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Staatskapitalismus entwickelt sich zur Wachstumsgefahr

Weltweit wächst der Einfluss staatlich gelenkter Konzerne. Der neue Staatskapitalismus provoziert politische Krisen und könnte sich zum globalen Wachstumsrisiko entwickeln. Zu diesem Schluss kommt der US-Wissenschaftler und Publizist Ian Bremmer in seinem in Kürze erscheinenden neuen Buch. Ein exklusiver Vorabdruck.

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Der wachsende Einfluss von Quelle: Foto: Boris Roessler dpa

Die Macht des Staates ist wieder da: Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts ist eine neue Art Unternehmen auf die internationale Bühne gedrängt: Unternehmen, die ihren heimischen Regierungen gehören oder zumindest eng mit ihnen verflochten sind. Schon 2008 hatte der Unternehmenswert der mexikanischen Cemex – mittlerweile drittgrößter Zementhersteller der Welt – gleichgezogen mit dem von Coca-Cola. Die brasilianische Minengesellschaft Vale wies höhere Aktiva aus als traditionelle Branchenführer wie Roche, Anglo-American oder BHP Billiton.

Cemex und Vale unterhalten enge Kontakte zu ihrer Regierung, was sie in die Lage versetzt, ihre marktbeherrschende Stellung durch die feindliche Übernahme von kleineren inländischen Konkurrenten zu halten. Beide Unternehmen sind im Grunde genommen "nationale Champions“ in Privatbesitz. In den vergangenen Jahren sind auf den Ranglisten der größten Firmen der Welt auch immer häufiger Energiegiganten im Staatsbesitz aufgetaucht, zum Beispiel die China National Petroleum Corporation, Petro China, Sinopec, die brasilianische Petrobas, die mexikanische Pemex sowie die russischen Konzerne Rosneft und Gazprom.

Dieser Trend zu immer größeren Staatsunternehmen ist nicht nur im Energiesektor zu beobachten: Schon 2008 war China Mobile nach Angaben des Unternehmens der Anbieter mit der weltweit größten Zahl von Mobiltelefonkunden, nämlich 488 Millionen. Dies sind keine traditionellen multinationalen Konzerne, da ihr Management nicht Aktionären, sondern vor allem politischen Machthabern Rechenschaft schuldig ist. Zwischen 2004 und Jahresbeginn 2008 tauchten 117 Staatsunternehmen und Aktiengesellschaften aus Brasilien, Russland, Indien und China (den sogenannten BRIC-Ländern) zum ersten Mal auf der Forbes-Global-2000-Rangliste der weltgrößten Unternehmen auf, gemessen an Umsatz, Gewinn, Bilanzvermögen und Marktwert. Insgesamt 239 US-amerikanische, japanische, britische und deutsche Firmen wurden von der Liste verdrängt. Der Anteil des Marktwertes der letzten Gruppe sank im Laufe dieser vier Jahre von 70 auf 50 Prozent; der anteilige Wert der in den BRIC-Ländern ansässigen Firmen nahm in der gleichen Zeit von 4 auf 16 Prozent zu.

Staaten wollen Einfluss bewahren

 Unternehmenspleiten und staatliche Rettungsaktionen zwischen 2008 und 2009 beschleunigten diesen Trend noch: Nach dem Zusammenbruch und der Verstaatlichung zahlreicher Banken in den USA, in Großbritannien und anderen Ländern berichtete Bloomberg News Anfang 2009, dass drei der vier nach Marktkapitalisierung weltgrößten Banken chinesische Staatskonzerne waren – die Industrial and Commercial Bank of China (CBC), China Construction und die Bank of China. 2009 zählte die Forbes-Global- 2000-Rangliste ICBC, China Mobile und Petro China zu den fünf größten Unternehmen der Welt.

Im Laufe der vergangenen zehn Jahre haben die Regierungen etlicher Schwellenländer darauf hingearbeitet, wertvollen nationalen Besitz in den Händen des Staates zu halten und sich genügend Einfluss auf ihre Volkswirtschaften zu bewahren, um ihren eigenen Machterhalt zu sichern. In manchen Fällen haben sie staatliche Energieunternehmen benutzt, um Reichtümer anzuhäufen oder den Zugang zu langfristigen Erdöl- und Erdgasvorkommen zu sichern, die ihre nach wie vor anfälligen Volkswirtschaften benötigen, um künftiges Wachstum anzutreiben. Sie haben Überschüsse in neu geschaffenen Staatsfonds angelegt und begonnen, außerhalb ihrer Landesgrenzen strategische Investitionen zu tätigen.

Macht verlagert sich

2008 überschritt dieser Trend zu mehr staatlicher Macht eine kritische Schwelle. Im Laufe der Finanzkrise und der globalen Rezession rissen politische Entscheidungsträger sowohl in Industriestaaten als auch in Schwellenländern die Verantwortung für Entscheidungen an sich, die normalerweise den Kräften des Marktes überlassen bleiben – und zwar in einem Maße, wie man es seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hatte. Regierungen in aller Welt reagierten auf die Implosion großer Finanzinstitute und wirtschaftlicher Schlüsselbranchen mit riesigen staatlichen Ausgabeprogrammen, die das Wachstum ankurbeln und, in einigen Fällen, Unternehmen retten sollten, die als "too big to fall“ angesehen wurden.

Etliche Länder rissen die Kontrolle über Firmen an sich, die zuvor als Branchenführer galten. Während der Finanzkrise und danach bewirkte diese Dynamik eine massive Verlagerung finanzieller Entscheidungsmacht von New York nach Washington. Tatsächlich vollzog sich rund um die Welt eine Verlagerung von Macht aus den Finanzzentren in die Kapitalen der politischen Macht – von Shanghai nach Peking, von São Paulo nach Brasilia, von Mumbai nach Delhi, von Dubai nach Abu Dhabi.Dies ist eine enorm wichtige Entwicklung. In den Schwellenländern spielen politische Faktoren eine mindestens ebenso wichtige Rolle für das Funktionieren der Wirtschaft wie Fundamentalfaktoren. Diese Erkenntnis ist nützlich, um die Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft in Ländern wie China, Russland, Indien, Brasilien, der Türkei oder Mexiko besser zu verstehen. Und die Finanzkrise drängte auch die USA, Großbritannien und Japan in diese Richtung.

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