Drohnen- und Kampfjetpiloten "Morgens töten sie, abends bringen sie die Kinder zum Fußball"

Jean Otto hat psychische Belastungen von Drohnen- und Kampfjetpiloten verglichen. Im Interview erklärt sie: Der Abstand zu den Opfern macht den Einsatz nicht leichter.

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Die wichtigsten Drohnen und ihre Hersteller
Das unbemannte Kampfflugzeug "Northrop Grumman X-47 Pegasus" im Flug Quelle: gemeinfrei
MQ-9 Reaper (General Atomics, USA) Quelle: Gemeinfrei
MQ-1 Predator (General Atomics, USA) Quelle: Gemeinfrei
Soldaten betrachten die Aufklärungsdrohne IAI Heron Quelle: REUTERS
Ein Soldat schiebt eine RQ-7 Shadow 200 Quelle: gemeinfrei
US-Soldaten prüfen die Langstrecken-Aufklärungsdrohne "RQ-7 Global Hawk“ Quelle: gemeinfrei
Camcopter S-100 (Schiebel, Österreich) Quelle: GNU

ZEIT ONLINE: Vor Kurzem hat ein ehemaliger Drohnenpilot der US-Luftwaffe, Brandon Bryant, in einem Fernsehinterview seinen Arbeitsalltag geschildert und über seine massiven psychischen Probleme gesprochen. Allen Piloten ginge dieser Job an die Nieren, sagte Bryant. Stimmt das?

Dr. Jean Otto: Ja, Drohnenpiloten leiden zum Teil sehr stark, auch wenn sie tausende Kilometer vom Einsatz entfernt und in sicherer Umgebung sind.

ZEIT ONLINE: Sie haben die psychische Belastung von Drohnenpiloten mit der von Kampfjetpiloten verglichen. Wer leidet mehr?

Otto: Das kann man nicht sagen. Unser Team ist zu dem Ergebnis gekommen, dass einer von zwölf Drohnenpiloten und einer von 17 Kampfjetpiloten durch den Job psycho-soziale Probleme bekommt. Als wir diese Zahlen aber nach Alter, Beschäftigungslänge, Ausbildung und Herkunft kontrolliert haben, sind die Unterschiede verschwunden.

ZEIT ONLINE: Das bedeutet, Drohnenpiloten werden genauso oft psychisch krank wie Kampfjetpiloten?

Otto: Genau. Die Arbeit der beiden Gruppen mag sich auf den ersten Blick unterscheiden, die Folgen sind aber die gleichen. Drohnenpiloten haben genauso häufig Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen und neigen genauso zu Drogenmissbrauch und Selbstmordgedanken wie Piloten im Einsatzgebiet.

ZEIT ONLINE: Welche Krankheitsbilder sind am häufigsten?

Otto: Am meisten leiden die beiden Gruppen unter Anpassungsschwierigkeiten, das heißt, es fällt ihnen schwer, nach dem Einsatz in den Alltag zurückzukehren. Danach kommen Depressionen und schließlich Probleme in der Partnerschaft.

ZEIT ONLINE: Wie erklären Sie sich, dass sowohl die Häufigkeiten der psychischen Krankheiten als auch die Krankheitsbilder bei beiden Gruppen gleich sind? Es ist ja etwas ganz anderes, ob man vor einem Computerbildschirm sitzt und eine Drohne steuert oder ob man ein Flugzeug über ein Krisengebiet fliegt.

Otto: Das stimmt. Allerdings war diese Frage nicht Teil unserer Untersuchung. Wir haben lediglich die Krankenakten der Teilnehmer miteinander verglichen und Häufigkeiten ausgezählt. Das heißt, über das Warum können wir nur spekulieren.

ZEIT ONLINE: Was vermuten Sie?

