Defizitregeln Wirtschaftsweiser rät Von der Leyen zu flexiblem Umgang mit EU-Defizitregel

Achim Truger hält die Regelungen des Maastricht-Vertrags für „schwierig zu begründen“. Investitionen sollten nicht auf die Defizitgrenze angerechnet werden.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
„Die Drei-Prozent-Obergrenze finde ich schwierig zu begründen“, sagt der Wirtschaftsweise. Quelle: imago images / Christian Ditsch

Der Wirtschaftsweise Achim Truger sieht Reformbedarf bei der Auslegung der europäischen Schuldenregeln. Er äußerte am Donnerstag im Interview mit Reuters Verständnis für die Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Europa solle sich angesichts des verschärften Wettbewerbs mit den USA und China mehr auf Wirtschaftswachstum und weniger auf Etatdefizite konzentrieren.

Macron hatte zuletzt gesagt, die Debatte über eine strikte Einhaltung des Neuverschuldungsziels von drei Prozent der Wirtschaftsleistung gehöre in ein anderes Jahrhundert. Truger sagte dazu: „Die Regeln stammen tatsächlich aus dem vorigen Jahrhundert. Was mich schon lange umtreibt, ist das konzeptionelle Problem, dass die Fiskalregeln nicht investitionsorientiert sind.“

Der Duisburger Ökonom gehört seit März zu den fünf Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten. Er hält es volkswirtschaftlich für sehr gut zu begründen, dass man Netto-Investitionen von den Fiskalregeln ausnimmt. „Das würde ich für sinnvoll halten. Wenn das damit gemeint ist, könnte ich gut nachvollziehen, was Macron sagt“, fügte der Ökonom hinzu.

Im Maastricht-Vertrag ist ein gesamtstaatliches Finanzierungsdefizit eines Mitgliedstaates von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts festgeschrieben. Doch hatte beispielsweise Frankreich dieses Kriterium rund ein Jahrzehnt lang verfehlt und erst 2017 unter Präsident Macron mit 2,8 Prozent wieder eingehalten.

„Die Drei-Prozent-Obergrenze finde ich schwierig zu begründen“, betonte Truger. Zahlenvorgaben, strikt angewandt, seien extrem unflexibel. Er verwies darauf, dass eine Evaluation der Fiskalregeln unter der neuen EU-Kommission anstehe, die dann von der deutschen CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geführt wird.

Die Interpretation der Regeln sei bereits schrittweise unter dem scheidenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker so verändert worden, dass kleinere investive Elemente zugelassen wurden. „Wenn man das systematisch stärken würde, fände ich das sinnvoll. Eine Investitionsorientierung wäre aus meiner Sicht genau die richtige Form der Flexibilisierung.“

Europa habe schlechte Erfahrungen damit gemacht, wenn man in einer Krise spare und kürze. „Was an Austerität gelaufen ist in Europa, hat extreme Verwüstungen in den betroffenen Ländern angerichtet.“ Er sehe aber einen Lernprozess. Unter Juncker sei die EU-Kommission von dem harten Austeritätskurs abgekommen und habe die Regeln etwas weicher interpretiert.

„Aus meiner Sicht hat dies den Ausschlag dafür gegeben, dass sich Krisenländer wie Spanien, Portugal und auch Italien erholen konnten. Hätte Juncker den Konsolidierungskurs hart fortgeführt, wäre es schiefgegangen“, sagte Truger.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%