
David Cameron hatte eine schwere Aufgabe vor sich. Nicht, dass die Zuhörer im Kongresszentrum von Davos dem Europa-kritischen Premier am Freitagmittag mit Skepsis begrüßten. Nein, David Cameron stand unter Druck, seine Rede aus dem Vorjahr zu wiederholen, wenn nicht gar zu toppen. Vor fast genau einem Jahr erklärte der Tory-Politiker auf dem Weltwirtschaftsforum seine Europastrategie. Er legte dar, warum er seine Landsleute 2017 zur Wahl um die EU-Zugehörigkeit Großbritanniens bitten würde. Cameron bespielte die Bühne, lieferte eine leidenschaftliche 30-minütige Rede ab – und wurde für einen Tag zum Liebling der Wirtschaftselite.
Ein Jahr später erwarten alle von David Cameron einen ähnlich imposanten Auftritt. Schließlich steckt die Europäische Union – wenige Monate vor der Wahl zum Europäischen Parlament – in der Sinnkrise. Die Bürger wenden sich ab. Und Cameron hat zwar eine Vision für Europa, aber findet für seine Ideen kaum Unterstützer. Davos war gespannt – und wurde nicht enttäuscht.
Europa muss wettbewerbsfähiger werden
„Ich möchte die Globalisierung zu einer Erfolgsgeschichte für Großbritannien und Europa machen“, sagte Cameron. Der Westen sei bereits abgeschrieben worden. Das sei falsch gewesen. „Jobs kommen aus Asien zurück nach Europa. Milliarden-Investitionen fließen aus China und Indien etwa nach Großbritannien – dafür aber muss man auch die Bedingungen schaffen.“ Europa müsse sich ändern, muss wettbewerbsfähiger werden, ein liberales Wirtschaftsumfeld schaffen, die Steuern senken. „Nur so schaffen wir es, zu wachsen und den Wohlstand zu mehren.“
Wer wolle da widersprechen? In den vergangenen sechs Jahren sind die Volkswirtschaften Europas bestenfalls minimal gewachsen (Deutschland), mal stagnierten sie (Niederlande) – oft stürzten sie ins Bodenlose (Griechenland, Spanien, Portugal). Indien ist im gleichen Zeitraum um mehr als ein Drittel gewachsen, China noch deutlich kräftiger. Es führt kein Weg dran vorbei: Wenn Europa seinen Wohlstand wahren will, muss es den globalen Wettbewerb annehmen und wettbewerbsfähiger werden.
Darüber diskutiert Davos
Das besonders stark gesicherte Treffen unter dem Motto „Vertrauen schaffen“ war überschattet von Kriegsangst und Terrorbedrohung. 2004: Unter dem Motto „Zusammenschließen für Sicherheit und Wachstum“ stand die Kooperation der USA mit Europa in Wirtschafts- und Sicherheitsfragen im Mittelpunkt.
Themen wie internationale Krisenherde, Fragen des Welthandels und Umweltschutz wurden unter dem Motto „Verantwortung für schwierige Entscheidungen übernehmen“ zusammengefasst.
Die Teilnehmer sprachen unter dem Motto „Der kreative Imperativ“ vor allem über die aufstrebenden Volkswirtschaften von China und Indien, die Arbeitslosigkeit und Energiefragen.
Ein Hauptthema waren die Folgen des Klimawandels für die Umwelt und damit auch für die Wirtschaft. Das Motto: „Veränderungen im globalen Machtgefüge mitgestalten“.
Die Finanzkrise mit Turbulenzen an den internationalen Börsen war ein beherrschendes Thema des Treffens mit dem Motto „Die Kraft gemeinschaftlicher Innovationen“.
Das Forum mit dem Motto „Die Welt für die Zeit nach der Krise gestalten“ endete ohne konkrete Lösungsvorschläge für die globale Wirtschafts- und Finanzkrise.
Unter dem Motto „Den Zustand der Welt verbessern: überdenken, umgestalten, erneuern“ sahen mehrere Redner die Verantwortung für die Finanzkrise bei den Banken.
Hohe Schuldenberge, teure Rohstoffe, die Euro-Krise und Risiken beim Boom in China und Indien waren Themen unter dem Motto: „Gemeinsame Normen für eine neue Realität“.
Unter dem Motto „Die große Transformation - neue Modelle gestalten“ ging es unter anderem um die Euro-Krise, die Demokratiebewegungen in der Arabischen Welt und explodierende Nahrungsmittelpreise. 2013: Wege aus der Krise und der aktuelle Streit um ein vom britischen Premierminister David Cameron angekündigtes Referendum über den Austritt seines Landes aus der EU bestimmen die Diskussionen.
