
Ein Transportflugzeug der Bundeswehr hat die ersten deutschen Hilfsgüter in den Nordirak geflogen. Die Transall landete am Samstagmorgen um 02.14 Uhr deutscher Zeit auf dem Flughafen in Erbil im nordirakischen Kurdengebiet. Dorthin hatten sich Zehntausende Jesiden, Christen und andere Vertriebene gerettet, die vor der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geflüchtet waren.
Wenige Stunden nach der Transall ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der iraktischen Hauptstadt gelandet. Steinmeier versprach der irakischen Regierung bei einem Kurzbesuch Unterstützung im Kampf gegen die extremistische Gruppe „Islamischer Staat“. Es gehe nun um ein Signal der Solidarität, sagte Steinmeier nach einem Gespräch mit seinem irakischen Amtskollegen Hussein al-Scharistani in Bagdad. „Humanitäre Nothilfe ist ganz notwendig.“ Deutschland habe dafür bereits mehr als 24 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Steinmeier erklärte, er habe mit Scharistani auch darüber gesprochen, was die Europäer zur Ausrüstung derjenigen beitragen könnten, die sich im Augenblick im Kampf gegen die IS-Milizen befänden.
Fakten zum Terror im Irak
Die Terrorgruppe ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“) ist eine im Syrienkrieg stark gewordene Miliz. Die Gruppe steht seit 2010 unter Führung eines ambitionierten irakischen Extremisten, der unter seinem Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi bekannt ist. Die USA haben zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Ihm ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, aus einer eher losen Dachorganisation eine schlagkräftige militärische Organisation zu formen. Ihr sollen bis zu 10.000 Kämpfer angehören.
Die Gruppe nannte sich Ende Juni in IS um, da sie die Einschränkung auf den Irak und Syrien aufheben wollte.
ISIS sind Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie kämpfen für eine strikte Auslegung des Islam und wollen ihr eigenes „Kalifat“ schaffen. Ihre fundamentalistischen Ziele verbrämt Isis bisweilen - wenn es in einzelnen Regionen gerade opportun erscheint. „Im Irak gerieren sie sich als Wahrer der sunnitischen Gemeinschaft“, weiß Aimenn al-Tamimi, ein Experte für die militanten Einheiten in Syrien und im Irak. „In Syrien vertreten sie ihre Ideologie und ihr Projekt weit offener.“ In der syrischen Stadt Rakka beispielsweise setzen die Extremisten ihre strikte Auslegung islamischer Gesetze durch. Aktivisten und Bewohner in der Stadt berichten, dass Musik verboten wurde. Christen müssen eine „islamische Steuer“ für ihren eigenen Schutz zahlen.
Ihre Taktik ist eine krude Mischung von brutaler Gewalt und Anbiederung - alles zwischen Abschreckung durch das Köpfen von Feinden und Eiscreme für die Kinder in besetzen Gebieten. Das alles dient der Al-Kaida-Splittergruppe Isis nur zu einem Ziel: den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu bilden, den ihr Name verheißt. Die Gruppe, der bis zu 10.000 Kämpfer angehören sollen, hat diese Woche die irakischen Städte Mossul und Tikrit überrannt und den Marsch auf Bagdad angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte Isis bereits die Stadt Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen hat ISIS maßgeblichen Einfluss auf ein Gebiet, das von der syrisch-türkischen Grenze im Norden bis zu einem Radius von 65 Kilometern vor der irakischen Hauptstadt reicht. Der einstige Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, den US-Truppen vor ihrem Abzug aus dem Irak 2011 besiegt zu haben meinten, blüht in einer neuen Inkarnation wieder auf. Dabei profitiert Isis von den Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die ihre sunnitische Anhängerschaft radikalisieren.
Bislang drangen ISIS-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Mittlerweile haben die Kämpfer die Städte Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll ISIS erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Ministerpräsident Al-Malikis Versuch, am 12. Juni 2014 den Notstand auszurufen, war am Parlament gescheitert, das eine Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung verschob. Seit Monaten zeigt sich Al-Maliki praktisch machtlos gegen den Terror sunnitischer Extremisten im Land. Dieser kostete seit April 2013 Tausenden Menschen das Leben.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani hat dem Nachbarland die uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis zugesichert. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Ruhani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Inzwischen befindet sich Steinmeier nach Angaben des Auswärtigen Amtes auf dem Weg von Bagdad in die kurdische Stadt Erbil im Norden des Landes. Dort will er auch mit Flüchtlingen zusammenkommen, die vor den islamischen Extremisten geflohen sind. Der Minister will sich über die Lage vor Ort informieren und dann in der Nacht zum Sonntag nach Deutschland zurückkehren.
In Bagdad kam Steinmeier auch mit dem designierten Ministerpräsidenten Haider al-Abadi zusammen. Dessen Nominierung nannte er im Kurznachrichtendienst Twitter einen „kleinen Lichtblick“. Dies nähre die Hoffnung auf eine neue, handlungsfähige Regierung im Irak, die alle gesellschaftlichen und religiösen Gruppen einbinde und sich der Bedrohung durch die IS-Milizen mit vereinten Kräften entgegenstelle, hatte er kurz vor seinem Abflug erklärt.
Nach einem Treffen der EU-Außenminister am Freitag in Brüssel, bei dem sich die Ressortchefs für Rüstungslieferungen an irakische Kurden aussprachen, hatte Steinmeier deutlich gemacht, dass dazu auch Waffen gehören könnten. Der UN-Sicherheitsrat beschloss derweil in New York Sanktionen gegen sechs Unterstützer islamistischer Terrorgruppen im Irak und im Nahen Osten. Damit sollen deren Geldströme unterbrochen werden. Zudem werden alle 193 UN-Staaten verpflichtet, die Finanzierung und Rekrutierung für Terrorgruppen zu unterbinden.
Um möglichen Angriffen mit handgestützten Waffen zu entgehen, näherte sich die Transall dem Flughafen in Erbil in der Nacht auf Samstag in einem sogenannten taktischen Anflug, wie der Co-Pilot der dpa sagte. Dabei gingen die Piloten aus großer Höhe zur Landung abrupt in einen steilen Sinkflug über. Die Transall sollte nach dem Entladen der 6,6 Tonnen Hilfsgüter wie etwa Lebensmitteln umgehend wieder starten. Weitere Hilfsflüge der Bundeswehr vom türkischen Incirlik aus soll es voraussichtlich am Samstagabend geben.