Deutschland und die Türkei Alle Zeichen auf Versöhnung

Entspannt sich die Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei? Außenminister Cavusoglu besucht Gabriel in dessen Heimatort. Größter Streitpunkt weiterhin: Deniz Yücel -wo bald eine wichtige Entscheidung fallen könnte.

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Deutschland und die Türke: Alle Zeichen auf Versöhnung Quelle: dpa

Istanbul
Die Bilder vom Besuch des Bundesaußenministers Sigmar Gabriel im Wahlkreis seines türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu sollten Entspannung in der Krise signalisieren: Die beiden Minister spazierten durch einen Park im Urlaubsort Antalya, vorbei an einem Pool und an Palmen. Das war im November, nun steht der Gegenbesuch an: Gabriel hat Cavusoglu in seinen Heimatort Goslar eingeladen. An diesem Samstag will der Besucher aus der Türkei zu seinem „persönlichen Freund“ nach Niedersachsen reisen. Ankaras Ziel nach monatelangem Streit: Eine Normalisierung der Beziehungen.

Das unterstreicht auch eine weitere Meldung am Donnerstag: Die Regierung in Ankara hat nach neun Monaten ihre Stellungnahme beim türkischen Verfassungsgericht zur Beschwerde des inhaftierten „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel gegen dessen Untersuchungshaft eingereicht, wie die „Welt“ berichtete. Die darin erhobenen Vorwürfe gingen nicht über jene hinaus, die die Regierung in einer früheren Stellungnahme zur Beschwerde Yücels beim Europäischen Gerichtshof (EGMR) in Straßburg eingereicht hatte.

Die „Welt“ berichtete, in der neuen Stellungnahme würden Yücel weiterhin Terrorpropaganda und Volksverhetzung auf Grundlage seiner Artikel vorgeworfen. Das Verfassungsgericht habe Yücel und dessen Anwälten eine Frist von zwei Wochen für eine Reaktion eingeräumt. Danach könnte das höchste türkische Gericht darüber entscheiden, ob Yücel bis zu einem Urteil in einem Verfahren auf freien Fuß gesetzt wird oder ob er in Haft bleiben muss. Der Fall Yücel ist der größte Streitpunkt in den bilateralen Beziehungen.

Angefangen mit der Bundestags-Resolution zum Völkermord an den Armeniern vom Juni 2016, die die Türkei als Affront empfand. Im Stich gelassen fühlte Ankara sich nach dem Putschversuch vom darauffolgenden Monat, auf den Berlin vor allem mit Appellen zur Mäßigung an die Adresse von Präsident Recep Tayyip Erdogan reagierte.

In Deutschland sorgten die von Erdogan nach dem Umsturzversuch ausgerufenen „Säuberungen“ - die bis heute andauern - für Irritation. Auftrittspläne von Erdogan und Mitgliedern seiner AKP-Regierung nach dem Putsch und vor dem Verfassungsreferendum im April 2017 riefen Empörung in der Bundesrepublik hervor. Dass Auftritte verboten wurden, führte wiederum zu Nazi-Vergleichen Erdogans, aber auch Cavusoglus. Vergleiche, zu denen der Außenminister übrigens in einem dpa-Interview vor wenigen Tagen sagte, er bereue sie nicht.

Die Krise eskalierte mit der Festnahme deutscher Staatsbürger, die nach Überzeugung Berlins aus politischen Gründen in türkische Gefängnisse gesperrt wurden - was Ankara wiederum dementiert. Gabriel riet Investoren im Juli davon ab, ihr Geld in die Türkei zu tragen, was die dortige Regierung besonders schmerzte. Im Zusammenhang mit den deutschen Gefangenen sprach Gabriel von „Geiseln“.

Yücel ist zum Symbol der Krise geworden. Ohne eine Lösung in dem Fall kann es aus Berliner Sicht keine Normalisierung geben. Dennoch bemüht sich Ankara seit Herbst um Entspannung: Mehrere Deutsche wurden aus der Haft entlassen, Ausreisesperren wurden aufgehoben. Auch in den Fall Yücel kommt Bewegung, und die Tonlage in Ankara hat an Schärfe verloren.

