Das Geschäft mit Lumpen Wie mit unseren Altkleidern Profit gemacht wird

Die einen wollen mit dem Sammeln von Gebrauchtem öffentliche Kassen füllen, andere am Weltfrieden arbeiten oder einer effizienten Entsorgung. Am Ende landen alle Klamotten auf demselben afrikanischen Basar. 300 Millionen Euro werden damit pro Jahr gemacht. Wer am Geschäft mit den Lumpen alles mitverdient.

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Altkleider: Wer am Geschäft mit Lumpen verdient Quelle: dpa

Man kennt die Geschichten: In Afrika werden Rohstoffe abgebaut, nach Europa exportiert und hier veredelt. Arme Afrikaner, skrupellose Europäer. Diese aber geht genau andersherum. Silvano Nyakapala, Händler auf dem Markt von Daressalam, macht in Tansania einen Rohstoff grammweise zu Geld, für dessen Abbau es in Europa nur ein paar Hundert Euro pro Tonne gibt: Altkleider. Die Minen für diesen Rohstoff stehen zum Beispiel mitten in Berlin: Hafenplatz 5–7, zwischen Landwehrkanal und Potsdamer Platz.

Die einstige Mauerrandlage ist einer dieser vielen Orte in der Mitte der Hauptstadt, an denen sich wohlhabendes Publikum breitmacht. Oder, aus der Perspektive von Herrn Nyakapala gesehen: wo besonders wertvolle Rohstoffe abgebaut werden können. Doch am Hafenplatz ist eine Lücke geblieben. Zwischen den noblen Eigentumswohnungen hat sich ein stufenweise aufragender Wohnblock gehalten. Abblätternde Farbe, ein paar verrostete Schaukeln im Innenhof und Graffiti, so weit die Arme reichen. An gleich vier Seiten grenzt der Block an öffentliche Straßen – für Unternehmer wie Alaittin Nargül die perfekte Kombination.

Seine Firma Altkleidervertrieb Nargül hat an der südöstlichen Ecke des Blocks einen Container aufgestellt, genauso wie das Unternehmen Berlin-Textilrecycling. Weiter nördlich steht die Haytex GmbH, am südwestlichen Eck das Deutsche Rote Kreuz mit zwei Containern. Sie alle wollen das Gleiche: die Altkleider der Nachbarn aus den netten Eigentumswohnungen.

Einzigartiges Panoptikum

Die Berliner Traumlage für Kleidersammler ist ein ziemlich gewöhnliches Beispiel für eine Welle, die seit einigen Monaten über Deutschland schwappt. Wo gestern noch ein Vorgarten war, befindet sich heute schon ein Altkleidercontainer. Mal steht der Name eines Unternehmens drauf, mal der des städtischen Entsorgungsbetriebs, mal der einer Wohlfahrtsorganisation, manchmal gar kein Hinweis auf den Betreiber. Nur eines fehlt nie: der Verweis auf die gute Tat, die der Spender mit seiner Abgabe vollbringe.

Der Grund für die Verbreitung ist zunächst ein ziemlich simpler: der Preis. Laut dem Marktbericht des Branchendienstes der Entsorger „Euwid“ gibt es für eine Tonne Altkleider derzeit rund 400 Euro, auch wenn bereits vor einer bevorstehenden Abkühlung des Marktes gewarnt wird. Vor wenigen Jahren waren es 200 Euro, ein bisschen früher wurde man die Waren gar nicht kostendeckend los. Das erklärt den Boom auf oberflächliche Weise. Doch dahinter steckt eine komplexere Erzählung.

Alle Marktverzerrungen treffen aufeinander

Sie handelt davon, was passiert, wenn Gewinnstreben, Moral und klamme Staatskassen aufeinandertreffen. Sie zeigt, dass Märkte nicht immer zu optimalen Ergebnissen führen – sie auch gestört sein können durch asymmetrische Information, öffentliche Güter, Marktmacht und externe Effekte. Der Markt für Altkleider ist geradezu ein einzigartiges Panoptikum des ökonomischen Grauens: Alle Verzerrungen, die schon vereinzelt absurde Auswirkungen haben, hier existieren sie fröhlich nebeneinander.

