„Das wird eine lange Nachspielzeit“ So reagieren Wirtschaft und Politik in Deutschland auf die US-Wahl

Joe Biden oder Donald Trump: Wer gewinnt den Kampf ums Weiße Haus? Quelle: imago images

Deutsche Politiker und Ökonomen stellen sich auf eine lange Hängepartie bei der US-Wahl ein. Sie warnen unisono: Schwieriger wird das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA ohnehin, egal wer gewinnt.

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Ein Überblick über die Reaktionen aus Wirtschaft und Politik:

Der Präsident des deutschen Industrieverbandes BDI, Dieter Kempf, warnt vor einer längeren Phase der Unsicherheit. Alle Stimmen müssten ausgezählt und der rechtmäßige Sieger gekürt werden. „Wir hoffen sehr, dass die Situation in den Vereinigten Staaten nun nicht eskaliert und alle einen kühlen Kopf bewahren.“ Nach der Wahl müsse es einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen geben. „Unsere Partnerschaft ist in den vergangenen vier Jahren in schwieriges Fahrwasser geraten. Die USA müssen endlich darauf verzichten, Zölle unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit zu erheben oder anzudrohen.“

Die Amerikanische Handelskammer in Deutschland (AmCham Germany) stellt ihre Mitglieder auf ein Geduldsspiel ein. „In den nächsten Tagen ist es essentiell, geduldig auf die Ergebnisse der Wahl zu warten“, sagt AmCham-Präsident Frank Sportolari der Nachrichtenagentur Reuters. „Die Wahl ist nicht beendet, bis jede Stimme gezählt wurde – das ist das Schlüsselmerkmal der amerikanischen Demokratie.“ AmCham Germany vertritt etwa 2300 Unternehmen, die über den Atlantik hinweg Geschäfte machen. „Die transatlantische Wirtschaftsgemeinschaft schätzt ein stabiles politisches Umfeld inmitten eines Geistes von Vertrauen und Kooperation“, sagt Sportolari.

Vize-Kanzler Olaf Scholz betont, in den USA müssten zunächst alle Stimmen ausgezählt werden. „Das ist wichtig.“ Es müsse ein klares Ergebnis innerhalb demokratischer Prozeduren geben. Erst nach der Auszählung aller Stimmen sei die Wahl auch beendet – ein Seitenhieb auf US-Präsident Donald Trump, der sich trotz des knappen Rennens bereits zum Sieger erklärt hat. Scholz ergänzt, die USA würden unabhängig vom Wahlausgang ein wichtiger Partner für Deutschland und Europa bleiben.

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„Ich fürchte, dass man noch sehr, sehr lange diskutieren wird, falls es ein knappes Ergebnis wird“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier am Mittwochmorgen im ZDF mit Blick auf mögliche juristische Auseinandersetzungen.

CDU-Chefin und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat mit Sorge auf den bisher unklaren Ausgang der US-Präsidentschaftswahl reagiert. Die „Schlacht um die Legitimität des Ergebnisses“ habe jetzt begonnen, sagte sie am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. „Das ist eine sehr explosive Situation.“ Expertinnen und Experten warnten zu Recht vor einer Verfassungskrise in den USA. „Und das ist etwas, das uns insgesamt sicherlich sehr beunruhigen muss.“

„Wenn Trump gewinnt, ändert sich die globale Ordnung fundamental“, sagte Grünen-Chef Robert Habeck dem Sender ntv. Europa müsse sich einigen, sonst werde es international keine Rolle mehr spielen.

„Start in den Tag der Ungewissheit“, schrieb Grünen-Chefin Annalena Baerbock bei Twitter. „Ich wünsche mir für die Gesellschaft, die so tief zerrissen ist, Weg zur Heilung der Wunden. Fürs transatlantische Verhältnis eine gute Zukunft. Chance dafür ist noch offen. Aber Demokratie braucht Geduld, es ist die Stunde der Institutionen.“ Im ZDF-„Morgenmagazin“ sagte sie, es komme nun darauf an, dass die US-amerikanischen Institutionen ihre Arbeit machen und sicherstellen, „dass auch die letzte Briefwahlstimme ausgezählt wird.“ Die vergangenen vier Jahre unter Präsident Trump seien für die USA „hart“ gewesen, sagte Baerbock. Sie betonte: „Das ist eine demokratische Wahl, die Amerikanerinnen und Amerikaner entscheiden.“

Die AfD hält die vorzeitige Siegeserklärung von Präsident Donald Trump bei der US-Wahl für weitgehend unproblematisch. „Das ist vielleicht eher der Aufregung des Wahlgeschehens geschuldet“, sagte AfD-Chef Jörg Meuthen der Deutschen Presse-Agentur. Man müsse sich deshalb keine Sorgen um das Funktionieren der Demokratie in den USA machen. Er selbst sei mit solchen Verkündigungen allerdings vorsichtiger, „und ich bin damit bislang auch immer gut gefahren“. In einem ARD-Interview hatte er zur Siegeserklärung Trumps gesagt: „Ich halte es für unnötig, was der Präsident da gerade gesagt hat.“ Zudem halte er das Vorgehen des Präsidenten für unangemessen. Er gehe davon aus, dass es ein „ganz normales Ergebnis“ geben werde.