Erdogan hatte Yücel im März vorgeworfen, ein „deutscher Agent“ und ein „Terrorist“ zu sein. Noch im Oktober äußerte sich Cavusoglu in einem „Spiegel“-Interview nur knapp und eher brüsk zu dem Fall. Der dpa sagte der Minister nun zwar, gegen Yücel würden „sehr ernste“ Vorwürfe erhoben. Er fügte aber hinzu: „Auch ich bin nicht sehr glücklich darüber, dass es noch immer keine Anklage gibt.“ Seine Regierung habe die Justiz „ermutigt“, den Prozess zu beschleunigen.

Am Donnerstag berichtete die „Welt“, die türkische Regierung habe nach neun Monaten ihre Stellungnahme beim Verfassungsgericht zur Beschwerde ihres Korrespondenten gegen die U-Haft eingereicht. Yücels Anwälte hätten nun zwei Wochen Zeit für eine Reaktion. Danach könnte das höchste türkische Gericht einen Beschluss fällen. Die Verfassungsrichter würden womöglich einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zuvorkommen - und damit einen potenziellen Gesichtsverlust der Türkei vermeiden.

Auch von Erdogan - der in der Türkei den Kurs vorgibt - waren in der Krise mit Deutschland zuletzt versöhnliche Töne zu hören. Auf dem Rückflug von einer Afrika-Reise sagte er kürzlich Medienberichten zufolge: „Es gab Probleme, aber unsere letzten Gespräche waren überaus gut.“ Und er fügte hinzu: „Wir wollen natürlich, dass unsere Beziehungen zur EU, zu den Ländern der EU, gut sind.“ Dazu passt, dass Erdogan am Tag vor Cavusoglus Deutschland-Besuch nach Frankreich reist. Auch Cavusoglu betont, Ziel sei weiter die EU-Mitgliedschaft.

Dabei hatte Erdogan die EU noch im April als „Kreuzritter-Allianz“ geschmäht. Was nun zum Annäherungskurs geführt hat, ist - wie oft in der Türkei - nicht ganz klar. Grünen-Chef Cem Özdemir sieht dahinter ökonomische Gründe. „Dem türkischen Staat geht es wirtschaftlich schlecht, und das Land braucht dringend deutsche Touristen und deutsche Investitionen“, sagte er der „Berliner Zeitung“. Von einer ökonomischen Misere ist in der Türkei derzeit allerdings wenig zu spüren: Zwar leidet das Land unter hoher Inflation, verzeichnete zuletzt aber ein Wirtschaftswachstum von mehr als 11 Prozent.

Auf einen anderen Grund deutet eine weitere Aussage Erdogans hin, der sagte: „Wir müssen die Zahl unserer Feinde verringern und die Zahl unserer Freunde erhöhen.“ Nicht nur mit dem wichtigsten Handelspartner Deutschland und anderen EU-Ländern liegt die Türkei im Streit, sondern inzwischen auch mit dem mächtigen Nato-Partner USA und seit kurzem wieder mit Israel. Selbst zu einigen arabischen Staaten ist das Verhältnis angespannt. Mit Moskau hat sich Ankara zwar im Sommer 2016 ausgesöhnt, Differenzen bleiben aber.

Die Türkei ist also auf der Suche nach Freunden. Ob Deutschland bald wieder dazugehört? Cavusoglu macht jedenfalls deutlich, dass er den Annäherungskurs nicht als Nachgeben verstanden wissen will. Im dpa-Interview sagte er: „Wenn Deutschland sich einen Schritt auf uns zubewegt, geht die Türkei zwei Schritte auf Deutschland zu. Das ist keine Schwäche, das kommt von Herzen. Aber wenn Deutschland die Türkei bedroht, wird die Türkei zurückschlagen.“

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