I. Öffentliche Güter

In Daressalam, Tansania, ist der Einkaufsbummel an diesem Mittag ein Balanceakt auf Holzbohlen, doch das stört die Menschen nicht: Kaum ist die Sonne nach dem Regenguss zurück, zwängt sich Kundschaft durch die matschige Enge des Markts von Mchikichnini. Sofort wird es laut. Unter all dem Gebrüll immer wieder dieses eine Wort: „Mitumba“, der Suaheli-Begriff für „Ballen“. Das beschreibt den Zustand, in dem die Ware ankommt, um die sich hier alles dreht. Klamotten, sauber, aber ungebügelt und verschnürt, in Paketen zu je 50 Kilogramm. Mehr als 12.000 Händler bieten hier Tag für Tag ihre Waren an, es ist neben dem kenianischen Mombasa der zentrale Umschlagplatz für den kompletten ostafrikanischen Altkleidermarkt – den bedeutendsten der Welt.

So sauber sind unsere Modelabels
Eine Frau mit einer Zara-Tasche Quelle: REUTERS
Ein Laden von Tommy Hilfiger Quelle: AP
Platz 12: PrimarkEs ist gar nicht einfach, den H&M-Herausforderer aus Irland zu kontaktieren. Primark hat weder in Deutschland noch im Rest der Welt eine Pressestelle, an die Journalisten ihre Anfragen richten können. Erst nach einer knappen Woche melde sich eine externe PR-Agentur und beantwortet einige Fragen zu Recherchen der WirtschaftsWoche: Dass eine Primark-Bestellung bei einem Zulieferer landete, der westlichen Standards nicht entspricht, sei ein Einzelfall gewesen. Ein lizenzierter Lieferant habe die Order ohne Kenntnis und Einverständnis der Iren an diese Fabrik ausgelagert. Was eigentlich gar nicht passieren darf, denn über seine Homepage verpflichtet nagelt sich der irische Discounter auf „ethischen Handel“ und höchste Sozialstandards bei Lieferanten fest. Dies wird allerdings nicht nur durch die Recherchen der WirtschaftsWoche konterkariert – zumal der Hersteller insgesamt bei Details merkwürdig mauert: Primark will weder die Zahl der Lieferanten oder die der internen Auditoren kommunizieren, noch die wichtigsten Lieferländer und den Anteil der Direktimporte nennen.Transparenz -Kontrolle -Verantwortung - Quelle: Screenshot
Ein New Yorker-Store in Braunschweig Quelle: Screenshot
Menschen vor einer Ernsting's Filiale Quelle: Presse
Das Logo der Modekette Tom Tailor Quelle: dapd
Eine Verkäuferin reicht in einem Esprit-Store in Düsseldorf eine gepackte Einkaufstasche über die Kasse Quelle: dpa

Während in Ostafrika die meisten Abnehmer von Altkleidern leben, ist Deutschland einer der wichtigsten Exporteure. Das liegt zwar auch daran, dass Deutschland ein wohlhabendes und leidlich großes Land ist, in erster Linie aber an der einzigartigen Kultur des Sortierens und Wiederverwertens hierzulande. In Südeuropa sind Altkleidersammlungen völlig unüblich.

Triviale Erfindung

Bei uns waren es zunächst kirchliche und wohltätige Organisationen, die in der Nachkriegszeit begannen, von Tür zu Tür zu gehen, um die Spenden zu sammeln. Die gesammelten Klamotten landeten dann in Kleiderkammern, wo Bedürftige sich versorgen konnten. Bald aber überstieg die Menge der gesammelten Kleider die Nachfrage bei Weitem, man begann, die Kleider weiterzuverkaufen.

