Davos 2016 – Interview mit Roland-Berger-Chef Bouée „Wie ein mittelalterlicher Jahrmarkt“

Nicht Krieg oder Flüchtlingskrise, sondern die Industrie 4.0 ist das Hauptthema des Weltwirtschaftsforums in Davos. Roland-Berger-Chef Charles-Edouard Bouée spricht darüber, warum dahinter eine große Gefahr lauert.

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Zum Gipfeltreffen in idyllischer Umgebung werden ab Mittwoch mehr als 2000 Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur erwartet. Quelle: Reuters

Davos Vierte industrielle Revolution und Digitalisierung - geht es in Davos dieses Jahr wirklich um die richtigen Themen angesichts von Nahost-Krise, Flüchtlingsdrama und Sorgen um China?
Bouée: Ja, eindeutig. Industrie 4.0 und Digitalisierung waren bereits 2015 ein Schlüsselthema für die Unternehmen und sind es auch dieses Jahr noch. 

Konkreter bitte!
Sie geben der Wirtschaft eine grundlegend neue Dimension, verändern die Art wie wir leben, konsumieren und arbeiten. Neue Daten, Konnektivität, Automatisierung und digitale Schnittstellen für Konsumenten stellen die gesamte bestehende Wertschöpfungskette in Frage.

Mit welchen Konsequenzen?
Daraus ergeben sich viele neue Möglichkeiten, aber auch große Veränderungen, die wir diskutieren müssen, da sie direkte Auswirkungen auf unsere Arbeitswelt und unser ganzes Leben haben. Software und Maschinen werden immer mehr Teile unserer heutigen Jobs übernehmen, was wiederum heißt, dass wir unsere Ausbildung und Qualifikationen überdenken müssen. Die digitale Transformation der Industrie, durch die wir effizienter produzieren und neue Geschäftsmodelle entwickeln können, schafft damit genauso große Chancen wie sie Herausforderungen und Risiken mit sich bringt.

Lässt sich das in Zahlen ausdrücken?
In einer Studie, die wir bei Roland Berger zusammen mit dem BDI durchgeführt haben, ergaben sich für die verarbeitende Industrie in Europa bis 2025 entweder ein Bruttozuwachs der Wertschöpfung von rund 1,25 Billionen Euro – oder eben ein Verlust von bis zu 605 Milliarden Euro durch entgangene Wertschöpfung, falls es uns nicht gelingt, die digitale Transformation zum Vorteil Europas zu gestalten.

Woran hapert’s denn?
Wir müssen schnell agieren und die regulatorischen Rahmenbedingungen entsprechend anpassen, damit sie die Entwicklung neuer Industrien fördern und nicht etwa behindern. Gleichzeitig braucht Europas Industrie eine solide, lückenlose Informations- und Kommunikationsstruktur, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Normen sind einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die Entwicklung der digitalen Zukunft und müssen von Unternehmen und Regierungen weltweit definiert werden. Und weil es dabei eben nicht nur um die Wirtschaft geht, sondern auch um Menschen, ist es doppelt wichtig, dass diejenigen, die globale Entscheidungen treffen, ihre Erkenntnisse zu diesem Thema mitteilen. 

Was erwarten Sie für sich von Davos?
Wenn ich Davos jemandem erklären müsste, der noch nie davon gehört hat, würde ich sagen, dass es sich um das moderne Äquivalent zu den großen mittelalterlichen Jahrmärkten handelt, die damals schon eine wichtige Rolle für die internationale Wirtschaft spielten.


Hilfe für die Unternehmen

Auch ein Jahrmarkt der Eitelkeiten?
Nein, auch heute noch geht es darum, andere Menschen zu treffen und mit ihnen Ansichten, Gedanken und Ideen auszutauschen. Dieser Prozess hilft uns dabei, die für unsere jeweiligen Unternehmen relevanten Entscheidungen zu treffen und im Sinne der weltweiten Wertegemeinschaft zu handeln.

Und das war’s?
Außerdem erwarte ich mir von Davos Erkenntnisse zu den wegweisenden Trends, die im kommenden Jahr ganz oben auf der Agenda von Politik und Wirtschaft stehen werden und im Übrigen nicht immer dem vorher festgelegten Thema entsprechen müssen.

Ein Beispiel bitte!
2015 etwa wurde mir bereits in den ersten Diskussionen klar, dass ,Künstliche Intelligenz' das Thema des Jahres sein würde. Und so war es dann auch.

Was kann Davos nicht?
Davos kann die Welt nicht verändern. Zumindest ist das Weltwirtschaftsforum kein Ort, an dem konkrete Lösungen zu bestimmten Problemen erarbeitet werden. Aber Davos liefert uns Einblicke in die Gedanken wichtiger Entscheider, zeigt, wie sie zu verschiedenen Themen stehen und wo ihre Prioritäten liegen.

Das Forum wird auch immer von vielen Seiten kritisiert. Welche Kritik teilen Sie und warum?
Davos wird oft als ,Treffen der Mächtigen' kritisiert, die jeweils nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Ich kann diese Kritik nachvollziehen. Gleichzeitig ist Davos für mich immer auch ein Forum, das jedes Jahr wieder zum Nachdenken anregt und zur öffentlichen Diskussion beiträgt: Es gibt Alternativveranstaltungen, NGOs melden sich zu Wort... auch diese Aspekte einer weltweiten Bewusstseinsbildung gehören eindeutig zu Davos!

Herr Bouée, vielen Dank für das Interview.

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