Norman Eisen weiß, was für eine Gefahr von Autokraten und Diktatoren ausgeht. Seine Eltern – die Mutter Tschechin, der Vater Pole – wurden von Nationalsozialisten nach Auschwitz deportiert. Sie überlebten und flüchteten in die Vereinigten Staaten. 2011 kehrte Eisen in das Heimatland seiner Mutter zurück und wurde US-Botschafter in Prag. Von dort aus erlebte er, wie Russlands Präsident Wladimir Putin eine Autokratie erschuf, wie in Ungarn Viktor Orbán die Justiz bedrängte, die Presse behinderte und Minderheiten verfolgte. „Wir müssen verhindern, dass Gleiches nun in den USA passiert“, sagt Eisen.
Darum hat Trump gewonnen
Clinton schnitt trotz Trumps frauenfeindlicher Äußerungen in der Wählergruppe deutlich schwächer ab als im Vorfeld erwartet. Zwar erhielt sie von Frauen zwischen 18 und 34 Jahren deutlich mehr Unterstützung als Trump, insgesamt aber betrug ihr Vorsprung bei Frauen mit 49 Prozent nur zwei Prozentpunkte. Zum Vergleich: Der scheidende Präsident Barack Obama schnitt 2012 bei Frauen sieben Prozentpunkte besser ab als sein damaliger Herausforderer.
Clinton kam Umfragen zufolge deutlich besser bei Amerikanern mit spanischen Wurzeln, Afroamerikanern, und Amerikanern mit asiatischen Wurzeln an. Allerdings erhielt sie nicht so viel Rückhalt wie Obama vor vier Jahren, der seine Wiederwahl besonders den Stimmen der Minderheiten verdankte.
Trump punktete besonders bei Wählern ohne College-Ausbildung. Insgesamt betrug sein Vorsprung auf Clinton in dieser Gruppe zwölf Prozentpunkte. Bei weißen Männern ohne höheren Bildungsabschluss schnitt er sogar um 31 Prozentpunkte besser ab, bei weißen Frauen ohne Abschluss waren es 27 Prozentpunkte.
Streng gläubige weiße Amerikaner haben Trump die Treue gehalten - trotz der sexuellen Missbrauchsvorwürfe, die gegen den Milliardär im Wahlkampf erhoben wurden. Etwa 76 Prozent der Evangelikalen gaben an, für Trump gestimmt zu haben.
Clinton tat sich in Ballungsräumen schwer, obwohl dort in der Regel viele Anhänger der Demokraten leben. Ihr Vorsprung auf Trump betrug dort gerade einmal sechs Prozentpunkte. In ländlichen Regionen schnitt Trump dagegen um 27 Prozentpunkte besser ab.
Am 20. Januar wird Donald Trump als US-Präsident vereidigt. Ein Mann, der Machthaber wie Putin für ihre Führungsstärke bewundert. Ein Mann, der auch nach der Wahl gegen Einwanderer und Journalisten hetzt. Und sich noch immer schwertut, von seinem Geschäftsimperium zu lassen – und so in gefährliche Interessenkonflikte hineinschlittert. Deswegen schlägt Eisen Alarm. Der 56-Jährige ist zu einem der lautstärksten Kritiker des künftigen Präsidenten geworden. „Ich kann nicht schweigen. Zu viel steht auf dem Spiel“, sagt er.
Also hetzt der Jurist, der den noch amtierenden Präsidenten Barack Obama in Ethik- und Rechtsfragen beraten hat, von einem Interviewtermin zum anderen. In den Wochen nach der Wahl tauchte Eisens Name in mehr als 1000 Artikeln auf, wurden Videos mit ihm selbst zu trockenen Rechtsfragen online millionenfach angeklickt. Eisen weiß: Er hat nur die Kraft des öffentlichen Drucks, denn verbindlich vorschreiben kann er dem bald mächtigsten Mann der Welt nichts.
So beschäftigt ist der Mahner, dass sich auch das Gespräch mit der WirtschaftsWoche mehrmals verspätet. Erschöpft nimmt der groß gewachsene Jurist mit den buschigen Augenbrauen schließlich an seinem Schreibtisch in Washington Platz, auf dem sich Zeitungsartikel und Notizen stapeln. Doch sobald der Name Trump das erste Mal fällt, ist Eisen hellwach. Er mahnt und warnt, vor allem aber macht er konkrete Vorschläge, wie der künftige Präsident seinen und den Ruf der USA retten kann.
