Diplomatische Krise Boykottiert Saudi-Arabien deutsche Unternehmen?

Trotz zwischenzeitlicher Rezession boomt Saudi-Arabien: Es wird gebaut und geplant - deutsche Unternehmen wollen dabei sein. Quelle: dpa

Saudi-Arabien hat ehrgeizige Pläne für die Zukunft. Deutsche Unternehmen wollen davon profitieren und hofften auf Aufträge. Nun kommt ihnen eine diplomatische Krise in die Quere, über die sie sich sehr ärgern.

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„Wir haben ein paar kleine Probleme an der politischen Front“, sagt Dieter Walter Haller. Als Botschafter der Bundesrepublik in Saudi-Arabien weiß der erfahrene Diplomat seine Worte genau zu wählen. Im Königreich müssen hohe staatliche Repräsentanten wie er noch mehr als anderswo auf Sensibilitäten achten, wenn sie öffentlich etwas sagen. Also nennt er die heftigen diplomatischen Verwerfungen der vergangenen Monate „ein paar graue Wolken am Himmel“, die bald weitergezogen sein werden.

Haller spricht vor dem deutsch-arabischen Wirtschaftsforum in Berlin, einem jährlichen Netzwerktreffen mit hochkarätigen Gästen aus Deutschland und dem Mittleren Osten. Doch in diesem Jahr sind kaum Vertreter aus Saudi-Arabien dabei, auf der langen Gästeliste kann man sie an einer Hand abzählen – nur ein Indiz für die „kleinen Probleme“.

Während im Königreich am Golf Aufbruchstimmung herrscht, gesellschaftliche Reformen umgesetzt und Megaprojekte angestoßen werden, bemerken etliche deutsche Unternehmen, dass sie keine Aufträge mehr aus dem Wüstenstaat bekommen. Nun wächst die Nervosität: Gab es eine geheime Weisung auf dem Palast, dass Deutsche nicht mehr berücksichtigt werden sollen?

Was Diplomaten wie Haller umständlich in harmlose Worte kleiden, um die im Hintergrund laufenden Bemühungen der Bundesregierung zur Beruhigung der Lage nicht zu gefährden, sprechen andere unumwunden aus: „Ja, es gibt ein Problem“, sagt Oliver Oehms, Leiter der Auslandshandelskammer in Riad. „Deutsche Unternehmen spüren, dass es eine Verstimmung auf der politischen Ebene gibt. Die Politik strahlt aus auf den Privatsektor.“ Ein Vertreter eines großen deutschen Konzerns am Golf, der nicht namentliche genannt werden will, sagt: „Ein Auftragsstopp für deutsche Firmen wurde vielleicht nicht direkt ausgesprochen, ist aber zu spüren.“

Von Boykott will Oehms zwar nicht sprechen. Ein entsprechender Artikel im „Spiegel“ hatte vor einigen Wochen Kreise gezogen. „Die Lage lässt es nicht zu, dass wir Worte wie Embargo oder Boykott in den Mund nehmen sollten.“ Dennoch: „Bei einzelnen Aufträgen geht der Ausfall in den sieben- bis achtstelligen Bereich“, sagt Oehms. Betroffen sind vor allem Unternehmen aus dem Gesundheitssektor. Oehms hat keine Kenntnis, was genau dahinter steckt. Eine als Empfehlung getarnte Weisung von ganz oben an das saudische Gesundheitsministerium läge im Bereich des Denkbaren. Die Behörde ist für die Vergabe von Aufträgen in diesem Sektor zuständig.

Die Saudi Vision 2030 in Kürze

Um das alles zu verstehen, muss man in den November 2017 zurückblicken: „Außenpolitisches Abenteurertum“ warf der damalige Außenminister Sigmar Gabriel da der saudischen Führung vor, ohne sie direkt beim Namen zu nennen. Damals hatte Saudi-Arabien in einer undurchsichtigen Aktion den libanesischen Regierungschef Saad al-Hariri bei dessen Besuch in Riad festgesetzt. Man munkelte, dass der innenpolitische Kurs des von Saudi-Arabien bis dato unterstützten sunnitischen Regierungschefs den Saudis missfiel. Hariri erklärte dem verblüfften Publikum in der Heimat im TV seinen Rücktritt, von dem er später, nach französischer Vermittlung und glücklicher Rückkehr nach Beirut, wiederum zurücktrat.

Während die Episode im Nahen Osten relativ schnell vergessen war, nahm Kronprinz Mohammed bin Salman Gabriels Äußerung äußerst persönlich und ist, so vermutet man, bis heute beleidigt. In der Folge zog Saudi-Arabien seinen Botschafter aus Berlin ab, bis heute ist der Posten vakant.

Diplomaten, Vertreter der Handelskammern und Unternehmer schlugen damals die Hände über dem Kopf zusammen: Noch mehr zur Unzeit hätte Gabriel mit seinem Poltersatz nicht hineingrätschen können in eine ohnehin sensible Gemengelage. „Die Saudis wollen mehr gewürdigt werden, für ihr regionales Engagement, für ihren Reformprozess. Das müssen wir ernst nehmen“, sagt Oehms. Die Bundesregierung hat den Handel mit der arabischen Welt eigentlich eine „Investition in die Zukunft“ genannt – so schrieb es die ehemalige Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries noch vor wenigen Monaten in den Geschäftswegweiser der arabisch-deutschen Handelskammer Ghorfa, die auch das Wirtschaftsforum veranstaltet.

