Die französische Regierung bekennt sich zu den strengen Defizitregeln des Europäischen Stabilitätspakts. „Die Regeln existieren, die Verträge existieren. Niemand stellt sie infrage. Ich würde das auch niemandem empfehlen, vor allem nicht in Frankreich“, sagte Frankreichs Finanzminister Michel Sapin in einem gemeinsamen Interview mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dem Handelsblatt (Montagausgabe).
Solides Wachstum brauche eine ernsthafte Finanzpolitik. „Dauerhaftes Wachstum ist nicht möglich mit anhaltenden, hohen Defizite“, sagte Sapin.
Der französische Finanzminister betonte, dass er keinen zeitlichen Aufschub von der EU-Kommission verlange. „Mir geht es nicht darum, um mehr Zeit zu bitten. Ich will die europäischen Regeln einhalten und gemeinsam mit den Partnern das richtige Timing finden, damit wir unsere Ausgaben und Defizite verringern können und gleichzeitig das Wachstum stützen.“ Frankreich hatte bereits mehr Zeit eingeräumt bekommen, um die erlaubte Defizit-Höchstgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung einzuhalten.
Was die Kritiker der Sparpolitik sagen
"Wachstum und Beschäftigung müssen an erster Stelle kommen, und das, indem wir alle Spielräume des Stabilitätspakts nutzen."
François Hollande, französischer Staatspräsident
"Seit Beginn der Krise haben die Konservativen Europa mit einem Kürzungsfeldzug nach dem anderen überzogen."
Udo Bullmann, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im Europaparlament
"Unsere Regierung will unterstreichen, dass die Politik des Rigorismus und der Austerität nichts gebracht hat und für beendet erklärt werden muss."
Matteo Renzi, italienischer Ministerpräsident
"Bisher haben wir für Krisenländer Rettungsprogramme gemacht, aber wenn man aus der Intensivstation herauskommt, muss eine Reha-Phase folgen."
Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser
"Das Setzen auf reine Sparpolitik ist gescheitert."
Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und Vizekanzler
"Sparmaßnahmen von einem Prozent des BIPs reduzieren das Produktionspotenzial der Wirtschaft um rund ein Prozent. Das zeigt: Austeritätspolitik ist in höchstem Maße kontraproduktiv."
Paul Krugman, US-Ökonom und Nobelpreisträger
Bundesfinanzminister Schäuble sieht Frankreich wegen der hohen Schulden und der unerledigten Reformen in einer Vertrauenskrise. „Wenn man erst einmal eine Vertrauenskrise hat, es ist nicht ganz einfach, da herauszukommen“, sagte Schäuble. Für mehr Wachstum will Schäuble vor allem durch private Investitionen sorgen. „Wir brauchen mehr private Investitionen. Wir können Infrastruktur sehr viel stärker mit privaten Mitteln finanzieren“, sagte Schäuble.
Der Bundesfinanzminister erwartet zudem von der Europäischen Zentralbank, dass diese mehr gegen die Vermeidung von Blasen an den Märkten unternimmt. „Wir können die Vermeidung von Blasen nicht allein der staatlichen Aufsicht überlassen. Die Zentralbanken müssen das bei ihren Entscheidungen über die Geldmenge mit im Blick haben“, sagte Schäuble in dem Handelsblatt-Interview. Schäuble sagte, dass es „am Immobilienmarkt zum Teil Anzeichen für Blasenbildungen“ gebe.
Schäuble erwartet keine Überraschungen bei Stresstest
Der Bundesfinanzminister hatte in den vergangenen Wochen immer wieder auf die Gefahren einer Immobilienblase durch die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hingewiesen. Erstmals fordert er die Zentralbank jetzt auf, die Folgen ihrer geldpolitischen Entscheidung für eine mögliche Blasenbildung zu berücksichtigen.
Forderungen aus Frankreich nach einer gezielten Abwertung des Euros lehnte Schäuble kategorisch ab. „Ich halte nichts von politischen Diskussionen über den Wechselkurs, der bildet sich am Markt. Wenn die Politik sich darum kümmert, hat das noch nie zu guten Ergebnissen geführt. Der Euro werde so stark sein, „wie wir ihn politisch und wirtschaftlich machen“.
Auch zu Fragen der Bankenregulierung äußerte sich Schäuble: Der Finanzminister rechnet nicht mit großen Überraschungen durch den Stresstest für die größten europäischen Banken. „Die Prüfung der Vermögenswerte und der Stresstest sind noch nicht abgeschlossen. Aber die Banken haben eine Menge zusätzliches Kapital erhoben“, sagte Schäuble. Im Einzelfall könne es „natürlich immer“ Probleme geben, wie man jetzt bei der portugiesischen Bank Espirito Santo sehen konnte. „Die Ansteckungsgefahr ist aber viel geringer“, betonte Schäuble. Die Bankenunion sei ein großer Schritt in die richtige Richtung, sagte Schäuble.
„Die Bankenunion ist nach der gemeinsamen Währung der zweite große Akt der Integration. Manchmal führen wir philosophische Diskussionen über europäischen Föderalismus. Hier praktizieren wir ihn“, sagte Frankreichs Finanzminister Sapin. Als Problem sieht Sapin die mangelnde Regulierung der Schattenbanken. „Die größere Sicherheit im Bankensektor darf nicht zur Verlagerung der Unsicherheit ins shadow banking führen.“