Der 2013-Gipfel stand einmal mehr im Zeichen der Euro-Krise. Die Regierungschefs von Italien und den Niederlanden, Mario Monti und Mark Rutte, EZB-Präsident Mario Draghi und IWF-Chefin Christine Lagarde – aber auch Deutschland-Kritiker wie Ökonom Joseph Stiglitz und Börsen-Guru George Soros (am Samstag) streiteten neben der Bundeskanzlerin über Ursachen und Auswege aus der Schuldenkrise.
Darüber hinaus wurde vor allem über Russland, die Globalisierung und Protektionismus gesprochen. Das offizielle Motto des 43. Weltwirtschaftsforums heißt sehr offen formuliert "Resilient Dynamism" (Widerstandsfähige Dynamik).
Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt nimmt in der kommenden Woche wieder ein Präsident des Iran am Treffen der politischen und wirtschaftlichen Weltelite in Davos teil. Von Präsident Hassan Ruhani werden beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums Aussagen zum Atomprogramm sowie Werbung für Investitionen im Iran erwartet.
Die Beratungen stehen unter dem Motto „Die Neugestaltung der Welt: Konsequenzen für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“. Insgesamt werden rund 2500 Teilnehmer aus fast 100 Ländern erwartet.
Während in Großbritannien die Debatte auf vollen Touren läuft, beäugt Kontinentaleuropa, auch Deutschland, die Diskussion in London mit Argwohn. Wie wird Europa flexibler? Wie können Unternehmensgründungen forciert werden? Wie sinken die Preise? Wer profitiert von der Zugehörigkeit zur Europäischen Union? Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht auf EU-Ebene einen Kurs vorzugeben – doch die Öffentlichkeit bleibt außen vor. Sie fürchtet, Diskussionen im eigenen Land um das Gebilde Europa könnten die Euro-Kritiker im linken und rechten Lager stärken. David Cameron ist da zum Glück mutiger.
"Wir können nicht immer neue Regeln schaffen“





„Es gibt immer noch Leute, die glauben, dass wirtschaftlicher Erfolg auf mehr Regeln und Soziale Wohltaten basiert“, kritisiert Cameron. „Ich glaube nicht dran.“ Es sei schade, dass es immer noch Parlamentarier in der EU gebe, „die immer neue Gesetze herausgeben wollen“. „Wir können nicht immer mehr Regeln schaffen, die Unternehmen müssen flexibel agieren können“, so der britische Premier.
Cameron fordert weniger Europa, weniger Einschränkungen (etwa beim Fracking), weniger Bürokratie. Das stößt nicht nur bei der Wirtschaft, sondern auch bei den Bürgern auf offene Ohren. In der Heimat macht die europakritische und rechtsgerichtete United Kingdom Independence Party von Nigel Farage dem Premier Druck. Cameron braucht dringend Ergebnisse, um eine Abwanderung seiner Wähler hinzu Farage zu verhindern. Doch nicht nur in Großbritannien, quer durch Europa dürften Brüssel-kritische Parteien zum Teil massiv an Stimmen zugewinnen. Bis zu einem Drittel aller Abgeordneten könnten nach Straßburg entsendet werden, die Europa am liebsten rückabwickeln wollen.
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David Cameron zählt sich selbst nicht dazu. Er wolle die EU nicht auflösen. Ihm gehe es darum, Europa zu stärken, dort wo es stärker sein muss. „Wir brauchen den Binnenmarkt, wir brauchen Freihandelabkommen zwischen Europa und anderen Wirtschaftsregionen und wir müssen unsere Interessen in der globalisierten Welt mit einer Stimme vortragen“, so der britische Premier.
Gleichzeitig will der Brite weniger Europa dort, wo Brüssel seiner Meinung nach ungerechtfertigt viel Einfluss hat. „Ich glaube, dass es die Rolle von Großbritannien in Europa ist, frei von der Leber zu sprechen und ganz klar zu sagen, was nicht passt“, so Cameron. Zu viel Bürokratie sei einer dieser Punkte, über die man streiten müsse.
Das Weltwirtschaftsforum
Bei öffentlichen Seminaren sowie bei vertraulichen Begegnungen geht es um Lösungsansätze für globale Herausforderungen. Das dabbei mögliche „Networking“, das Knüpfen beruflicher und geschäftlicher Kontakte, gilt als wichtiger Nebeneffekt.
Gegründet wurde das WEF von dem Wirtschaftsexperten Klaus Schwab. 1971 organisierte der im oberschwäbischen Ravensburg geborene Sohn eines Schweizer Fabrikdirektors auf eigenes finanzielles Risiko ein Symposium für europäische Unternehmer. Später legte er den Schwerpunkt auf allgemeine wirtschaftliche und politische Fragen und gründete die WEF-Stiftung.
