Dallas und die Folgen Die beunruhigten Staaten von Amerika

Nach der Ermordung von fünf Polizisten kam es in vielen Städten der USA zu weiteren Demonstrationen. Präsident Obama verkürzt seinen Europabesuch und fliegt nach Dallas. Einige fürchten eine Eskalation der Gewalt.

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Fünf Polizisiten wurden von einem Scharfschützen ermordet. Quelle: AP

„Die meisten weißen Durchschnittsamerikaner haben keine Ahnung was es bedeutet, schwarz in Amerika zu sein.“ Es war nicht etwa Barack Obama, der diesen Satz am Freitag von sich gab, sondern niemand anderes als Newt Gingrich. Gingrich ist ein bekannter republikanischer Hardliner, er war von 1990 bis 1995 Sprecher des Repräsentantenhauses und damit dritthöchster Amtsträger in den USA. Ein Mann der zudem heute auf der inoffiziellen Kandidatenliste als Vizepräsident für Donald Trump steht. Doch auf der Veranstaltung bei Facebook machte er keinen Hehl aus dem, was noch immer viele Amerikaner schlicht verdrängen oder nicht wahrhaben wollen. „Weiße Amerikaner“, zitiert ihn die Los Angeles Times, „unterschätzen instinktiv das Maß an Diskriminierung und zusätzlichen Risiken“, so der konservative Politiker, der selbst  als Schüler in den Bundesstaat Georgia gezogen war – zu einer Zeit, wie er sagt, als „der örtliche Scheriff zusammen mit der Nationalgarde mit Gewalt Bürgerrechte außer Kraft gesetzt hat“.

Die Einlassungen überraschen umso mehr, als gerade Gingrich über Jahre nicht mit rassistischen Ansichten gespart hat. Doch nach Dallas ist alles anders. Selbst der für seine spontanen und teilweise unflätigen Ausbrüche bekannte Donald Trump zeigte sich ungewöhnlich konziliant: Zwar titulierte der kommende Kandidat der Republikaner für das Weiße Haus die Ermordung der fünf Polizisten in Dallas am Donnerstag als „Angriff auf das ganze Land“.

Er hob aber gleichzeitig hervor, dass der „sinnlose und tragische Tod zweier Menschen in Louisiana und Minnesota“ zeige, „wie viel noch zu tun bleibe“. In den Bundesstaaten waren innerhalb von 48 Stunden zwei Afroamerikaner von Polizisten erschossen worden. Das Land sei „viel zu gespalten“, referierte der Milliardär Trump, der zuvor durch scharfe Kritik an Mexikanern und Asiaten aufgefallen war. Jetzt sagt er, die „Spannungen zwischen den Rassen sind schlimmer geworden, nicht besser.“

In Minnesota war der farbige Fahrer eines Autos während einer Fahrzeugkontrolle erschossen worden. Es ging um eine kaputte Rücklichtbirne. Der Gouverneur des Bundesstaates, Mark Dayton, räumte nach dem Vorfall ungewöhnlich offen latenten Rassismus ein. „Wäre das passiert, wenn die Insassen weiß gewesen wären? Ich glaube nicht“, sagte er. „Ich denke, wir alle in Minnesota müssen eingestehen, dass diese Form von Rassismus existiert.“

Solche merkwürdigen Todesfälle sind nicht selten in den USA. Wenn ich Freunde im kalifornischen Oakland besuche, steige ich immer an der S-Bahnhaltestelle „Fruitvale“ aus, und unwillkürlich sucht mein Blick den Boden ab, ob die Blutflecken noch zu entdecken sind, doch die Zeit und die Reinigungskräfte haben wohl ganze Arbeit geleistet. Der Film „Fruitvale Station“ erzählt die Geschichte eines 22-jährigen Schwarzen, der in der Neujahrsnacht 2009 von Polizisten aus dem Zug geholt und gefesselt auf dem Boden liegend von einem Polizisten erschossen wurde. Der erklärte später, er habe seinen Taser mit seiner Pistole verwechselt. Es kam zu schweren Krawallen in San Francisco, Oakland und anderen Städten.


Erinnerungen an Unruhen werden wach

Das Risiko für junge Afroamerikaner in den USA von der Polizei erschossen zu werden ist 21-mal so hoch wie für einen weißen Jugendlichen, hat die Recherche-Organisation Pro Publica errechnet. Und da sind nicht die alltäglichen Schikanen, die kleinen Widrigkeiten und Probleme berücksichtigt. Auf sie wies die Präsidentschaftskandidation Hillary Clinton in einer Rede hin. Polizisten dürften von den Menschen in den USA nicht verteufelt werden. Aber weiße US-Bürger müssten auch besser zuhören, wenn Schwarze über „die sichtbaren und unsichtbaren Barrieren“ sprächen, denen sie ständig begegneten.

Doch es gibt auch andere Stimmen, und die sind laut. Sarah Palin, Ex-Gouverneurin von Alaska, bezeichnete noch am Donnerstag die Bewegung „BlackLivesMatter“ als „Farce“. Der Chef der „National Association of Police Organizations“, William Johnson, erklärte im konservativen TV-Sender Fox News, es sei US-Präsident Barack Obama, der einen „Krieg gegen die Polizei” angezettelt habe.

In mehreren Städten der USA war es auch am Freitag wieder zu Demonstrationen gekommen, die aber weitgehend friedlich verliefen. Präsident Barack Obama fliegt zu Wochenbeginn nach Dallas, um mit dem Bürgermeister und Angehörigen und Verletzten zu sprechen. Die Gefahr neuer Unruhen wie in den 70er- und 80er-Jahren sind noch nicht gebannt. Damals standen ganze Stadtteile in Städten wie Los Angeles in Flammen. Am Donnerstag gab es Nachahmungstaten. In Tennessee kam es zu einer Attacke auf einen Polizisten, wie die Kriminalpolizei des US-Staates mitteilte. Demnach sagte der Angreifer, er sei frustriert gewesen über die fatalen Schüsse auf die Afroamerikaner. Ebenso wurden in den US-Staaten Georgia und Missouri Polizeibeamte angegriffen. Insgesamt wurden vier Beamte verletzt.

Denn wenngleich der Täter von Dallas offenbar ein Einzeltäter war, er könnte zumindest ideologisch militanten Bürgerrechtsbewegungen nahe gestanden haben. Auf seiner mittlerweile gelöschten Facebook-Seite war er auf einem Foto mit erhobener rechter Faust zu sehen, einer typischen Geste der „Black-Power“-Bewegung. Auf dem Bild trug er eine bunte Tunika, und zudem war die rot-schwarz-grüne Afroamerikanische Flagge zu sehen, die in der Bewegung für die Rechte der Schwarzen in den 60er-Jahren populär war. Damals waren es die „Black Panther“, die teilweise mit Gewalt für die Rechte der Farbigen eintraten.

Auf jeden Fall fand die Polizei im Appartement des Attentäters, der am Donnerstag von der Polizei getötet worden war, eine große Sammlung von Waffen und Material für die Herstellung von Bomben. Das verheißt nichts Gutes.

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