AfD-Vize Beatrix von Storch zog einen Vergleich mit der bevorstehenden Bundestagswahl. Sie sagte der dpa: „Der angebliche Vorsprung von Biden ist geschmolzen wie Eis in der Sonne. Trotz Corona, Black Lives Matter, der Internetzensur und der Anti-Trump-Kampagne hat Trump die Wähler in einem solchen Maß für sich mobilisiert, wie niemand vorausgesagt hat.“ Dies sei ein „Vorgeschmack auf das, was im Wahljahr 2021 auch in Deutschland passieren wird“. Dann werde sich der „Corona-Vorsprung“ von CDU und CSU als „Luftbuchung“ erweisen, und die AfD werde zusätzlich Millionen Wähler mobilisieren.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich spricht sich für eine stärkere „Abkoppelung“ Europas von den USA aus. Es gebe eine Unberechenbarkeit, die gerade mit dem Namen Donald Trump verbunden sei. „Wir müssen eine selbstbewusste Außen- und Sicherheitspolitik machen“, sagt er in der ARD mit Blick auf die EU. Dabei gehe es nicht alleine um Militärausgaben. Auch mit einem US-Präsident Joe Biden werde es große Interessensgegensätze geben. Er befürchte „Chaos“ in den USA, sollte der amtierende Präsident den Wahlsieg für sich beanspruchen.

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„Das wird eine lange Nachspielzeit“, sagte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Es komme nun doch zur „nicht ganz unerwarteten“ Hängepartie, mit möglichen Aufregern, Unruhe und Unsicherheit an den Finanzmärkten. „Das Gute ist, dass die ganzen Analysen über mögliche Folgen von Biden oder Trump noch eine Zeit lang weiterverwendet werden können. Das Negative ist allerdings, dass noch mal deutlich geworden ist, wie geteilt das Land ist.“

„Der Dollar dürfte im Falle eines Trump-Sieges kurzfristig aufwerten“, schätzt LBBW-Chefökonom Dirk Clench. Das lehre die Erfahrung aus dem überraschenden Wahlsieg Trumps 2016. „Zudem dürfte Trump die geopolitischen Konflikte eher anheizen als beruhigen. Daher sollte der Dollar als sicherer Hafen eher nachgefragt werden.“

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, sagte, an den Finanzmärkten werde man wohl heute ohne große Orientierung in den Handel starten und sich zunächst an den guten Vorgaben der Vortage orientieren. „Kommt es aber zu einer längeren Hängepartie oder einem knappen Sieg von Joe Biden mit Anfechtungsklagen der Republikaner wird man darüber wenig erfreut sein. Die gute Stimmung kann also auch jederzeit kippen.“

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, warnte dagegen vor „Panik“ im Falle einer Wiederwahl Trumps. „Wir haben vier Jahre durchgestanden. Wir werden weitere vier Jahre durchstehen“, sagte er im ZDF. Wirtschaftsminister Altmaier wies darauf hin, dass auch unter einem Präsident Joe Biden viele Probleme wie die Sorge vor amerikanischem Protektionismus blieben.

Sigmar Gabriel, der Vorsitzende der Atlantik-Brücke, die zum Ziel hat, die Zusammenarbeit Deutschlands und Europas mit den USA zu vertiefen, hat vor einem außenpolitischen Vakuum nach einem unklaren Wahlausgang in den USA gewarnt. Sollte die USA auf Monate mit sich selbst beschäftigt und ohne klare Führung sein, wäre das ein „Riesenproblem“, sagte der frühere SPD-Chef im ZDF-„Morgenmagazin“. „Das wird die freuen, die das Vakuum füllen wollen. Das sind China, Russland, die Türkei.“ Europa sei leider zu schwach, um das zu tun, sagte Gabriel. Für die Welt sei es sehr schwierig, wenn eine so große Nation wie die USA praktisch ausfalle.

Der Linke-Politiker Gregor Gysi hat die vorzeitige Siegeserklärung von Amtsinhaber Donald Trump bei der US-Wahl als „absolut unmöglich“ kritisiert. „Das ist auch wirklich undemokratisch. Man wartet die Auszählung ab und dann redet man über das Ergebnis“, sagte der außenpolitische Sprecher der Linke-Bundestagsfraktion im ZDF-„Morgenmagazin“. Zuvor hatte sich Trump zum Sieger erklärt und angekündigt, eine weitere Auszählung von Stimmen vom Obersten US-Gericht stoppen lassen zu wollen.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warnte davor, dass eine Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump die amerikanische Außenpolitik stark verändern könne. „Wenn die Nato nicht vier, sondern acht Jahre infrage gestellt würde, wäre dies etwas ganz anderes“, warnte er im ZDF.

Mehr zum Thema: „Diese Geduldsprobe wird zum Problem“, kommentiert WiWo-US-Korrespondent Julian Heißler die aktuellen Lage in den USA.

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