Deutschland und die Türkei Der Streit ist noch lange nicht vorbei

Deutschland wird wahrscheinlich seine Anti-IS-Truppen aus der Türkei abziehen. Das bedeutet zwar, dass ein Streitpunkt im bilateralen Verhältnis wegfällt. Doch die Eiszeit zwischen den Ländern geht weiter. Eine Analyse.

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Die Debatte um Incirlik wird nicht die Letzte sein. Quelle: Reuters

Ankara Sigmar Gabriel ist in Ankara gescheitert, aber die Fotos werden einen zufriedenen Bundesaußenminister zeigen. Die Türkei bleibt dabei, einzelnen Bundestagsabgeordneten einen Besuch der in der Türkei stationierten deutschen Soldaten der Anti-IS-Koalition zu verbieten. Stattdessen könne eine Delegation die deutschen Soldaten auf dem Nato-Stützpunkt in Konya besuchen, heißt es nach einem knapp zweistündigen Treffen zwischen Gabriel und seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Ankara. Die 260 in Incirlik stationierten Soldaten werden hingegen wahrscheinlich abgezogen.

Es ist gut, dass beide Seiten realisiert haben, dass sie mit dem Streit um das Besuchsrecht nicht weiter kommen. Doch damit sind die türkisch-deutschen Beziehungsprobleme noch lange nicht behoben. Im Gegenteil: Ankara könnte nun auch bei anderen Problemen versuchen, den Streit so lange zu eskalieren, bis die Bundesrepublik ihm nur noch aus dem Weg gehen will.

Deutschland beharrt auf das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Parlamentsarmee, das jedem Parlamentarier ermöglichen muss, Soldaten im Auslandseinsatz jederzeit besuchen zu dürfen. Die Türkei wiederum will genau dieses Recht nicht gewähren, weil mutmaßliche Putschisten vom Umsturzversuch im Juli 2016 in Deutschland Asyl in Aussicht gestellt bekommen haben. Statt sich zu einigen, haben Gabriel und Cavusoglu am Pfingstmontag faktisch beschlossen, sich nicht länger einigen zu wollen, sondern dem Streit quasi die Grundlage zu entziehen.

Das wird bei anderen Themen nicht gehen. Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, der in der Türkei unter Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft sitzt, kann nicht mal eben seinen deutschen Pass abgeben, damit sich das Problem von selbst erledigt. Auch können Mitglieder der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK oder mutmaßliche Putschisten, die sich derzeit in Deutschland aufhalten, nicht in ein Drittland abgeschoben werden. Und auch bei der geplanten Visa-Liberalisierung für türkische Bürgerinnen und Bürger kann niemand in der EU plötzlich darauf verzichten, dass die Türkei dafür wie verlangt ihre Anti-Terror-Gesetze entschärft. Dass Gabriel beim Treffen in Ankara angeboten hat, türkischen Wissenschaftlern und Unternehmern die Visaprozedur erleichtern zu wollen, zeigt, dass er auch hier dem Problem am liebsten aus dem Weg gehen möchte.

Das wird nicht gelingen. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan, der nach einem Verfassungsreferendum künftig mehr Macht auf sich konzentrieren wird, sieht sich bereits jetzt im Wahlkampf für die anstehenden Parlamentswahlen im Jahr 2019, bei denen er als erster exekutiver Präsident des Landes kandidieren will. Ein Schmusekurs mit Brüssel oder Berlin kommt jedoch nur dann bei den eigenen Wählern an, wenn es Gegenleistungen aus Europa gibt.

Die Bundesregierung hat zwei Möglichkeiten. Entweder gibt sie künftig häufiger nach, oder sie muss ihre Türkei-Politik komplett überdenken. Das hätte weitreichende Folgen: vom geplanten EU-Beitritt des Landes über den Anti-Terror-Kampf bis hin zum Flüchtlingspakt.

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