Deutsche Unternehmer in Südamerika „Ein Klima zwischen Kafka und Mafia“

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Unternehmen als Devisenbeschaffer und Zitronenhändler

Zeitweise konnten die Unternehmen alle Importzölle umgehen, indem sie Produkte in Havanna umpackten und mit dem Stempel „Hecho en Cuba“ versahen. Die wenigen Unternehmer, die heute noch aus Venezuela exportieren, werden im maroden Karibikstaat bevorzugt behandelt, weil sie für die dringend nötigen Dollareinnahmen sorgen. Auch Spediteure mit teilweise deutscher Beteiligung, die Öl aus Venezuela vor allem nach Fernost per Schiff versenden, wollen darüber nicht sprechen.

Natürlich, Venezuela ist ein Extremfall. Dennoch steigt das Risiko, dass in Südamerika nach einigen Jahren der marktwirtschaftlichen Reformen wieder staatsdirigistische, eher unternehmerfeindliche Regierungen an die Macht kommen. Das könnte etwa in Argentinien der Fall sein. Während Präsident Mauricio Macri das Land wieder für Handel und Investoren öffnete, ist er bei dem Versuch seiner Wiederwahl krachend gescheitert: Ihm ist es trotz der marktliberalen Maßnahmen nicht gelungen, die Inflation zu bändigen, das Haushaltsdefizit zu reduzieren und gleichzeitig Argentinien zum Wachsen zu bringen. Ganz im Gegenteil. Bei fast allen volkswirtschaftlichen Kernzahlen schneidet Argentiniens Wirtschaft heute schlechter ab als zu Beginn seiner Amtszeit Dezember 2015.

Sein Nachfolger, Alberto Fernández von den Peronisten, ist vor allem gewählt worden, weil er die Ex-Präsidentin Cristina Kirchner als Vize mit im Boot hat. Die ruinierte in ihren zwei Amtszeiten die Wirtschaft Argentiniens, plünderte die Pensions- und Devisenvorräte und drangsalierte die Unternehmer. Es ist wahrscheinlich, dass der Druck auf die Unternehmen auch nun wieder zunehmen wird: Der Staat ist pleite, die Investoren bleiben aus, die Armut steigt, ein neuer Boom bei den Rohstoffen ist nicht in Sicht – da bieten sich Unternehmen an, um sie zu schröpfen. Auch ausländische.

Es ist gerade mal vier Jahre her, da wagte kaum ein Unternehmer in Buenos Aires sich öffentlich über die Regierung zu äußern oder gar zu kritisieren. Es herrschte ein Klima „irgendwo zwischen Kafka und Mafia“. So beschreibt Martin Jebsen, einer der führenden Wirtschaftsanwälte für deutsche Unternehmen in Buenos Aires, den damaligen Geschäftsalltag. Staatliche Kontrolleure machten den Unternehmern das Leben schwer. Guillermo Moreno, der Staatssekretär für den Binnenhandel, stauchte am Telefon Manager und Unternehmer zusammen, wenn sie die Preise aus seiner Sicht zu stark erhöht hatten – seine Anrufe kamen gerne morgens um sechs oder noch um Mitternacht. Ausländischen Managern droht er gelegentlich mit dem Rausschmiss aus dem Land. Wer die Anweisungen Morenos und seiner „Operatoren“ nicht befolgte, konnte ewig auf Importlizenzen warten oder bekam Besuch von Steuerprüfern. Die Korruption blühte.

Wegen der Devisenkontrollen dauerten einfache Importe ewig. Importeure zeigen sich erfinderisch, um ihre Einfuhren wiederum mit Exporten zu kompensieren. Etwa Autobauer, ohne eigene Produktion in Argentinien wie Porsche oder BMW. Um den Markt nicht zu verlieren, wurde BMW zeitweise der größte Reisexporteur Argentiniens. Porsche exportierte Wein und Olivenöl, um für den Gegenwert Autos importieren zu dürfen. Findige Exportunternehmen versteigerten gegen Gebühr Importeuren ihre Ausfuhrlizenzen: So exportieren mehrere deutsche Mittelständler zeitweise Tannin, das zur Lederherstellung benötigt wird. Der Büroartikelhersteller Pelikan handelte mit Zitronen. Die deutsche Handelskammer vermittelte unter ihren Mitgliedern zwischen Ex- und Importeuren.

Doch es gibt auch Unternehmen, die in diesen schwierigen Jahren in Argentinien erfolgreich investierten: Der Ölkonzern Wintershall, der Gipsplattenhersteller Knauf, der Automatisierungstechniker Phoenix Contact.

Die Wirtschaft setzt auf die Machthaber

Die Unternehmer eint, dass sie aus einer schwierigen Situation immer noch das Beste zu machen versuchen. Das gilt derzeit etwa auch für Brasilien. Dort ist der rechtsextreme Jair Bolsonaro seit knapp einem Jahr an der Macht. Der Ex-Hauptmann spaltet das Land, hetzt gegen Minderheiten und Medien, verhöhnt ausländische Regierungen und lobpreist die Diktatur Brasiliens und ihre Menschenrechtsverletzungen. Da er gleichzeitig jedoch eine fähige Wirtschaftsequipe im Kabinett hat, die beherzt Reformen des Rentensystems oder der Arbeitsgesetzgebung umgesetzt hat, stehen die deutschen Unternehmer im Land zu der Regierung: Das gilt für BASF, Siemens, Mercedes, Volkswagen - egal, wo man nachfragt, die Wirtschaft hofft auf Bolsonaro.

Auch in Chile sieht Ferrostaal-Chef Ludwig Hecker inmitten der schweren Krise durchaus positiv in die Zukunft. Er erwartet keinen Systemwechsel. In Chile herrsche in der Politik seit langem ein gesundes Gleichgewicht zwischen rechter und linker Mitte. „Die sind beide politisch vernünftig genug, um sich zu einigen“, sagt er. Er sieht zudem, dass der Druck von der Straße sogar einen neuen Investitionszyklus in Chile auslösen könnte. Die jetzt durchaus zu Recht geforderten Lohnerhöhungen für die ärmeren Chilenen und Arbeitnehmer würden den Faktor Arbeit verteuern, sagt er. Das schaffe eine neue Nachfrage für Automatisierung und Datenverarbeitung. „Da sind wir mit unserer deutschen Spitzentechnologie genau die Richtigen.“ 

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