Deglobalisierung „Die chinesische Wirtschaft ist sehr viel stärker verschuldet als 2008“

Chinas Schulden sind immens - besonders auch im Immobilienbereich Quelle: dpa

Das Weltwirtschaftsforum in Davos steht im Zeichen der Angst. Rohstoffmangel, Ukraine-Krieg und immer wieder die besorgte Frage: Wie sehr strauchelt China? David Lubin, Chefvolkswirt für die Märkte der Schwellenländer bei der US-Großbank Citi in London, zeigt die zentralen Probleme des Landes auf.

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WirtschaftsWoche: Die chinesische Wirtschaft steckt derzeit in argen Turbulenzen. Was ist da los?
David Lubin: Chinas Wirtschaft leidet unter einer komplizierten Verlangsamung, die verschiedene Gründe hat: Die chinesischen Behörden versuchen, die Wirtschaft von ihrer Abhängigkeit von Immobilieninvestitionen zu entwöhnen. Zugleich vollzieht sich ein demographischer Wandel. Und die Regierung gibt aus ideologischen Gründen staatseigenen Unternehmen den Vorzug. Das führt zu einer verminderten Wirtschaftlichkeit, da staatliche Unternehmen nicht so effizient sind wie Unternehmen im Privatsektor. Und es gibt einen geopolitischen Instinkt, die wirtschaftliche Eigenständigkeit noch mehr zu vergrößern.

Und die Covid-Lockdowns verschärfen dieses Problem?
Ja, denn die belasten das Haushaltsvertrauen, während kleinere und mittlere Unternehmen große Einbrüche in ihrer Rentabilität erleiden. In China klafft eine große Lücke zwischen der Erzeugerpreisinflation und der Verbraucherpreisinflation. Die Kosten der kleineren und mittleren Unternehmen – die rund 70 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigen – steigen mit dem Erzeugerpreisindex, der bei rund acht Prozent liegt. Aber ihre Einnahmen steigen mit der Rate des Verbraucherpreisindex, der bei etwa zwei Prozent liegt. Es gibt in diesem Sektor also eine große Rentabilitätsklemme. Die Zentralbank würde die Geldpolitik gerne lockern. Aber das ist schwierig, wenn die USA ihre Geldpolitik gerade straffen. Das erschwert Pekings Bemühungen, die Wirtschaft zu unterstützen.

Wirkt sich das zunehmend angespannte Verhältnis zwischen Peking und dem Westen bereits auf die chinesische Wirtschaft aus? Und was bedeutet das für große Exporteure wie Deutschland?
Es gibt einen strukturellen Wandel in der chinesischen Wirtschaftspolitik, der zum Teil auf die Trump-Regierung und ihrer Aggressivität zurückgeht und teilweise damit zu tun hat, wie China die Entwicklungen in Russland wahrnimmt. Denn wenn man sieht, dass jedes Land, das eine Reservewährung druckt, Sanktionen gegen Russland verhängt und dem Land den Zugang zu Hunderten Milliarden Dollar verwehrt hat, dann bedürfen politische Entscheidungsträger in Peking keiner großen Vorstellungskraft, um zu dem Schluss zu gelangen, dass es eines Tages auch China so ergehen könnte. Also denken sie darüber nach, was sie tun müssen, um China vor dem zu schützen, was Russland derzeit im Bezug auf Sanktionen erleidet. Infolgedessen wird Peking wahrscheinlich seine politischen Bestrebungen um eine wirtschaftliche Eigenständigkeit verstärken. Das, zusammen mit der Verlangsamung, ist für Handelspartner wie Deutschland, die viel nach China exportieren, sehr schmerzhaft.

David Lubin ist der Chefvolkswirt für die Märkte der Schwellenländer bei der US-Großbank Citi in London. Quelle: privat

Ist diese Hinwendung zu größerer Eigenständigkeit einer der Gründe dafür, dass sich China im Zusammenhang mit Covid von weiten Teilen der Welt abgeschottet hat?
China hat aus mehreren Gründen seine Grenzen so lange geschlossen. Das Land hat keinen besonders wirksamen Impfstoff. Auch die Zahl der Intensivbetten in chinesischen Krankenhäusern ist, gemessen an der Einwohnerzahl, sehr gering. Jede Abkehr von der Null-Covid-Politik würde bedeuten, dass viele Menschen sterben. Das Problem wird durch die Tatsache verschärft, dass Präsident Xi Jinping die Null-Covid-Politik mit einem Anspruch auf moralische Überlegenheit verknüpft hat. Die Botschaft lautet: Die westlichen Länder lassen die Menschen einfach sterben. Wir, die Kommunistische Partei, legen Wert auf Menschenleben. Das Problem ist, dass es fast unmöglich ist, von dieser Politik abzuweichen, ohne dass viele Menschen sterben. Es ist also sehr schwierig zu sehen, wie sie diesen Übergang vollziehen werden. Dabei ist ziemlich klar, dass dieser Übergang nicht in diesem Jahr stattfinden wird. Zumal die Kommunistische Partei im Oktober und November ihren 20. Parteitag abhält. Das wird der Moment sein, in dem Xi Jinping seine Amtszeit ein weiteres Mal verlängern wird. Die Risikobereitschaft der chinesischen Führung ist derzeit sehr gering.

