
So schnell hätte Dilma Rousseff ihre erste echte Bewährungsprobe wohl nicht erwartet. Erst vor zweieinhalb Monaten trat die 67-Jährige nach einer knapp gewonnenen Wahl ihr zweites Mandat an. Doch das Land blieb nach der Wahl gespalten. Die Stimmung ist gereizt. Die schlechte Wirtschaftslage, hohe Inflation, ein massiver Korruptionsskandal und drohende Sparmaßnahmen - das ist ein Gemisch, das Menschen auf die Straße treibt. Für die Regierung wird es ziemlich ungemütlich.
Viele Brasilianer, vor allem aus der Mittelschicht, haben die Nase gestrichen voll von der seit rund 12 Jahren regierenden linken Arbeiterpartei (PT) Rousseffs, die das Amt Anfang 2011 von Luiz Inácio Lula da Silva übernahm. Die derzeitige Lage ähnelt einer Fortsetzung des erbitterten Wahlkampfes 2014, an dessen Ende Rousseff ihren Mitte-Rechts-Herausforderer Aécio Neves knapp in der Stichwahl bezwang.
Brasilien
2013: 2,5 Prozent
2014: 3,1 Prozent
2013: 6,2 Prozent
2014: 5,6 Prozent
2013: 5,5 Prozent
2014: 5,6 Prozent
IHS Global Insight
Nach Polizeiangaben forderten am Sonntag allein in der Finanzmetropole Sao Paulo trotz Regens mehr als eine Million Demonstranten ihre Absetzung. In Rio de Janeiro sangen die Menschen die Nationalhymne und skandierten "Dilma raus". Außerdem waren Schilder mit Aufschriften wie „Brasilien wird kein zweites Kuba“ oder „Amtshebung jetzt - KorruPTe raus!“ zu lesen.
Allein in São Paulo gingen laut Polizei eine Million Menschen auf die Straße - diese Zahl wurde zuletzt bei den Massenprotesten 2013 erreicht. Regierungsvertreter erinnerten in den letzten Tagen vorsorglich: „Es gibt keine dritte Wahlrunde.“ Dennoch gleichen die Themen denen aus dem Vorjahr - und die Probleme haben sich verschärft.
Der Oppositionsführer Aecio Neves sprach von einem Tag, an dem die Brasilianer "auf die Straße gegangen sind, um sich auf ihre Tugenden, ihre Werte und auch ihre Träume zu besinnen". Rousseff selbst hatte am Samstag erklärt, sie unterstütze das Recht der Demonstranten auf Meinungsfreiheit.
Korruptionsskandal ausschlaggebend
Ein zentrales Motiv der Proteste war der massive Korruptionsskandal um den staatlich kontrollierten Öl-Konzern Petrobras. Bei Verträgen sollen hohe Schmiergelder gezahlt worden sein, die auch an Politiker und Parteien gingen. Der Gesamtschaden geht in Milliarden, schätzt die Staatsanwaltschaft.
Vor ein paar Tagen erreichte der Skandal den Kongress, wo gegen Dutzende Abgeordnete und Senatoren vor allem aus dem Regierungslager ermittelt wird. Es gibt auch Vorwürfe, Rousseffs Wahlkampagne sei 2010 von illegalen Millionen-Zuwendungen von Petrobras gestützt worden.
Aber selbst Regierungskritiker sehen darin keine ausreichende Basis für ein Amtsenthebungsverfahren (Impeachment), das sich viele, die nun auf die Straße gehen, auf die Fahne geschrieben haben. Die Diskussion über ein „Impeachment“ ist legitim, wird aber gern populistisch ins Feld geführt. Denn bei einer Amtsenthebung müssten der Präsidentin kriminelle Machenschaften nachgewiesen werden. Zudem wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat notwendig. Weder das eine noch das andere ist in Sicht.
Fakt ist aber, dass die Zustimmungswerte für Rousseff im Keller sind. Im Februar fanden nur 23 Prozent der Befragten die Amtsführung der Staatschefin „sehr gut oder gut“, ermittelte das Institut Datafolha. Im Dezember waren das noch 42 Prozent.
Der Unmut war vor einer Woche auch zu hören, als viele Brasilianer ihre Töpfe und Pfannen schlugen, um ihren Groll kund zu tun, während sich Rousseff im Fernsehen ans Volk wandte. „Panelaço“, heißt das Topfschlagen in Brasilien.
Rousseff sprach von „konjunkturellen Problemen“, „temporären Opfern“, bat um „Geduld und Verständnis“ und gab der internationalen Krise die Schuld. Da schwante so manchem nichts Gutes. Sprit, Strom, Wasser sind schon teurer geworden, die Steuern soll steigen. Der heimische Real schmiert gegenüber dem Dollar regelrecht ab, das Wachstum liegt bei Null - das kann der Bürger schon mal sauer werden.
Bei den Massenprotesten gegen Korruption und Misswirtschaft im Jahr 2013 war auch Rousseff zunächst überrascht, dann etwas verstört und zum Schluss verständnisvoll. „Ich höre die Stimme der Straße“, hatte sie damals zu den Demonstranten gesagt. Die jüngste Botschaft von der Straße dürfte sie sicher überhören wollen, denn die Demonstranten forderten am Sonntag vor allem eins: ihren Abgang.