Eine ziemlich trivial erscheinende Erfindung machte Anfang der Neunzigerjahre daraus ein Geschäftsmodell: der Altkleidercontainer. Die Container standen von nun an dauerhaft an der Straße und wurden regelmäßig geleert. Für die Wohltätigkeitsorganisationen wurden die Altkleider so zur regulären Einnahmequelle. Sie schlossen Verträge mit Entsorgungsunternehmen ab, die feste Mengenpreise garantierten. Die Container passten perfekt in das Heimatland des „Kreislaufwirtschaftsgesetzes“: So wie wir leere Weinflaschen brav zum Glascontainer bringen, landen Altkleider im Container. Einfach wegwerfen? Wäre doch schade drum!

Insgesamt kommen so in Deutschland pro Jahr rund 750.000 Tonnen Altkleider zusammen, das entspricht 1,5 Milliarden ordnungsgemäß entsorgten Textilien oder einem Marktvolumen von rund 300 Millionen Euro – wenn die Klamotten verkauft werden. Das hinterlässt einen ordentlichen Profit, denn in der Herstellung sind sie unschlagbar günstig: Sie kosten nichts außer dem guten Willen des Entsorgenden.

Ein öffentliches Gut zeichnet sich allgemein dadurch aus, dass es in scheinbar unbegrenzter Menge verfügbar ist. So steht die Sache auch bei den Altkleidern: Was in den nie ausgeräumten Umzugskisten, unerreichbaren Regalmetern und vergessenen Schubfächern der deutschen Reihenhaussiedlungen lagert, würde genügen, um den Weltmarkt dauerhaft zu versorgen.

Das macht Altkleider attraktiv, aber wie bei jedem öffentlichen Gut gibt es auch hier einen Haken. Wenn die Nutzung nicht koordiniert erfolgt, sondern exzessiv, dann verbraucht es sich. Das passiert bei Altkleidern nicht auf so klassische Weise wie bei Fischgründen, sondern über Umwege. Denn den Kampf um die Altkleider gewinnt nicht derjenige, der den besten Preis bietet oder die besten Herstellungsverfahren kennt. Sondern wer die beste Geschichte zu erzählen hat – oder sie sich ausdenkt. Bald aber prangte auf jedem Container ein glückliches Kindergesicht, und die Suche nach dem Haken begann.

Lokale Textilindustrie brach schlagartig zusammen

Schnell wurde man fündig: Altkleiderhandel ist böse, denn er zerstört die afrikanischen Märkte. Je mehr Menschen das glauben, desto mehr Klamotten bleiben im Keller oder landen im Hausmüll, anstatt nach Tansania verschifft zu werden.

II. Externe Effekte

Immer wieder gab es Versuche, das Mitumba-Geschäft zu regulieren. Julius Nyerere, Tansanias erster Präsident nach der 1961 erreichten Unabhängigkeit, wollte einen sich selbst versorgenden Sozialismus aufbauen – Textilfabriken, die für den lokalen Markt produzieren, inklusive. Folgerichtig war Mitumba eines der ersten Güter, auf die er ein striktes Einfuhrverbot verhängte. Als der Sozialismus Anfang der Neunzigerjahre in Tansania zusammenbrach, fielen auch die Importhürden – und mit ihnen brach die lokale Textilindustrie fast schlagartig zusammen. Wer sucht, der findet in den Industriequartieren der Hauptstadt noch heute verfallende Fabriken oder ehemalige Angestellte, die über das Verschwinden der Textilindustrie klagen.

Es waren auch, aber nicht nur die deutschen Altkleider, die den Markt kaputt gemacht haben. Die lokale Textilindustrie wäre heutzutage auch ohne Mitumba nicht wettbewerbsfähig: Moderne Hersteller müssen entweder mit viel Handarbeit Massenware produzieren, wie in Bangladesch – oder erlesene Premiumprodukte, die teures Equipment erfordern und am Ende viel Geld kosten. Tansania aber ist mit seinen 42 Millionen Einwohnern weder ein geeigneter Beschaffungs- noch Absatzmarkt: Es fehlt – anders als in Bangladesch – an billigen und devoten Näherinnen, an Kapital und Know-how, an einer kaufkräftigen Kundschaft.

