Die Folgen der Russland-Sanktionen „Russland und China entwickeln Alternativen zum westlichen Swift-System“

Schurkenstaaten werden Geldwäsche im Westen betreiben. Quelle: Getty Images

Die Finanzsanktionen gegen Russland haben Folgen für das gesamte Weltwährungssystem, sagt Ökonom Jan Pieter Krahnen. Er glaubt: Die Notenbanken von „Schurkenstaaten“ könnten ihre Dollarreserven künftig reduzieren – oder sie über Tarnfirmen verschleiern.

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Jan Pieter Krahnen ist Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt und Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung (SAFE).

WirtschaftsWoche: Herr Krahnen, nach den Finanzsanktionen gegen Russland ist der Kurs des Rubel eingebrochen. Wie ist zu erklären, dass er nun fast wieder auf Vorkriegsniveau steht?
Jan Pieter Krahnen: Die Handelbarkeit des Rubel ist stark eingeschränkt, der Markt ist sehr klein. Wir sehen daher sicher nicht den Wechselkurs, der sich am freien Markt ergeben würde. Die aktuelle Rubelerholung ist nicht nachhaltig, sondern reflektiert Angebot und Nachfrage auf einem Teilmarkt. Belastbare Aussagen über die Kaufkraft des Rubel lassen sich aus dem Wechselkurs nicht mehr ziehen.

Die russische Notenbank hat den Kurs durch Zinserhöhungen gestützt und scheint auch sonst auf die Sanktionen des Westens gut vorbereitet gewesen zu sein. Was hat die russische Geldpolitik noch im Köcher?
Entscheidend für Russland ist in jeder Hinsicht die Positionierung Chinas. Wenn den Ankündigungen über eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit tatsächlich Taten folgen, hat das natürlich auch Auswirkungen auf die Währungen. Gibt es im Handel eine stärkere Fakturierung in Rubel und kooperieren die Notenbanken, würde dies die Stabilität des Rubel erhöhen.

Ökonom Jan Pieter Krahnen Quelle: PR

Inwieweit beeinflussen die Finanzsanktionen gegen die russische Notenbank das gesamte globale Währungssystem?
Die USA nutzen den Dollar im Konflikt mit Russland wie eine Waffe. Das berührt den Status des Dollar als weltweit wichtigste Reservewährung. Alle anti-westlich eingestellten Staaten werden sich nun fragen, ob sie weiterhin Vermögen auf Konten im Westen halten sollen – oder ob nicht auch sie Gefahr laufen, im Falle eines politischen Konflikts plötzlich nicht mehr an ihre Devisenreserven heranzukommen.

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Was ist die Alternative?
Das wahrscheinliche Reaktionsmuster ist Diversifikation – und zwar nicht nur bei den genutzten Reservewährungen, sondern auch, wo und wie sie gehalten werden. Das kann durchaus heimlich geschehen. Man kann Währungsreserven verstecken, und es gibt für Notenbanken am Finanzmarkt Mittel und Wege, die eigene Identität zu verschleiern. Ich glaube, dass derartige Versuche von Notenbanken anti-westlicher Staaten in Zukunft zunehmen werden, um die Angreifbarkeit von außen zu reduzieren.

Wie soll das konkret funktionieren?
Zum Beispiel über die Gründung staatlicher Tarnfirmen. Im Grunde reden wir hier über Geldwäsche auf höchsten Niveau. Das Geld wird nicht bei ausländischen Notenbanken gehalten, sondern verschachtelt am privaten Kapitalmarkt geparkt, so dass man den Besitzer nicht mehr erkennt. So können „Schurkenstaaten“ weiter an den westlichen Finanzmärkten investiert bleiben – die ja nun mal die stabilsten und liquidesten Märkte der Welt sind und auch langfristig bleiben werden.

Aber Notenbanken müssen ihre Währungsreserven bilanzieren. Fällt es nicht auf, wenn plötzlich Löcher in der Bilanz auftauchen?
Sie müssen ihre Währungsbestände dem Volumen nach angeben, aber nicht, wo sie angelegt sind.

Welche Rolle wird künftig das Gold im Vermögensportfolio der Notenbanken spielen?
Die physischen Goldreserven sind international breit gestreut, weil der Transport risikoreich und teuer ist. Nur kleinere Bestände werden lokal gehalten. Staaten, die Angst vor Sanktionen haben müssen, könnten zwar nun versucht sein, mehr Gold ins Inland zu schaffen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass auch der Goldhandel einem Sanktionsregime unterworfen werden kann. Was nützen mir die Barren im heimischen Tresor, wenn ich sie an niemanden verkaufen kann?

Sind geschlossene Finanzkreisläufe und Zahlungsverkehre innerhalb einer Gruppe von Staaten denkbar, die sich bewusst vom Westen abschotten?
Ja. Es gibt dafür schon einige Ansätze. Sowohl Russland als auch China entwickeln Alternativen zum westlichen Swift-System. Das sind aber bislang nur rudimentäre Kommunikationskanäle für den Austausch zwischen Geschäftsbanken und Notenbank. Der Aufbau eines solchen Systems für schnell laufenden Geldtransaktionen ist technisch anspruchsvoll und braucht das Vertrauen aller Wirtschaftsakteure. Unter dem Strich rechne ich nicht damit, dass China seine globale Perspektive, einschließlich der Teilhabe am internationalen Zahlungsverkehr Swift aufgibt. Dazu ist der Waren- und Investitionsverkehr mit dem Westen für China viel zu wichtig. Wichtiger jedenfalls, so vermute ich, als die Befindlichkeiten und Bedürfnisse Russlands.

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