Demokration im US-Kongress Nancy Pelosis Acht-Stunden-Rede-Marathon

Der Demokratin Nancy Pelosi reicht die Abwendung eines Shutdown nicht. Mit einer spektakulär langen Rede lenkt sie den Fokus auf den Einwanderungsstreit.

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Acht Stunden am Rednerpult: Nancy Pelosi vor dem US-Kongress Quelle: Reuters

Washington In Stunde Acht ihres außergewöhnlichen Auftritts wirkt Nancy Pelosi das erste Mal erschöpft. Sie tupft sich die Oberlippe mit einem Papiertaschentuch ab. Ein Mitarbeiter reicht ihr einen Stapel Papier, sie blättert ihn durch und atmet tief durch. “Ich glaube, diese Passagen hatten wir schon”, murmelt sie, dann spricht sie weiter. “Ich könnte hier die vollen 40 Stunden stehen, die erlaubt sind. Aber wir haben eine Abstimmung zu erledigen.”

Bis 18:11 Uhr US-Ostküstenzeit sprach die Chefin der Demokraten am Mittwoch im Repräsentantenhaus, um exakt 10.04 Uhr am frühen Vormittag hatte Pelosi begonnen. Im Gegensatz zum Senat sind solche Filibuster-Reden im Abgeordnetenhaus eher ungewöhnlich. Die Minderheitenführerin hat nun den Rekord für die längste ununterbrochene Rede in der Geschichte der Kongresskammer aufgestellt. Auf Zehn-Zentimeter-Absätzen, mit ein paar Schlucken Wasser zwischendurch, ohne Verschnaufpause.

Die77-Jährige Demokratin aus San Francisco protestierte damit gegen einen Budgetplan, auf den sich Republikaner und Demokraten zuvor verständigt hatten. Überraschend kündigte sie dann aber an, dass sie nicht für den Deal stimmen werde.

Der Haushaltsplan soll eine erneute Schließung der Regierung, wie beim Shutdown Anfang des Jahres, verhindern. Pelosi forderte, dass eine Dauerlösung für sogenannte “Dreamer” unbedingt Teil einer Einigung sein müsse. Als “Dreamer” werden junge, undokumentierte Einwanderer bezeichnet, die als Kinder illegal ins Land gebracht wurden.

Seit 2012 waren sie unter bestimmten Voraussetzungen vor einer Abschiebung geschützt und erhielten eine Arbeitserlaubnis. Möglich war das durch das “Deferred Action for Children Arrivals Program” (Daca), eine Initiative aus der Obama-Ära.

Im September 2017 kündigte Präsident Donald Trump jedoch an, das Programm bis März auslaufen zu lassen. Seitdem sucht der Kongress nach einer Lösung, damit die “Dreamer” das Land nicht verlassen müssen. Insgesamt geht es um rund 1,8 Millionen Menschen.

Das Schicksal der “Dreamer” bestimmt seit Monaten die Zuwanderungsdebatte in Amerika. Gerade junge Migranten machten “Amerika amerikanischer”, sagte Pelosi am Rednerpult. "Wir haben eine moralische Verantwortung, jetzt zu handeln." Die USA müssten Stärke zeigen “und die Hoffnungen der Menschen respektieren, die unsere Zukunft sind".


Umstrittene Top-Demokratin

Die bisher vorgelegten überparteilichen Vorschläge sehen eine Möglichkeit, unter bestimmten Maßgaben die US-Staatsbürgerschaft erwerben zu können. Im Gegenzug soll die Grenze zu Mexiko besser gesichert werden. Präsident Trump gehen diese Angebote jedoch nicht weit genug.

In seiner Rede zur Lage der Nation forderte er zusätzlich Änderungen, die auch legale Einwanderung in die USA beschränken würden, sowie ein Milliardenpaket für den Bau einer Grenzmauer zu Mexiko. Die Demokraten wollen diese Vorgaben nicht akzeptieren. Aus dem aktuellen Budgetplan wurden Einwanderungsfragen deshalb erstmal ausgeklammert.

Pelosi zwang mit ihrem Rede-Protest die Aufmerksamkeit zurück auf das Thema. Stundenlang las sie Briefe von Immigranten vor, die in den USA aufgewachsen sind, aber jetzt Angst vor der Abschiebung haben.

Sie berichtete von Andrea Seabra, die in der Air Force arbeitet und deren Vater ein Mitglied der peruanischen Luftwaffe war. Von Carlos Gonzales, der einst als Berater des ehemaligen Abgeordneten Mike Honda, Demokrat von Kalifornien, arbeitete. Oder von Al Okere, dessen Vater von der nigerianischen Polizei getötet wurde, nachdem er in einer Zeitung über die nigerianische Regierung geschrieben hatte. Über Pelosis Auftritt wurde in den USA breit berichtet, im Anschluss an ihre Rede wurde sie von Kolleginnen umarmt.

Seit 15 Jahren führt Pelosi die Demokraten im Repräsentantenhaus an. Ihr größter Erfolg war die Rückeroberung des Kongresses bei den Zwischenwahlen 2006. Pelosi stieg zur ersten und bislang einzigen weiblichen Sprecherin des Repräsentantenhauses auf und blieb für vier Jahre. Keine Frau in der Geschichte der USA erreichte jemals ein höheres Staatsamt.

In ihre Amtszeit fiel auch die Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten und die Verabschiedung seiner Gesundheitsreform. Nachdem die Demokraten im Jahr 2010 ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren, blieb Pelosi als Minderheitsführerin an der Spitze der geschrumpften Fraktion.

Trotz ihrer Verdienste ist die Politikerin in ihrer Partei umstritten. Angesichts des Aufstiegs von Donald Trump zum US-Präsidenten trauen zahlreiche Parteifreunde der 77-Jährigen nicht mehr zu, die Demokraten zu einem neuen Aufbruch führen zu können.

Zudem hat ihr geschadet, dass sie im Herbst einem des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Abgeordneten nicht sofort die Unterstützung entzog. Trotzdem folgen ihr die Demokraten noch – auch weil Pelosi eine höchst erfolgreiche Spendensammlerin ist, was vielen Mitgliedern ihrer Fraktion im Wahlkampf hilft.

Wirklich gefährlich konnte ihr deshalb bislang auch noch kein Konkurrent werden. Ihren letzten Herausforderer für das Amt der Minderheitenführerin schlug sie ungefährdet mit 134 zu 63 Stimmen.

Die Zeit für weitere Verhandlungen über eine Einwanderungsreform wird unterdessen knapp. Am 5. März läuft das Schutzprogramm für die “Dreamer” aus. Dann droht den ersten die Abschiebung. Republikaner und Demokraten wollen vermeiden, dass es dazu kommt. Auch die Bevölkerung unterstützt mit großer Mehrheit, dass die USA die “Dreamer” nicht aus dem Land wirft.

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