Viele einheimische Beobachter bewerten den Zustrom der Klamotten aus dem Norden gar nicht so negativ. Denn rund um Mitumba hat sich ein lukrativer Markt der Weiterverarbeitung etabliert. Da die gebrauchten Waren aus Europa so günstig wie asiatische Erstware sind, aber von viel höherer Qualität, werden sie als Ausgangsprodukt genutzt, um daraus höherwertige Modeware zu fertigen. Selbstständige Schneider oder Kleinkollektive verzieren die Klamotten mit Ornamenten oder Aufdrucken und schaffen so neue Werte.

III. Marktmacht

Horst Tschöke war nie in Tansania, vom Textilhandel hat er keine Ahnung, aber ein bisschen mitverdienen möchte er trotzdem. Um genau zu sein, sind es 150.000 Euro im Jahr, auf die er es abgesehen hat. Tschöke ist Geschäftsführer der Entsorgungsgesellschaft der Stadt Herne im nördlichen Ruhrgebiet, und für diesen Herbst hat er eine klare Mission: den örtlichen Altkleidermarkt übernehmen.

„Es gibt einen Wildwuchs von Containern in der Stadt, das stört das Stadtbild und zieht eine weitere Vermüllung nach sich“, referiert Tschöke die offizielle Erklärung. Neben den zwei karitativen Organisationen, die in Herne schon seit Urzeiten Altkleider sammeln, sind in den vergangenen Jahren immer mehr gewerbliche Sammler hinzugekommen. Die stellen ihre Container irgendwo im Stadtgebiet auf, hoffen, dass sich keiner beschwert und ein paar Menschen ihre Kleider hineinwerfen. Gerade deshalb sind Plätze wie der am Berliner Wohnsilo so beliebt. Auf Kleinanzeigenportalen im Internet werden demjenigen bis zu 500 Euro pro Jahr geboten, der sein Grundstück für einen Container zur Verfügung stellt. Die Kehrseite: Dort, wo viele Menschen wohnen, die sich untereinander kaum kennen, fühlt sich auch keiner für Sauberkeit und Ordnung an der Sammelstelle verantwortlich.

Mode ist selten fair und ökologisch
Die Initiative Rank a Brand, die in Deutschland und in den Niederlanden aktiv ist, hat Modemarken auf ihr Engagement zum Klima- und Umweltschutz sowie zu fairen Arbeitsbedingungen in der Produktion untersucht. Die Ergebnisse werden im neuen „FeelGoodFasion Report 2014“ veröffentlicht und zeigen, welche Marken Sie mit gutem Gewissen tragen können. Eine Auswahl. Quelle: dpa
Bei einer Vielzahl der untersuchten Markenhersteller stellen die Macher der Studie allerdings einen engen Bezug zum Greenwashing fest. Das betrifft aktuell gut 30 Prozent der Kleidermarken. Mit dabei: der französische Luxushersteller Louis Vuitton. Nicht die einzige Edel-Marke... Quelle: rtr
...denn auch der Metzinger Hugo-Boss-Konzern erhält trotz seiner Kommunikation zum Thema Nachhaltigkeit ein E-Label; das ist die schlechteste Bewertung im Ranking. Quelle: dpa
Genauso schneidet auch die Marke Hollister des US-Unternehmens Abercrombie & Fitch nicht gut ab und erhält nur ein E-Label. Der Konzern hat kürzlich schon wegen schlechter Arbeitsbedingungen Schlagzeilen gemacht. Quelle: dpa
Beim Greenwashing ertappt wurden auch die Modeketten New Yorker, Carhartt und Bugatti Shoes. Ebenso erhält die deutsche Firma Uhlsport mit dem E-Label die niedrigste Bewertungsstufe im Ranking. Bei allen genannten liegt der Verdacht nahe, dass Nachhaltigkeit nicht substantiell, sondern vorrangig kommunikativ angegangen wird, so die Macher von Rank a Brand. Die vollständige Liste derjenigen Marken, die in der Studie ein E-Label erhalten haben, finden Sie im Internet. Quelle: Screenshot
Das begehrte A-Label erhalten überwiegend sowieso schon "grüne"-Marken wie Mud Jeans aus den Niederlanden. Volle Punktzahl gibt es unter anderem beim Umwelteinsatz, denn das Produktionsvolumen besteht zu mehr als 25 Prozent aus umweltzertifizierten und / oder recycelten Rohstoffen. Zudem werden in der Produktion GOTS zertifizierte Verfahren zum Umweltschutz angewendet und als Mitglied der Business Social Compliance Initiative (BSCI) engagiert sich Mud Jeans aktiv zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben. Quelle: Screenshot
Die beste Bewertungsstufe im Ranking erhält auch die schwedische Marke Nudie Jeans. Das Produktionsvolumen besteht zu mehr als 25 Prozent aus umweltzertifizierten und / oder recycelten Rohstoffen. Zudem werden in der Produktion GOTS zertifizierte Verfahren zum Umweltschutz angewendet. Als Mitglied der Fair Wear Foundation (FWF) engagiert sich Nudie Jeans außerdem aktiv zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben und berichtet transparent über die Ergebnisse. Ebenso untersagt Nudie Jeans das Sandstrahlen von Jeans. Quelle: Screenshot

