo-Korrespondenten Jörn Petring zeigt.

In Peking gab es bis Montag 337 nachgewiesene Fälle und zwei Tote. In Shanghai waren es 295 Erkrankte und ebenfalls ein Toter. Am schwersten betroffen sind weiterhin die zentralchinesische Stadt Wuhan und die Provinz Hubei, wo das Virus ursprünglich im Dezember ausgebrochen war. 29.631 der insgesamt mehr als 40.000 Erkrankungen wurden dort nachgewiesen. 871 der bislang 909 Todesfälle in China ereigneten sich in Hubei.

Allerdings erinnern sich viele Hongkonger an die Sars-Lungenkrankheit vor 17 Jahren. Sie kostete weltweit insgesamt 774 Menschen das Leben. 349 Todesopfer gab es auf dem gesamten chinesischen Festland – 299 in Hongkong. Viren haben an einem der am dichtesten besiedelten Orte der Welt eben leichtes Spiel.

So gut wie niemand geht dieser Tage noch ohne Schutzmaske aus dem Haus. Und unter Hongkongs Bankern gibt es einen neuen Witz: Statt einer Bonuszahlung wird bald nur noch Mundschutz ausgegeben – und die Mitarbeiter würden sich sogar noch freuen.

Wann immer ein Geschäft Masken-Nachschub erhält, bildet sich eine lange Schlange. In einem Fall sollen Kunden sogar über eine Länge von vier Kilometern angestanden haben, berichten Lokalmedien.

Um besser geschützt zu sein, fordern viele Hongkonger seit Wochen, dass die Grenzen zum chinesischen Festland komplett dich gemacht werden. Tausende Ärzte und Krankenpfleger protestierten und streikten in den vergangenen Tagen, um der Forderung Nachdruck zu verleihen.

Nach anfänglichem Zögern hat die Regierung seit dem Wochenende tatsächlich eine faktische Sperrung verhängt. Während Schnellzüge schon seit Tagen nicht mehr in die Stadt dürfen und 90 Prozent der Flüge gestrichen wurden, müssen seit Samstag sämtliche Besucher vom chinesischen Festland für 14 Tage in Zwangsquarantäne. Weniger als 200 Menschen reisten deshalb am Samstag noch ein. Normalerweise passieren täglich Zehntausende die Grenzübergänge.

Für Hongkongs Tourismus und den Einzelhandel (mal von Apotheken und Drogeriemärkten abgesehen) ist die Ausbreitung der Lungenkrankheit ein weiterer schwerer Schlag. „Zuerst die Proteste, jetzt das Virus. Es ist nicht einfach derzeit“, erzählt ein Hotel-Angestellter, der vor der Tür bei sämtlichen Gästen Fieber messen muss.

Auch das ist eine der Schutzmaßnahmen, die Hongkong verhängt hat. Wird bei einem Gast Fieber festgestellt, darf der Aufenthalt nicht verlängert werden. Allzu große Sorgen müssen sich Besucher, die vielleicht nur etwas erhöhte Temperatur oder eine einfache Grippe haben, aber nicht machen. Denn kaum jemand weiß die Infrarot-Thermometer, die vor die Stirn gehalten werden, richtig zu benutzen. Routinemäßig werden Temperaturen von um die 34 Grad gemessen, was eigentlich auf eine lebensbedrohliche Unterkühlung hindeutet.

Hongkongs Wirtschaft, die schon 2019 in die Rezession gerutscht war, muss sich erneut auf ein schwieriges Jahr einstellen. Denn selbst, wenn die Epidemie in einigen Wochen überstanden sein sollte, halten es viele Beobachter für wahrscheinlich, dass die Protest-Bewegung umgehend wieder Fahrt aufnehmen wird.

Zwar sind Demonstranten in diesen Tagen kaum noch in großer Zahl auf der Straße unterwegs. Allerdings sprechen die Aktivisten lediglich von einer Pause. Reichlich neuen Stoff, der sie auf die Palme bringt, liefert ihnen in diesen Tagen Carrie Lam. Für die bei großen Teilen der Bevölkerung verhassten Regierungschefin wäre das Virus eine Chance gewesen, um sich als geschickte Krisenmanagerin zu präsentieren.

Doch daraus wurde nichts. Direkt nachdem die ersten Erkrankungen in Hongkong nachgewiesen wurden, trat Lam mit Mundschutz vor die Presse und rief alle Menschen in der Stadt dazu auf, sich ebenfalls zu schützen. Nur Tage später berief Lam erneut eine Pressekonferenz ein – dieses Mal ohne Schutz. Die Masken seien jetzt knapp und deshalb müsse medizinisches Personal vorrangig ausgestattete werden. Alle anderen Beamte forderte Lam dazu auf, vorerst auf Masken zu verzichten.

Es dauerte kaum 24 Stunden bis Lam auch diese Aussage wieder relativierte. Natürlich dürfe sich jeder in der Stadt schützen.

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