Deutsch-türkisches Verhältnis Ankaras Sorge über „Außenminister“ Özdemir

Die türkische Regierung will sich wieder Deutschland annähern, doch es bahnt sich aber ein neues Problem an. Der nächste Bundesaußenminister könnte jemand sein, der Erdogan „Diktator“ und „Geiselnehmer“ nennt.

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Der Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen in der Bundespressekonferenz in Berlin. Nach derzeitigem Stand könnte Özdemir - erfolgreiche Koalitionsverhandlungen mit FDP und CDU/CSU vorausgesetzt - Außenminister werden. Das gefällt der türkischen Regierung überhaupt nicht. Quelle: dpa

Ankara/Berlin Solche Töne hat man lange nicht mehr aus der türkischen Regierung gehört. „Es gibt keinen Grund für Probleme zwischen Deutschland und der Türkei, auch wenn das vergangene Jahr schwierig war“, sagt Außenministerminister Mevlüt Cavusoglu im aktuellen „Spiegel“. Nun, da der Wahlkampf in Deutschland vorbei ist, glaube er an eine Normalisierung der Beziehungen. „Und ich bin bereit, dafür Anstrengungen zu unternehmen.“

Alleine die Tatsache, dass sich Cavusoglu zwei Wochen nach der Bundestagswahl über das große deutsche Nachrichtenmagazin an die deutsche Öffentlichkeit wendet, ist ein klares Zeichen der Entspannung. Er hat in diesen zwei Wochen auch schon zwei Mal mit seinem scheidenden Kollegen Sigmar Gabriel telefoniert, nachdem es lange Zeit nur sehr sporadisch Kontakte zwischen den beiden gab.

Ob die Gespräche mit dem SPD-Politiker den deutsch-türkischen Beziehungen noch helfen, ist aber fraglich. Denn nach jetzigem Stand der Dinge wird Gabriel nicht mehr lange Außenminister sein, weil seine Partei sich für die Opposition entschieden hat. Und die Suche nach einem Nachfolger in den bevorstehenden Gesprächen über eine Jamaika-Koalition könnte ein neues Problem zwischen beiden Ländern generieren.

Denn derzeit gilt als wahrscheinlich, dass die Grünen den Außenministerposten besetzen. Und sollte das so kommen, ist der aussichtsreichste Anwärter jemand, den die regierungsnahe türkische Zeitung „Yeni Akit“ kürzlich noch einen „Vaterlandsverräter“ schimpfte: Cem Özdemir, 51, schwäbelnder Sohn türkischer Eltern, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, und einer der schärfsten Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Normalerweise interessiert sich Erdogan nicht für Vorsitzende so kleiner europäischer Oppositionsparteien, wie es die Grünen bisher gewesen sind. Özdemir ist eine Ausnahme. Im Juni 2016 nannte Erdogan ihn in einer Rede vor Dorfvorstehern „den Mann, der in Deutschland sein eigenes Land des Völkermordes beschuldigt“. Auch ohne dass Özdemirs Name fiel, wusste jeder, wer gemeint war, als der Präsident fragte: „Was ist er, wenn nicht charakterlos?“

Grund war die Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, deren maßgeblicher Initiator Özdemir gewesen ist und die bis heute nicht nur Erdogan, sondern auch oppositionelle Türken empört. Regierungsnahe Zeitung schäumten damals vor Wut. „Yeni Safak“ beschimpfte den Grünen-Chef als „Abschaum“. „Star“ nannte Özdemir nicht nur einen „Pseudo-Türken“, sondern auch einen „Verehrer der Armenier und der (verbotenen kurdischen Arbeiterpartei) PKK“.

Das Armenier-Thema ist aber längst nicht das einzige, mit dem Özdemir Erdogan und dessen AKP gegen sich aufgebracht hat. Der Grünen-Vorsitzende - der sich selber als „anatolischen Schwaben“ bezeichnet - legte in der Vergangenheit wenig Diplomatie an den Tag, wenn er beispielsweise vom „AKP-Diktator“ Erdogan sprach. Mit Blick auf die inhaftierten Deutschen in der Türkei bezeichnete er den Staatschef als „Geiselnehmer“.

Während Union und SPD ihren Türkei-Kurs erst zur Bundestagswahl deutlich verschärften, ist Özdemirs Rhetorik nicht nur dem Wahlkampf geschuldet gewesen: Der Grünen-Politiker ist schon lange einer der schärfsten Erdogan-Kritiker. Im September 2015, als der Friedensprozess mit der PKK zusammengebrochen war, reiste Özdemir in die kurz zuvor noch umkämpfte Stadt Cizre. Wenige Monate später sagte er zum harten Vorgehen der Regierung in den Kurdengebieten: „Es wird eine Art Krieg geführt gegen die eigene Bevölkerung.“

Schon im Mai 2015 hatten die Grünen unter Özdemir eine Wahlempfehlung für die pro-kurdische HDP ausgesprochen, die Erdogan als verlängerten Arm der PKK bezeichnet. HDP-Chef Selahattin Demirtas war mit dem Versprechen in den Wahlkampf zur Parlamentswahl 2015 gezogen, Erdogans Träume von einem Präsidialsystem zu durchkreuzen. Inzwischen sitzt Demirtas im Gefängnis, und Erdogan hat sein Präsidialsystem im April per Referendum durchgesetzt.

Sollte Özdemir tatsächlich Außenminister werden, wäre er der erste Bundesminister aus einer Migrantenfamilie. Er dürfte gerade deswegen penibel darauf achten, dass er sich nicht auf das Türkei-Thema reduzieren lässt. Und es ist auch unwahrscheinlich, dass er den Kurs der bisherigen Bundesregierung im Grundsatz ändert. Auch aus seiner Sicht gibt es nur einen Weg zur Entspannung: „Wie wäre es, wenn die #Türkei den wichtigen Schritt auf #Deutschland zugeht und inhaftierte deutsche Staatsbürger*innen freilässt?“, twitterte er am Samstag als Reaktion auf das Cavusoglu-Interview.

Gemeint sind der Journalist Deniz Yücel, der Menschenrechtler Peter Steudtner und andere, die aus politischen Gründen seit Monaten in der Türkei im Gefängnis sitzen. Özdemir hat im Wahlkampf aber für härtere Sanktionen gegen Ankara plädiert, etwa für eine Reisewarnung oder einen kompletten Stopp aller deutscher Rüstungsexporte in den Nato-Staat Türkei.

Entsprechend skeptisch äußert sich der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu zu der Perspektive, dass der Deutschtürke Außenminister werden könnte. „Wenn er vor einem möglichen Türkei-Besuch so unqualifizierte Äußerungen wie in der Vergangenheit von sich gibt, wird er nicht willkommen sein“, sagt er. Cavusoglu drückt es etwas zurückhaltender aus: „Es wäre falsch, die Beziehung zwischen beiden Ländern über Einzelpersonen zu definieren“, sagt er. „Wer auch immer als Bundesaußenminister in die Türkei kommt, wir lassen ihm den gleichen Respekt zukommen, der uns entgegengebracht wird.“

Einen Vorteil hätte die Ernennung Özdemirs zum Chefdiplomaten aber auf jeden Fall für die deutsch-türkischen Beziehungen: Bei Außenministertreffen wäre kein Dolmetscher mehr nötig.

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