Die Deutschen sind laut Insidern aber aus saudischer Sicht vor allem Spielverderber: Ständig mahnen sie Menschenrechte an, verbieten Waffenexporte, die für sie selbst ja eigentlich lukrativ sein könnten, obendrein berichtet die unangenehm freie Presse mehrheitlich negativ und zeichnet das Bild eines rückständigen Landes mit grausamen Sitten. Die Vision 2030 des Kronprinzen, die Zugeständnisse an Frauen oder die Eröffnung von Kinos dagegen werden mit dem Tenor „das reicht alles noch lange nicht“ kommentiert.

Saudis wünschen sich mehr Lob und Wertschätzung

Rund 800 deutsche Unternehmen sind im Königreich tätig, deutsche Exporte nach Saudi-Arabien beliefen sich 2017 auf rund 7,4 Milliarden Euro. 2015 waren es sogar rund zehn Milliarden gewesen. Damit ist Saudi-Arabien neben den Vereinigten Arabischen Emiraten der wichtigste arabische Handelspartner. Deutschland steht an dritter Stelle der Staaten, aus denen Saudi-Arabien Güter importiert – nach den USA und China.

Die zum Teil jahrzehntealten Beziehungen laufen unberührt von den wiederkehrenden inländischen Debatten um die moralische Korrektheit von Geschäften mit Saudi-Arabien. Unternehmer sehen vor allem die großen Möglichkeiten, die das bevölkerungsreiche Land am Golf bietet. Jetzt winken mit dem ambitionierten Entwicklungsplan des jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman zusätzlich Aufträge für Groß- und Megaprojekte, die sie ungern an Chinesen oder Amerikaner vergeben sehen wollen. Und nun droht ausgerechnet die deutsche Politik die Geschäfte zu versauen – so die Wahrnehmung vieler Unternehmer.

Auf saudischer Seite, so betonen Firmenvertreter, sei die Wertschätzung für Deutschland eigentlich sehr hoch. Umso größer sei die Enttäuschung über die unterschiedlich eingeschlagenen Wege. Während Mohammed bin Salman seit rund zwei Jahren – damals war er noch Verteidigungsminister – voll auf Konfrontation mit dem Erzfeind Iran geht, hält Deutschland unbeirrt am Atomabkommen mit dem Land fest. Mit Wohlwollen verfolgen die Saudis in diesem Punkt die Politik eines Donald Trump. Da der Iran auch in Saudi-Arabien als die größte Bedrohung überhaupt gesehen wird, fragen sich viele Saudis: Gelten denn die strengen Maßstäbe der Deutschen bei den anderen nicht?

In Deutschland wird der Krieg Saudi-Arabiens im Jemen ausnahmslos verurteilt – viele Saudis halten ihn dagegen für unvermeidbar, weil sich an jener Front der Iran in Form der jemenitisch-schiitischen Huthi-Miliz gegen das sunnitische Reich positioniere. Der Bomben- und Belagerungsfeldzug der Saudis hat das verarmte Land in eine beispiellose humanitäre Krise gestürzt.

Die Zeichen aus Saudi-Arabien sind deutlich genug, um auch Unternehmer außerhalb des Gesundheitssektors nervös zu machen. Sie hoffen auf mehr Engagement der Bundesregierung, selbst eine Entschuldigung der Kanzlerin fänden sie angemessen. „Der Sinn und Zweck von Politik ist die Diplomatie und das heißt, solche Dinge gar nicht erst passieren zu lassen“, sagt der Hannoveraner Unternehmer Detlef Daues, der mit seinem Ersatzteilhandel V-Line 65 Prozent seines Umsatzes im Königreich macht. „Wir haben es gespürt in unserem Geschäft. Eine der großen Industrieanlagen, die unser Kunde ist, hat im März plötzlich verkündet: ‚Ihr kriegt keine Aufträge mehr.‘ Nach 14 Tagen hat sich das wieder beruhigt, aber es hat uns wahnsinnig geschockt.“

Entspannt ist Daues dennoch nicht. „Es ärgert mich, dass es keine vernünftigen Gesprächskanäle gibt“, beklagt er die diplomatische Eiszeit und fügt mit Blick auf Ex-Minister Gabriel hinzu: „Und dass man nicht voraussieht, dass man so etwas nicht machen kann.“ Er sei zwar relativ optimistisch, dass alles wieder ins Lot komme. Doch die Zeit, die gerade verstreicht, könnte auch internationale Konkurrenz in den Vorteil bringen. „Ich würde nicht darauf setzen, dass Saudi-Arabien auf deutsches Knowhow angewiesen ist“, warnt er. „Wir haben ja auch in Saudi-Arabien investiert, um dort an dieser Kulturrevolution 2030 teilhaben zu können. Das können wir aber nur, wenn wir uns weiter engagieren.“

Botschafter Haller wirbt unterdessen betont unaufgeregt für ein neues Paradigma deutscher und westlicher Politik, mehr politischem Verständnis für die anderen und Pragmatismus in einer immer komplizierter werdenden Welt. „Wir erleben gerade eine tiefgreifende gesellschaftliche und kulturelle Revolution in Saudi-Arabien, ein Land mit enormen Ressourcen befreit sich von den Fesseln des Wahhabismus“, schwärmt der Diplomat. Natürlich berge das riesige Chancen für deutsche Unternehmen in allen möglichen Bereichen: Digitalisierung, E-Government, E-Commerce, Verkehr, Infrastruktur, erneuerbare Energien, ressourcen- und energieeffiziente Produktion und vieles mehr. Und das seien ja schließlich alles deutsche Kernkompetenzen. „Wir sind optimistisch“, wiederholt der Botschafter. Auf graue Wolken folge schließlich in der Regel wieder Sonnenschein.

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