New York? Zu teuer. Das Silicon Valley? Zu große Konkurrenz. Der Mittlere Westen, rund um Chicago? Zu schlechtes Wetter. Die USA sind für deutsche Unternehmen noch immer der wichtigste Markt. Ob etablierte Firmen oder Startups: Die heimische Wirtschaft zieht es nach Übersee – zumindest mit einer kleinen Anlaufstelle für die US-Kunden. Doch die Suche nach dem richtigen Standort gestaltet sich oftmals schwierig; immer mehr Firmen suchen abseits der bekannten Pfade. Dutzende Bundesstaaten und noch mehr Kommunen wollen dabei assistieren. Sie helfen bei der Immobiliensuche und Rechtsproblemen, stellen Kontakte zu Unternehmen vor Ort her – und subventionieren nicht zuletzt den Start in Übersee.
Mittendrin im Gefecht: Der Landkreis Lee County, mit der 60.000-Einwohner-Stadt Fort Myers, an der Westküste Floridas. Während es in New York City friert, sind hier, Anfang Januar, noch immer um die 25 Grad; an den muschelgesäumten Stränden beobachten Einheimische und Touristen, wie Pelikane auf Fischjagd gehen – und Delphine im unregelmäßigen Abstand ihren Kopf aus dem Meer strecken. Die Südspitze Floridas gilt als Rentnerparadies. Und dennoch gelingt es der örtlichen Wirtschaftsförderung, eine beachtliche Zahl von Unternehmen anzulocken. Bekannte Namen wie der Autovermieter Hertz, der soeben seinen Hauptsitz nach Fort Myers verlegt hat, oder die Analysefirma Gartner, deren Aktienkurs innerhalb von fünf Jahren von 34 auf rund 82 Dollar gestiegen ist. Und auch: immer mehr deutschstämmige Unternehmen.
Die größten Pleitekandidaten der USA
Kaliforniens Haushaltsloch brachte schon Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger zur Verzweiflung. Weder die Schließung von Gefängnissen noch die Sperrung von Nationalparks konnten die Finanzkrise des Landes lösen. In diesem Jahr wird im bevölkerungsreichsten US-Staat wohl eine Lücke im Haushalt von 25,4 Milliarden Dollar klaffen. Zur Einordnung: Das ist fast ein Drittel (29,3 Prozent) des Gesamtetats von 2011. Nun wird überall gespart – außer bei der Filmförderung für Hollywood.
Der fünftgrößte US-Staat war jahrelang die Heimat von US-Präsident Barack Obama. Er arbeitete in Chicago und ist noch heute in der „windy city“ äußert beliebt. Die Finanzlage des Landes ist besorgniserregend. Für 2012 erwartet Illinois ein Haushaltsloch von 15 Milliarden Dollar (44,9 Prozent des aktuellen Budgets). Die Bonität des Staates gilt schon jetzt als gering. Investoren leihen Illinois nur für hohe Zinsen ihr Geld. Die Schuldenspirale dreht sich damit immer weiter.
Der Bundesstaat an der Grenze zu Kanada hat nicht nur viele Gewässer ("Land der tausend Seen"), sondern auch viele Schulden. Für das Gesamtjahr 2012 gehen die Behörden von einem Haushaltsloch von knapp vier Milliarden US-Dollar aus. Schon im Juli 2011 war Minnesota zeitweise zahlungsunfähig. Zoos und Nationalparks wurden geschlossen, Bauarbeiten an Straßen wurden eingestellt und 22.000 staatliche Bedienstete in den unbezahlten Urlaub geschickt.
Der kleine Ostküstenstaat zwischen New York und Rhode Island steckt ebenfalls in der schwersten Finanzkrise seiner Geschichte. Im Haushalt 2012 fehlen 3,7 Milliarden Dollar (20,8 Prozent des 2011er-Etats). Selbst die private Elite-Uni Yale in Connecticut bleibt von der Krise nicht verschont. In ihrem Uni-Budget für 2011/12 fehlen 68 Millionen Dollar.
Der Südstaat musste in den vergangenen Jahren viele Tiefschläge verkrafte. Erst wütete Hurrikan „Katrina“ über das Land, dann folgte eine schmerzhafte Rezession und 2010 schließlich noch die Ölkatastrophe. Der Haushalt ist vollkommen überlastet. Es klafft 2012 ein Loch von 1,7 Milliarden US-Dollar (22 Prozent des 2011er-Etats).