„Die Container ziehen den Dreck quasi an“, sagt Tschöke. Es ist ein Phänomen, das amerikanische Soziologen einmal Broken-Window-Theorie getauft haben. Mit jeder demolierten Scheibe im Downtown-Ghetto von Detroit oder Chicago sinkt die Hemmschwelle, eine weitere einzuschmeißen. Wird aber die erste Scheibe schnell repariert, schmeißt keiner eine zweite ein. Einen ähnlichen Zusammenhang vermutet Tschöke zwischen Altkleidercontainern und den Unrathaufen daneben. Man könnte einwenden: Bei allen Problemen, Herne ist nicht die Bronx. Und Tschökes Argumente sind vielleicht nur ein Vorwand.

"Die Städte sind an den Einnahmen interessiert"

Denn wo die Städte die Sammlung an sich reißen, bleibt kein Platz für andere. Mit ihren hoheitlichen Rechten können sie alle anderen Container entfernen lassen, weil sie entweder auf öffentlichem Grund stehen oder dieser genutzt wird, um sie zu befüllen. „Die Städte sind an den Einnahmen interessiert, das ist alles“, sagt Jörg Lacher, Geschäftsführer des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung.

Bis 2012 war es Städten nicht erlaubt, sich in den Altkleidermarkt einzumischen. Die Unternehmen mussten entsprechende Sammlungen nur anzeigen, die Verwaltung prüfte lediglich die Zuverlässigkeit der Anbieter. Solange die Unternehmen ihre Container nicht auf öffentlichen Grund stellten, mussten die Verwaltungen es akzeptieren.

Auch auf Drängen der öffentlichen Unternehmen, denen die sagenhaften Preise für die alten Kleider zu Ohren gekommen waren, öffnete der Gesetzgeber vor zwei Jahren ein Hintertürchen im Kreislaufwirtschaftsgesetz. Wenn ein „öffentliches Interesse“ es rechtfertigt, dürfen die Städte den Wildwuchs an Containern beseitigen und selbst tätig werden. Sie können dann nicht nur einzelne Container entfernen, sondern die Sammlung als Ganzes übernehmen.