„Trump muss sich von seinen Geschäften trennen, um Interessenkonflikte zu verhindern“, sagt Eisen. Dessen Imperium besteht aus 111 Firmen in 18 Ländern, tätig in Katar, China, Indien und der Türkei. Vielerorts sind Regierungen Kreditgeber, Kunden oder Partner, finanzieren sein Treiben, wie etwa die staatliche Bank of China. Damit muss ab dem 20. Januar Schluss sein. Denn: Präsidenten ist per Verfassung verboten, Geld von ausländischen Regierungen anzunehmen. Trump hat das bislang wenig beeindruckt. Offen plauderte er nach der Wahl mit britischen, indischen und argentinischen Politikern über seine Geschäfte.
„Ändert er sich nicht, wird er mit 100-prozentiger Sicherheit verklagt. Das ist ein Pulverfass, das auf jeden Fall in die Luft fliegen wird“, sagt Eisen. Ein Präsident müsse sich wie jeder Bürger ans Gesetz halten und könne persönlich haftbar gemacht werden. Konkurrenten könnten Trump verklagen, wenn sie unlauteren Wettbewerb vermuten. „Trump muss seine Immobilien und Unternehmensbeteiligungen verkaufen und sein Vermögen in einen Treuhandfonds packen.“ Die Geschäfte einfach an seine Kinder abzutreten, so wie er es bislang plant, reiche definitiv nicht aus. „Die Interessenkonflikte bleiben ja bestehen.“
Tabu für Präsidenten
So entschieden er in der Sache ist, so verbindlich ist Eisen im persönlichen Umgang. Er bittet wortreich um Verzeihung, als wieder mal sein Handy klingelt. Richard Painter ist am Apparat, Rechts- und Ethikberater des früheren republikanischen US-Präsidenten George W. Bush. Eisen hat ihn ins Boot geholt, um sich nicht den Vorwurf der Parteilichkeit auszusetzen. Täglich tüfteln Eisen und Painter an Vorschlägen, wie Trump sich aus ihrer Sicht im Weißen Haus zu verhalten habe, an ihrem Trump-Kodex, den sie rechtzeitig zur Amtseinführung öffentlich präsentieren wollen.
Das Juristen-Duo glaubt, seine Appelle hätten schon Wirkung gezeigt, etwa zur Frage, ob Trump seinen Kindern Topjobs im Weißen Haus zuschanzen dürfe. Das hat er sich bislang nicht getraut. Andere Themen werden umstritten bleiben, etwa ob es überhaupt noch Trump-Hotels in der Welt geben sollte. Painter hält sie für eine Gefahr: „Der Namenszug des US-Präsidenten an Prachtbauten könnte eine Einladung für Terroristen sein.“ Es gibt jedoch kein Gesetz, dass solche Marketingdeals verbietet.
Juristisch ist auch nichts gegen Donald Trumps Umgang mit dem Kurznachrichtendienst Twitter einzuwenden. Die Meinungsfreiheit deckt seine Attacken gegen politische Gegner, Medien und Konzerne. „Nicht strafbar, aber eines Präsidenten unwürdig“, urteilt Norman Eisen. „Ich rate ihm, sich aus Selbstschutz von Twitter zu verabschieden.“
Tabu für Präsidenten
Stattdessen solle er den Dialog mit den Hauptstadtmedien suchen, raten die Experten. Zuletzt schränkte Trump den Zugang der Berichterstatter jedoch stark ein. „Donald Trump kann sprechen, mit wem er will“, sagt Eisen. „Aber er sollte respektieren, dass der freie Zugang zu Informationen eine Voraussetzung für das Funktionieren einer Demokratie ist.“
Nur mit wohlgesinnten Journalisten zu reden, in die eigene Tasche zu wirtschaften, dünnhäutig auf Kritik zu reagieren – all dies seien Züge von Autokraten und Diktatoren, sagt der Washingtoner Jurist. Und deshalb eigentlich tabu für einen US-Präsidenten.
Aber wird Trump derlei Kritik beeindrucken? Einmal hat dessen Team den Kontakt mit Eisen und Painter gesucht. Doch das ist schon sechs Wochen her. Ob er glaubt, dass Trump sich einhegen lässt? Eisen zögert. Dann sagt er: „Ich hoffe es.“