Schnell wurde man fündig: Altkleiderhandel ist böse, denn er zerstört die afrikanischen Märkte. Je mehr Menschen das glauben, desto mehr Klamotten bleiben im Keller oder landen im Hausmüll, anstatt nach Tansania verschifft zu werden.
II. Externe Effekte
Immer wieder gab es Versuche, das Mitumba-Geschäft zu regulieren. Julius Nyerere, Tansanias erster Präsident nach der 1961 erreichten Unabhängigkeit, wollte einen sich selbst versorgenden Sozialismus aufbauen – Textilfabriken, die für den lokalen Markt produzieren, inklusive. Folgerichtig war Mitumba eines der ersten Güter, auf die er ein striktes Einfuhrverbot verhängte. Als der Sozialismus Anfang der Neunzigerjahre in Tansania zusammenbrach, fielen auch die Importhürden – und mit ihnen brach die lokale Textilindustrie fast schlagartig zusammen. Wer sucht, der findet in den Industriequartieren der Hauptstadt noch heute verfallende Fabriken oder ehemalige Angestellte, die über das Verschwinden der Textilindustrie klagen.
Es waren auch, aber nicht nur die deutschen Altkleider, die den Markt kaputt gemacht haben. Die lokale Textilindustrie wäre heutzutage auch ohne Mitumba nicht wettbewerbsfähig: Moderne Hersteller müssen entweder mit viel Handarbeit Massenware produzieren, wie in Bangladesch – oder erlesene Premiumprodukte, die teures Equipment erfordern und am Ende viel Geld kosten. Tansania aber ist mit seinen 42 Millionen Einwohnern weder ein geeigneter Beschaffungs- noch Absatzmarkt: Es fehlt – anders als in Bangladesch – an billigen und devoten Näherinnen, an Kapital und Know-how, an einer kaufkräftigen Kundschaft.
Viele einheimische Beobachter bewerten den Zustrom der Klamotten aus dem Norden gar nicht so negativ. Denn rund um Mitumba hat sich ein lukrativer Markt der Weiterverarbeitung etabliert. Da die gebrauchten Waren aus Europa so günstig wie asiatische Erstware sind, aber von viel höherer Qualität, werden sie als Ausgangsprodukt genutzt, um daraus höherwertige Modeware zu fertigen. Selbstständige Schneider oder Kleinkollektive verzieren die Klamotten mit Ornamenten oder Aufdrucken und schaffen so neue Werte.
III. Marktmacht
Horst Tschöke war nie in Tansania, vom Textilhandel hat er keine Ahnung, aber ein bisschen mitverdienen möchte er trotzdem. Um genau zu sein, sind es 150.000 Euro im Jahr, auf die er es abgesehen hat. Tschöke ist Geschäftsführer der Entsorgungsgesellschaft der Stadt Herne im nördlichen Ruhrgebiet, und für diesen Herbst hat er eine klare Mission: den örtlichen Altkleidermarkt übernehmen.
„Es gibt einen Wildwuchs von Containern in der Stadt, das stört das Stadtbild und zieht eine weitere Vermüllung nach sich“, referiert Tschöke die offizielle Erklärung. Neben den zwei karitativen Organisationen, die in Herne schon seit Urzeiten Altkleider sammeln, sind in den vergangenen Jahren immer mehr gewerbliche Sammler hinzugekommen. Die stellen ihre Container irgendwo im Stadtgebiet auf, hoffen, dass sich keiner beschwert und ein paar Menschen ihre Kleider hineinwerfen. Gerade deshalb sind Plätze wie der am Berliner Wohnsilo so beliebt. Auf Kleinanzeigenportalen im Internet werden demjenigen bis zu 500 Euro pro Jahr geboten, der sein Grundstück für einen Container zur Verfügung stellt. Die Kehrseite: Dort, wo viele Menschen wohnen, die sich untereinander kaum kennen, fühlt sich auch keiner für Sauberkeit und Ordnung an der Sammelstelle verantwortlich.
„Die Container ziehen den Dreck quasi an“, sagt Tschöke. Es ist ein Phänomen, das amerikanische Soziologen einmal Broken-Window-Theorie getauft haben. Mit jeder demolierten Scheibe im Downtown-Ghetto von Detroit oder Chicago sinkt die Hemmschwelle, eine weitere einzuschmeißen. Wird aber die erste Scheibe schnell repariert, schmeißt keiner eine zweite ein. Einen ähnlichen Zusammenhang vermutet Tschöke zwischen Altkleidercontainern und den Unrathaufen daneben. Man könnte einwenden: Bei allen Problemen, Herne ist nicht die Bronx. Und Tschökes Argumente sind vielleicht nur ein Vorwand.