Ein offenes Spiel

Die Städte machen davon extensiv Gebrauch: Mehrere Dutzend Großstädte haben inzwischen eigene Sammlungen, unter den kleineren Gemeinden sind es noch viel mehr. Den freien Unternehmen bleibt dagegen nur der Gang vor Gericht. An fast allen deutschen Verwaltungsgerichten werden inzwischen Streitigkeiten zwischen Entsorgungsunternehmen und Stadtverwaltungen ausgetragen, mal obsiegen die Städte, mal die Sammler. „Die Rechtslage ist ziemlich unübersichtlich“, sagt Verbandsvertreter Lacher.

von Florian Willershausen, Henryk Hielscher, Philipp Mattheis

Gerade hat das Verwaltungsgericht München dem Landkreis Landsberg am Lech untersagt, die gewerblichen Entsorger aus dem Markt zu drängen. Die Unternehmen genössen Vertrauensschutz. Anderswo wird es den Städten erlaubt. Bis eine höchstrichterliche Entscheidung ergeht, wird der Gang vor Gericht ein offenes Spiel bleiben. Gerade deshalb aber scheuen sowohl Verwaltungen als auch Unternehmen den Gang durch die Instanzen: Solange alles unklar ist, können beide Seiten ihr Glück zumindest mal versuchen.

"Südkoreaner und Chinesen haben Preise verdorben"

Horst Tschöke hat noch eine andere Reaktion beobachtet. „Seit einige unserer Nachbarstädte begonnen haben, gegen Altkleidercontainer vorzugehen, tauchen bei uns in Herne immer mehr auf.“ Die karitativen Sammler hingegen setzen zumeist noch auf Kooperation. Immerhin haben sie das starke Argument der guten Tat. Damit gelingt es ihnen, den Städten zumindest einzelne Stellplätze oder einen Anteil an den Einnahmen abzuringen.

Doch je größer die Haushaltsnot ist, desto geringer wiegen diese Argumente. Oder, wie es die Monopolkommission in ihrem aktuellen Bericht ausdrückt: „Kommunale Entsorger weiten ihre unternehmerischen Tätigkeiten in jüngster Zeit deutlich aus. Im Ergebnis werden die vorrangigen Ziele der veränderten Regelungen zu gewerblichen Sammlungen – die Stärkung des Wettbewerbs sowie eine Verbesserung der Qualität und Quantität des Recyclings – gerade nicht erreicht.“

IV. Asymmetrische Information

Auch wenn ihr Geschäft in Gefahr gerät, zumindest ein wenig Schadenfreude könnte den gewerblichen Sammlern am Ende bleiben. Denn die Mühlen der Verwaltung malen langsam. So vergeht zwischen der Entscheidung der Stadt Herne, in die Altkleiderentsorgung einzusteigen, und der Aufstellung des ersten Containers, mehr als ein halbes Jahr. Und damit gehört die Stadt noch zu den schnelleren. Doch während die Verwaltung prüft, genehmigt und vollzieht, stehen auch die Absatzmärkte nicht still.

Die beiden Sprösslinge Frank und Wolfgang der Familie Dohmann sind Dortmunder Lumpensammler seit 1926. Einst verarbeiteten sie alte Textilien zu Rohrdichtungen für die Schwerindustrie. Doch mit dem Niedergang der Industrie geriet auch ihr Geschäftsmodell in Gefahr. Sie entdeckten, dass sie mit den Textilien deutlich mehr verdienen konnten, wenn sie die brauchbaren Teile weiterverkauften. Verträge mit den Wohltätigkeitsorganisationen der Region sichern ihnen heute einen zuverlässigen Zustrom an Waren.

Ihre Aufgaben haben die beiden klar aufgeteilt: Wolfgang Dohmann kümmert sich zu Hause darum, dass die Sortieranlage stets Futter bekommt. Frank Dohmann, sein jüngerer Bruder, ist der Weltenbummler mit Kontakten zu Händlern und Häfen in Afrika und Asien. Wenn es gut läuft, reist er dafür zwei- oder dreimal im Jahr nach Daressalam. Aber gut läuft es gerade nicht, deshalb ist Dohmann fast permanent in Afrika. „In Ostafrika dominieren Südkoreaner und Chinesen den Markt“, klagt Dohmann, „die haben uns die Preise verdorben.“

Was deutsche Kämmerer noch nicht ahnen: Westliche Händler drohen im Handel mit Gebrauchtklamotten ins Hintertreffen zu geraten. Schon vor rund zehn Jahren gab es einmal einen heftigen Preiseinbruch, als die Ostafrikaner reihenweise auf importierte Neuware von chinesischen Herstellern umstellten. Die Qualität dieser Waren erwies sich jedoch als so minderwertig, dass viele Kunden wieder auf europäische Zweitware umstiegen.