Otto: Nun, die Belastung ist unterschiedlich, aber die Ausgangspositionen sind gleich. Die Teilnehmer sind etwa gleich alt, haben einen ähnlichen Bildungsstand – College oder höher – und ähnliche Karriereverläufe. Allerdings hat jede der beiden Gruppen spezifische Belastungen.

"Das Schwierigste ist, dass ihnen die Dekompressionszeit fehlt"

Drohne soll bei Herzinfarkt helfen
Aus dem militärischen Alltag sind Drohnen - hier eine Eurohawk-Aufklärungsdrohne der Bundeswehr - nicht mehr wegzudenken. Doch unbemannte Fluggeräte kommen zunehmend auch im zivilen Bereich zum Einsatz. Quelle: dpa
An der Technischen Universität Delft in den Niederlanden hat der Student Alec Momont einen Prototyp für eine Ambulanz-Drohne entwickelt. Das Mini-Fluggerät hat einen Defibrillator an Bord und soll bei Herzstillstand blitzschnell vor Ort sein. Über Audio- und Videoübertragung kann medizinisches Fachpersonal die Helfer vor Ort zum richtigen Einsatz anleiten. Die Drohne ist mit 100 Stundenkilometern unterwegs und findet den Patienten über das Signal des Mobiltelefons, über das der Notruf abgesetzt wurde. Ein Netzwerk solcher Drohnen könne die Überlebenschancen bei einem Herzinfarkt drastisch von acht auf bis zu 80 Prozent erhöhen, hofft Momont. Schon vier bis sechs Minuten nach Herzstillstand kann der Hirntod einsetzen, ein Krankenwagen braucht aber durchschnittlich zehn Minuten. Die Drohne kann in einem zwölf Quadratkilometer großen Radius innerhalb einer Minute am Unfallort sein.Hier gibt es ein Video, das den Drohnen-Einsatz zeigt. Quelle: Screenshot
Helmut Rupp von der Deutschen Bahn begutachtet in Frankfurt am Main den Schaden an einem Zug, der mit Graffiti beschmiert worden ist. Die Deutsche Bahn will Graffiti-Sprüher künftig mit Hilfe kleiner Kamera-Drohnen aus der Luft jagen. Mit Wärmebildkameras sollen Sprüher etwa auf Abstellanlagen für Züge aufgespürt und gefilmt werden. „Wir müssen neue Wege bei der Graffiti-Bekämpfung gehen“, sagte der Sicherheitschef der Bahn, Gerd Neubeck, der "Bild"-Zeitung im Mai 2013. Allein im vergangenen Jahr habe die Bahn etwa 14.000 Graffiti erfasst. Der entstandene Schaden liege bei 7,6 Millionen Euro. Der Flugschreiber der Drohnen solle alle Aufnahmen inklusive Standortdaten gerichtsfest dokumentieren, um Täter juristisch belangen zu können, hieß es. Der neue Hightech-Spürhund mit Logo der Bahn koste 60.000 Euro. In 150 Metern Höhe könne er mit bis zu 54 Kilometern pro Stunde fast geräuschlos fliegen und Ausschau halten. Per Autopilot seien bis zu 40 Kilometer lange Strecken möglich. Quelle: dpa
Die US-Weltraumbehörde Nasa nutzt unbemannte Hightech-Flieger wie diese Global-Hawk-Drohne zur Erforschung höherer Atmosphärenschichten. Quelle: NASA
Auch Archäologen haben längst die Vorteile von Minidrohnen entdeckt. Mit Kameras bestückte Fluggeräte wie der Quadcopter MD4-200 von Microdrone liefern den Ausgräbern die notwendigen Informationen für erfolgversprechende Grabungsprojekte oder 3D-Rekonstruktionen früherer Landschaften. Quelle: Microdrones
Das US-Unternehmen Aerovision hat eine Drohne für die Fischerei entwickelt. Die Messinstrumente an Bord sollen Trawler-Kapitänen bei der Aufspürung von Fischschwärmen helfen. Quelle: Aerovision
Eine Aufklärungsdrohne in Kolibri-Form entwickelten die Experten des US-Unternehmens Aerovironment. Der künstliche Kolibri kann acht Minuten auf der Stelle schweben und lässt sich dabei auch nicht von Windböen vom Kurs abbringen. Flugroboter in Tierform wären perfekt getarnte Überwachungsinstrumente, entsprechend groß ist das Interesse der Entwickler. Quelle: Aerovironment

ZEIT ONLINE: Welche sind das bei den Drohnenpiloten?