Der Wüstenstaat ist durch eine Stadt weltbekannt: Las Vegas. Die Spielermetropole zieht jährlich Touristen aus allen Teilen der Erde an. Der Haushalt des Bundesstaates kann davon aber nicht profitieren. 2012 wird der Haushalt eine Lücke von 1,5 Milliarden Dollar aufweisen. Allerdings: Die Summe entspricht fast der Hälfte des derzeitigen Etats Nevadas.
Der nördliche Nachbar von Kalifornien wird 2012 wohl ein Haushaltsloch von 1,8 Milliarden US-Dollar verkraften müssen. Diese Summe beträgt ein Viertel des Gesamthaushaltes von 2011. Es wird drastisch gespart: Sowohl bei Kranken und Rentnern als auch bei Schülern und Studenten.
Klaus-Peter König öffnet die Klappe der Maschine, die wie ein übergroßer Wäschetrockner aussieht. Er schnappt sich eine Kiste mit über Zehntausend Golf-Tees, auf denen der Golfball beim Abschlag gelegt wird, und schüttet sie in die Öffnung. Nach drei, vier Bewegungen über ein Touchpad bewegt sich ein Sprühkopf und färbt die Plastikteile, die wie in der Wäscheschleuder durcheinandergewirbelt werden. Sportzubehörhersteller gehören genauso zu den Kunden von „Special Coatings“ wie die Produzenten von Geschirrspülern, Herde oder Waschmaschinen, etwa Siemens. 1983 hat König die Arbeit in Gilching, unweit von München, aufgenommen. Im Sommer 2015 folgte der Sprung in die USA.
Kosten, von denen Unternehmen in New York nur träumen können
„Wenn du in den Vereinigten Staaten erfolgreich sein willst, brauchst du einen Ansprechpartner vor Ort“, hat der Unternehmer gelernt. Die Amerikaner würden nicht in Deutschland anrufen, um Teile zu bestellen. Problematisch seien auch die Zeitverschiebung zwischen Deutschland und den USA und der Versand von Bestellungen nach Übersee. „Ich habe mir gesagt: Wenn du in Amerika Geschäfte machen willst, dann musst du rüberkommen“, so König.
Doch wieso Florida? Der Bayer gibt eine Antwort, die fast wortgleich viele Unternehmer vor Ort geben. „Weil es mir hier im Urlaub gefallen hat.“ Viele Manager haben ihre erste Erfahrungen mit Lee County als Tourist gemacht –und dann überlegt, ob man dort nicht auch Geschäfte machen kann. Kann man, ist König überzeugt. „Die Region ist sehr wirtschaftsfreundlich.“
Zunächst einmal sind die Kosten gering. Gewerbeimmobilien gibt es zu Preisen, von denen Firmen im Umkreis von New York City nur träumen können. Und: Da weder der Bundesstaat (Florida) noch die Kommune eine eigene Einkommenssteuer erhebt – Bundessteuern müssten natürlich gezahlt werden – können die Unternehmen deutlich geringere Löhne zahlen als anderswo.
Deutscher wirbt um Startups
„Die Abgaben hier sind in etwa so hoch wie in South Dakota. Nur ist es hier viel schöner“, sagt Donald Hopta, Chef von Klocke US. Bereits seit 1996 ist der Verpackungshersteller mit den deutschen Wurzeln in Florida vertreten. 60 Vollzeit-Mitarbeiter produzieren derzeit am Standort in Fort Myers Probefläschen für Parfums, Haarwachs oder Pestizide. Die Mehrzahl der Großkunden sitze an der Ostküste. Das sei aber kein Problem. „Mit dem Regionalflughafen in Fort Myers ist man in drei Stunden in New York City“, sagt Hopta. Die Großstädte Miami – mit seinem internationalen Flughafen – und Tampa sind weniger als zwei Autostunden von Fort Myers entfernt. „Außerdem habe ich noch keinen Manager gehört, der nicht gerne bei uns vorbeigeschaut hat. Am liebsten am Freitag oder Montag“, sagt Hopta und lacht. Schließlich bleibe dann übers Wochenende noch Zeit, um die Küste zu entdecken.