Nun hat die Konkurrenz dazugelernt, die günstigen Neuwaren sind besser geworden. Hinzu kommt: Allein China produziert jedes Jahr für den eigenen Markt 43 Millionen Tonnen Kleidung – und jährlich landen 26 Millionen in der Tonne. Langsam beginnt man auch dort, die gebrauchten Klamotten weiterzuverwenden. Da die Transport- und Logistikkosten deutlich niedriger als in Europa liegen, kommt die getragene Ware gut 30 Prozent günstiger in Afrika an.

Warum asiatische Altkleider die europäischen verdrängen

In Daressalam lagern Dohmanns „Mitumba“-Packen aus den Malteser-Containern mit ihren rund 40 Kilogramm Gewicht direkt neben asiatischen Ballen mit dem doppelten Gewicht. Der Preis ist fast der gleiche. In einer Holzhütte mitten im Markt von Daressalam sitzt Ali Mualim Urembu. Der kahle Mittfünfziger ist am Markt von Mchikichnini einer der wichtigsten Männer, er leitet die Abteilung für Gebrauchtwaren.

„Der Stückwaren-Absatz läuft gut, aber die Qualität der Waren wird immer schlechter, und die Margen sinken“, sagt der Marktmanager. „Die Großhändler drücken billige Klamotten aus China und Südkorea in den Markt“, sagt er. Wer Europas Mitumba kaufen wolle, habe schlechte Karten: „Unsere Großimporteure arbeiten fast nur noch mit Asiaten zusammen, weil auch für sie die Gewinne dabei größer sind“, erzählt Urembu.

Lila für die Ladys

Ähnliches berichtet Silvano Nyakapala, der auf verschlungenen Pfaden zu seinem Verkaufsstand führt. Flink bewegt er sich durch den verwinkelten Markt aus Tausenden Blechcontainern und Holzhütten. Er springt über Pfützen, biegt links und rasch wieder rechts ab. „Ich kaufe kaum noch Ware aus Europa, weil die Größen für unsere Frauen zu groß sind“, sagt der Händler. „Außerdem tragen die Asiaten gern lila, so wie unsere afrikanischen Ladys.“

Der Altkleidermarkt ist heute zwar globalisiert wie jeder andere, aber der Gang von Informationen ist hier nach wie vor ein ziemlich unübersichtlicher. Da es keine zentralen Handelsplattformen oder Börsen gibt, verbreiten sich Preise nur über informelle Wege. Mit anderen Worten: Wer keinen Kontakt in Daressalam hat, der erfährt viel zu spät, wie es um seine Absätze steht.

Für Horst Tschöke könnte die ganze Geschichte daher noch zu einem großen Ärgernis werden. Er investiert gerade in Container, bald auch in Fahrzeuge und Personal. Wenn die Preise wie prophezeit sinken, würde all das die ohnehin hoch verschuldete Stadt weiter belasten.

Der Berliner Hafenplatz mit seinen vielen Containern ist kein Schmuckstück in der schmucken Hauptstadt. Seinen vielversprechenden Namen hat er aus einer Zeit, als hier noch Waren umgeschlagen wurde, das einstige Hafenbecken aber ist längst zugeschüttet, ein reizloser Park und eine donnernde Hauptstraße sind an die Stelle getreten.

Als Reiseziel für lernwillige Ökonomen, geläuterte Stadtkämmerer und gegängelte Unternehmer aber ist er trotzdem eine Reise wert. Ein bisschen dreckig, aber mit viel Freiheit und Profitchancen für jeden, der sich streckt. Richtig schön kapitalistisch eben.

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