Was steckt hinter Chinas Vorgehen gegen verschiedene Teile der eigenen Wirtschaft?
Xi Jinping ist der am stärksten von Ideologien getriebene Präsident seit Mao. Er spricht oft von der „ungeordneten Ausweitung von Kapital“. Die Partei scheint zu glauben, dass der Privatsektor Dinge tut, die mit den politischen Zielen der Partei nicht richtig im Einklang stehen. Das Bemühen, die Wirtschaft zu kontrollieren, hat zu einem harten Vorgehen geführt, unter anderem gegen den Technologiesektor, die private Bildungsbranche und die Spieleindustrie. Ende letzten Jahres hat Xi ein „Ampelsystem“ vorgeschlagen, um das Kapital des Privatsektors zu regulieren. Die Regierung ist gegenüber dem Privatsektor misstrauischer geworden. Und das insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einkommens- und Vermögensunterschiede zu einer Bedrohung für die Legitimität der Partei geworden sind.

Nach 2008 wurde China zugeschrieben, die Welt aus der Finanzkrise herausgeholt zu haben. Jetzt scheint es die Weltwirtschaft nach unten zu ziehen. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?
China ist nicht mehr in der Lage die gleiche Art von Stimulus zu liefern wie vor 14 Jahren, einfach weil die chinesische Wirtschaft sehr viel stärker verschuldet ist als 2008. Gleichermaßen bedeutet der stärker nach innen gerichtete Ansatz, dass selbst dann, wenn China einen starken Stimulus liefern würde, die Ausgaben für Importe geringer ausfallen würden als in der Vergangenheit.

Erleben wir den Beginn einer Deglobalisierung?
Das ist ein sehr großer Begriff. Gleichwohl gibt es auch in den USA und in Europa Gegenstücke zu Chinas Betonung von mehr Eigenständigkeit, gerade im Zusammenhang mit Lieferketten. Eine einfache Definition von Globalisierung lautet, dass der Handel stärker wächst als das Bruttoinlandsprodukt. Und das wird nicht länger der Fall sein. Wenn man Deglobalisierung so definiert, dann ja. Wenn sich Deglobalisierung durch einen steigenden Protektionismus ausdrückt, dann können wir auch sagen: Ja, wir sind in einer Deglobalisierung. Aber die Globalisierung ist kein Ein-Aus-Schalter. Wenn es weniger Globalisierung gibt, heißt das nicht, dass es gar keinen Handel mehr gibt. Es bedeutet lediglich, dass das Tempo der internationalen Integration abnimmt. Deglobalisierung ist ein schwerer Begriff. Aber vielleicht sind wir tatsächlich auf dem Weg dahin.

Warum hat sich das Verhältnis zwischen China und dem Westen gerade in letzter Zeit so stark verschlechtert?
Das Verhältnis zwischen dem Westen und China wird schon seit einiger Zeit feindseliger. Am offensichtlichsten war das unter der Trump-Regierung. Aber selbst unter Obama gab es Anzeichen für wachsende Spannungen. Zum Beispiel mit Obamas Schwenk nach Asien oder dem Versuch, die Trans-Pacific Partnership (TPP) zu schnüren, das Handelsabkommen ohne China. So gesehen hat Trump die Spannungen nur verstärkt. Die gemeinsame Erklärung, die China Anfang Februar mit Russland unterzeichnet hat, hat die Spaltung zwischen China und dem Westen offensichtlich verschärft. Aber ich kann mir vorstellen, dass China einige der Konsequenzen seiner Freundschaft mit Russland unangenehm sein werden, da Russlands Verhalten im Westen für mehr Einheit gesorgt hat, als wir es seit Jahrzehnten gesehen haben. Das würde jede Anstrengung erschweren, sich Taiwan einzuverleiben. Die Regierung in Peking muss sich fragen, ob sie einen Fehler gemacht hat. Sollte Peking versuchen, Taiwan mit Gewalt einzunehmen, wären die wirtschaftlichen Folgen weltweit ziemlich schwerwiegend.

War die Annahme, der Staaten wie Deutschland seit Jahrzehnten zu folgen schienen, wonach westliche Investitionen in China auch zu einer politischen Liberalisierung führen würden, naiv?
Im Nachhinein ist es einfach zu sagen, dass das ein naiver Glaube war. Sicher ist: Im Westen herrscht eine tiefe Frustration darüber, dass die wirtschaftliche Integration des Landes nicht zu einem freundlicheren China geführt hat. Das ist eindeutig gescheitert.

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In welche Richtung steuern Chinas Wirtschaft und das Verhältnis des Landes zum Westen?
Die Schärfe der aktuellen Verlangsamung wird vorübergehend sein, wenn die chinesischen Behörden die Ausbreitung von Covid in den Griff bekommen. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme lassen sich wahrscheinlich lösen. Bei den Beziehungen zum Westen ist es schwieriger, zuversichtlich zu sein. Ich sehe nicht wirklich ein Ende der Feindseligkeiten.

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