Otto: Viele leiden unter der sozialen Isolation am Arbeitsplatz. Die Piloten sitzen stundenlang allein in einem abgedunkelten Raum und sprechen mit niemandem. Dazu kommt die Belastung für Augen und Hirn, wenn die Piloten den ganzen Tag hochkonzentriert auf den Bildschirm starren. Das Schwierigste ist aber, dass ihnen die Dekompressionszeit fehlt: Soldaten, die aus einem Auslandseinsatz zurückkehren, haben meist eine Woche zwischen Kampfgebiet und Rückkehr, um sich langsam auf das Heimkommen einzustellen. Ein Drohnenpilot hat das nicht, er kommt jeden Abend nach Hause. 

ZEIT ONLINE: Wie äußert sich das?

Otto: Man könnte meinen, es täte den Drohnenpiloten gut, wenn sie abends zu ihrer Familie heimkehren und abschalten können. Aber im Gegenteil, das kann auch sehr belastend sein. Es fällt ihnen schwer, sich in ihre jeweilige Rolle zurückzufinden. Morgens töten sie Menschen am Bildschirm, und abends fahren sie die Kinder zum Fußballtraining, gehen einkaufen und bezahlen die Stromrechnung. Wenn diese Piloten es nicht schaffen, ihrer jeweiligen Rolle – Soldat oder Privatperson – gerecht zu werden, entstehen Ehe- und Familienkrisen. Man beginnt, sein Leben infrage zu stellen. 

ZEIT ONLINE: Aber das ist ja nicht der einzige Unterschied zu Kampfjetpiloten. Wer direkt im Einsatzgebiet kämpft, muss ständig um sein Leben fürchten. Wer Tausende Kilometer weit weg vor einem Bildschirm sitzt, muss das nicht. Kann es nicht sein, dass die Todesangst bei den Einsatzpiloten dazu führt, dass sie das Töten vor sich eher rechtfertigen können als Drohnenpiloten? Immerhin können sich die Einsatzpiloten einreden, aus Notwehr zu handeln.

Otto: Der Drohnenpilot mag nicht direkt mit dem Tode bedroht sein, dafür ist er einem ganz anderen Druck ausgesetzt: Er verfolgt seine Opfer stunden-, manchmal tagelang. Er weiß, wo sie wohnen, wie sie leben und wer zu ihrer Familie gehört. Dann feuert er die Drohne ab und bleibt mit der Kamera dabei. Er sieht den Angriff, die Leichen, den Schaden. Der Pilot im Kampfjet fliegt über sein Ziel, feuert ab und verlässt sofort den Angriffsort. Er fühlt weniger mit seinem Opfer mit als der Drohnenpilot. Genau das hat ja Brandon Bryant auch in seinem CNN-Interview beschrieben, als er zum Beispiel das Kind getötet hat. 

ZEIT ONLINE: Planen Sie weitere Studien zu diesem Thema?

Otto: Auf jeden Fall. Als nächstes wollen wir Drohnen- und Kampfjetsoldaten untersuchen, die kurz vor der Rente stehen. Wir haben den Verdacht, dass viele Piloten nicht über ihre psychischen Probleme sprechen, weil sie Angst haben, entlassen zu werden. Auch das hat Bryant geschildert. Wir hoffen, mehr rauszubekommen, wenn wir mit Soldaten sprechen, deren Karriere sowieso bald zu Ende ist. 

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