Es klingt fast wie Schadenfreude. „Die Omicron-Variante startet eine neue Angriffswelle und es ist China, das diese Invasion am besten abwehren kann“, kommentierte die Staatszeitung „Global Times“ zu Wochenbeginn auf ihrer Titelseite. Während der Westen von Corona überrollt werde, sei China zu einer „uneinnehmbaren Festung“ gegen die Ausbreitung des Virus geworden.
Durch die weltweit rasante Verbreitung der neuen Virus-Variante Omikron und auch der weiterhin dominierenden Delta-Variante fühlt sich die Volksrepublik in ihrer strikten Null-Covid-Strategie bekräftigt. Tatsächlich ist es der Pekinger Führung durch strenge Maßnahmen gelungen, das Virus weitestgehend auszutrocknen. Als wirksam bei der Verhinderung neuer Varianten hat sich vor allem die mehrwöchige Hotelquarantäne erwiesen, die jeder, der nach China will, über sich ergehen lassen muss. Dank schneller lokaler Lockdowns und Massentests lag selbst in der jüngsten Corona-Welle, die seit Oktober zu Infektionen in mehr als 20 Provinzen geführt hat, die Zahl der neuen Fälle pro Tag im Schnitt bei nicht mehr als 50. Eine Inzidenz von 0,004 also.
China, soviel scheint klar, ist nicht bereit etwas an seinem Vorgehen zu ändern, so lange es auch nur ansatzweise so viele Infektionen und Todesopfer hinnehmen müsste, wie man offenbar im Westen für vertretbar hält. Der chinesische Top-Virologe Zhong Nanshan nannte im November eine Sterblichkeitsrate von 0,1 Prozent, ab der über eine Öffnung des Landes nachgedacht werden könnte.
Neben einer fast vollständig geimpften Bevölkerung dürfte ein wirksames Anti-Covid-Medikament notwendig sein, um sich diesem Ziel anzunähern. Der US-Konzern Pfizer gab kürzlich bekannt, dass seine neue Covid-Pille Paxlovid das Risiko einer Krankenhauseinweisung oder eines Todesfalls bei Patienten, die das Mittel innerhalb von drei Tagen nach Auftreten von Symptomen einnahmen, um 89 Prozent senken konnte. Kurz davor hatte bereits Konkurrent Merck die Anti-Corona-Pille Molnupiravir angekündigt, die Todesfälle bei Hochrisikopatienten in einer klinischen Studie um immerhin die Hälfte reduzieren konnte. (Mehr über die angekündigten Corona-Medikamente und welche wie wirken, erfahren Sie hier.)
Auch chinesische Unternehmen machen stetige Fortschritte bei der Erforschung von Covid-Medikamenten. Laut Behördenangaben arbeitet China sowohl an intravenösen Mitteln, als auch an mehreren Covid-Pillen. Große Hoffnungen wurden zuletzt etwa durch ein Präparat von Kintor geweckt, einem Pharmaunternehmen aus der ostchinesischen Stadt Suzhou. Eine erste im Mai vorgelegte Studie zur Anti-Covid-Pille von Kintor hatte ergeben, dass die Todesfälle bei brasilianischen Krankenhauspatienten durch das Mittel um 77 Prozent gesenkt werden konnte. Die Ergebnisse wurden damals von einigen Experten allerdings als „zu schön, um wahr zu sein“ bezeichnet. Die Ergebnisse abschließender klinischer Tests sollen laut Angaben von Kintor noch im Dezember veröffentlicht werden.
Kintor-Chef Tong Youzhi ist überzeugt, dass sein Medikament den Durchbruch schaffen und China zu einer Rückkehr zur Normalität verhelfen wird. „Die Dringlichkeit für wirksame Covid-Medikamente ist in China nicht geringer als anderswo, wenn wir unser Leben vor der Pandemie wiedererlangen wollen“, sagte Tong kürzlich in einem Interview mit Bloomberg. Ohne ein wirksames Medikament würde Chinas lückenhaftes Gesundheitssystem sofort überlastet, sollten die Grenzen geöffnet werden, glaubt Tong, dessen Unternehmen seinen Wert an der Hongkonger Börse in diesem Jahr mehr als versechsfachen konnte.
Tatsächlich könnte China laut Gesundheitsexperten im Falle eines unkontrollierten Ausbruchs aus zwei Gründen besonders schwer getroffen werden: Erstens hatte kaum ein Chinese bisher Kontakt zum Coronavirus, weshalb so gut wie keine natürliche Immunisierung besteht. Zudem gelten die chinesischen Impfstoffe im Vergleich zu westlichen Präparaten als weniger effektiv.
Dennoch heißt es auch von offizieller Stelle, dass ein wirksames Covid-Medikament China dazu veranlassen könnte, die Zügel etwas zu lockern. Eine wirksame Behandlungsmethode könnte „ein entscheidender Faktor“ bei solchen Überlegungen sein, sagte Gao Fu, Direktor des chinesischen Zentrums für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten, bereits im September in einem Interview mit Staatsmedien. In Kombination mit Impfungen würden Medikamente beim Übergang zur Koexistenz mit dem Virus helfen.
Corona-Pillen könnten jedoch mit Sicherheit nicht an die Stelle von Impfstoffen treten, warnte der chinesische Immunologe Zhuang Shilihe. Selbst wenn antivirale Medikamente auf den Markt kämen, sei es notwendig, Impfungen und Auffrischungsimpfungen zu fördern, da Medikamente allein das Infektionsrisiko nicht senken könnten, so Zhuang.
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