Der CEO besitzt ein Haus am Meer. Der Häusermarkt, der infolge der Finanzkrise kollabierte, insbesondere auch in Florida, erholt sich nur langsam. Die Preise liegen bei 60 bis 65 Prozent im Vergleich zum Vorkrisenniveau. Für unter 200.000 US-Dollar ist ein Eigenheim schon verfügbar. Für 500.000 US-Dollar gibt es direkt am Haus einen Bootsteg und damit den privaten Zugang zum Wasser inklusive. Und auch langfristig halten sich die Kosten in Grenzen, die property tax, die Grundsteuer, liegt gut ein Drittel unter dem Niveau von New York City und Umgebung.
„Angestellte, die in Connecticut, an unserer Hauptstelle, 100.000 US-Dollar verdienen, haben genauso viel in der Tasche oder manchmal gar einen Tick weniger, wie unsere Mitarbeiter in Fort Myers, die 60.000 US-Dollar bekommen“, sagt Nate Swan, Abteilungsleiter von Gartner. Die Analysefirma berät Kunden bei deren technologischen Entwicklung. Innerhalb von fünf Jahren hat das Unternehmen am Standort in Florida seine Mitarbeiter von 110 auf 440 erhöht. „Während wir in San Francisco wohl rund 120.000 US-Dollar an Lohn zahlen müssten, können unsere Fachkräfte hier mit etwa 75.000 Dollar gut leben.“
IWF fordert USA zum Handeln auf
Die USA befindet sich nach Einschätzung des IWF in einer Wachstumsflaute und bedarf daher weiterer Unterstützung durch die Finanz- und die Geldpolitik. Die größte Volkswirtschaft der Welt werde im Gesamtjahr 2014 mit zwei Prozent 0,8 Prozentpunkte weniger wachsen als bisher erwartet, so der IWF in einem Länderbericht von Mitte Juni 2014.
Für die anhaltende Schwäche gebe es laut IWF zahlreiche Gründe, darunter die Alterung der Bevölkerung und die damit einhergehende geringe Produktivität. Problematisch seien auch die relativ große Armut, eine hartnäckige Arbeitslosigkeit und Mängel im Steuerwesen.
Die IWF-Experten rechnen damit, dass es noch bis Ende 2017 dauern könnte, bis in den USA wieder Vollbeschäftigung herrscht. Da die Inflation niedrig bleiben werde, könnte der Leitzins noch bis in die zweite Jahreshälfte 2015 hinaus nahe null gehalten werden, hieß es in dem Bericht.
Die offenen Stellen zu besetzen, sei bisher kein Problem gewesen, sagt Swan. Es gebe einen guten Pool von Absolventen vor Ort, die örtliche Universität habe sich von Jahr zu Jahr verbessert. Und abseits von Florida lässt sich für Fort Myers leicht begeistern. „Das Wetter ist natürlich ein großes Plus.“
Bislang sind es vor allem Produzenten und Dienstleister, kleine und mittelständische deutsche Unternehmen, die sich in Fort Myers niedergelassen haben. Dieter Kondek will dafür sorgen, dass nun auch heimische Startups über Florida nachdenken. Bislang zieht es die ins Silicon Valley oder auch in das boomende Austin, Texas. Dem Trend hinterherzurennen, sei keine gute Idee, so Kondek. „Die Konkurrenz dort ist enorm, die Kosten und der Druck sind hoch.“ Mit seiner „Rocket Lounge“ will Kondek junge Unternehmer nach Florida locken. Sein Angebot ist attraktiv: Für Gründer stehen Büroflächen – so genannte Co-Working-Bereiche – und eine Anschubfinanzierung bereit, Mentoren beraten die Jungunternehmer – und auf diversen Veranstaltungen sollen Gründer und potenzielle Kunden zusammengeführt werden.
„Wir haben ein großes Netzwerk, hunderte von hoch ausgebildeten Mentoren, und sind überzeugt, jungen Gründern die besten Voraussetzungen für den US-Markteintritt zu bieten“, sagt Kondek selbstbewusst. Es gebe keinen Grund, einen Bogen um Florida zu machen. Der Bundesstaat sein ein Urlaubs- und Wirtschaftsparadies – und „RocketLounge ist ein Tech-Startup-Paradies“.