Das Jahrestreffen in Davos ist deren bekannteste Aktivität, aber längst nicht die einzige. Zum WEF-Jahresreigen gehört das Treffen der „New Champions“ in China. Auch zu diesem „Davos für Schwellenländer“ reisen Entscheidungsträger aus etlichen Staaten an. Hinzu kommen spezielle Treffen für Südamerika, Ostasien und Indien, den Nahen Osten, Eurasien sowie Afrika.
Dem Forum gehören 1000 der weltgrößten Unternehmen sowie 200 kleinere als Mitglieder oder Partner an. Der Jahresbeitrag liegt - je nach Größe der Firma und Umfang der Beteiligung - zwischen 50 000 und 500 000 Franken (derzeit 410 000 Euro). Das als Nonprofit-Unternehmen angelegte WEF hat seinen Hauptsitz in Cologny am Genfer See und beschäftigt weltweit rund 500 Mitarbeiter.
Und ja, auch das gehört zur Wahrheit. In der belgischen Hauptstadt haben es sich Tausende EU-Verwaltungsbeamte gemütlich gemacht. Menschen, die an einem zentralisierten Europa gut verdienen und Entscheidungen an sich ziehen, die nicht in ihre Hand gehören, aber ihren Arbeitsplatz festigen. Kompetenzen zurückzuverlagern, das Subsidaritätsprinzip wieder vermehrt in den Fokus zu rücken, so wie es Cameron fordert ist daher nicht ketzerisch, sondern für alle Seiten von Vorteil. Vor Ort zu entscheiden, was vor Ort wichtig ist, stärkt die Demokratie und schont den Geldbeutel. Und Brüssel hat die Chance, von seinem schlechten Image wegzukommen: von einer Behörde, die den Krümmungsgrad einer Gurke festlegt und Olivenölkännchen in Restaurants verbieten will.
Austritt der Briten wäre ein herber Verlust





Umso mehr lohnt der Blick nach Großbritannien, zumal die britische Wirtschaft starke Fortschritte macht. Großbritannien wächst über EU-Schnitt. Seit 2010sind in Großbritannien 1,6 Millionen neue Jobs entstanden, es wurden 3000 mehr Firmen gegründet, als abgemeldet. „Wir haben die Steuern für die Arbeitnehmer gesenkt und den Wohlstand gesteigert“, ergänzt Cameron.
Taugt Großbritannien also als Vorbild? Ja und nein. Großbritannien ist nicht Mitglied im Schengen-Raum, will den Euro nicht und will aus der gemeinsamen Rechts- und Innenpolitik aussteigen. Dabei ist die Freizügigkeit eine der positiven Errungenschaften in Europa und der Euro, trotz aller Kritik, wohl irreversibel. Eine Auflösung des Verbunds wäre – insbesondere für Deutschland, das einen Großteil seiner Kredite abschreiben müsste – teuer und aufgrund möglicher Verwerfungen auf den Finanzmärkten hochgefährlich. Das heißt nicht, dass der Euro-Raum nicht reformiert werden sollte. Eine flexiblere Währungsunion wäre wünschenswert. Ein Raum, in dem Länder, die gegen Auflagen verstoßen, zur Rechenschaft gezogen werden und nicht an Drohpotenzial gegen die anderen Länder gewinnen. Eine Währungsunion, die keine Transferunion ist und sich um die Geldstabilität sorgt.
"Es bieten sich große Chancen"
Und in der Wirtschaftspolitik hat Cameron allemal Recht. Europa braucht nicht mehr Regeln, sondern weniger. Der Kontinent muss wettbewerbsfähiger werden und sich für die Zukunft rüsten. Dass ein verschwindend kleiner Teil für die Forschung und Innovation ausgegeben werden, ist ein schwer wiegender Fehler. „Die Briten sind sehr unzufrieden mit der EU. Ich kann die Stimmen nicht ignorieren“, sagt der Regierungschef. „Ich will das Problem angehen und anregen: Lasst uns die EU reformieren!“.
In drei Jahren dürfen die Briten über den Verbleich in der Europäischen Union, der sie seit 1973 angehören, abstimmen. Setzt sich Cameron mit seinen Reformvorhaben nicht durch, sollten nicht mehr Entscheidungen zurück in die Nationalstaaten verlagert werden, wird sein Referendum wohl eine deutliche Antwort bekommen: gegen Europa. Es wäre ein herber Verlust: für die Bürger, für die Wirtschaft und für die europäische Idee.
„Es bieten sich große Chancen, das müssen die europäischen Politiker begreifen“, appelliert Cameron. „Lassen Sie uns gemeinsam die Herausforderungen angehen“, ruft Cameron den Vertretern aus Politik und Wirtschaft in Davos zu. Der laute Applaus zeigt, dass der Brite den Ton getroffen hat. Er hat die Erwartungen erfüllt. Einfach war es nicht.