Dschihadisten Österreichs Problem mit den Islamisten

Österreich hatte einst eine großzügige Asylpolitik gegenüber Muslimen aus dem Kaukasus. Jetzt hat das Land ein großes Problem. Aus ihren Reihen stammen viele „Gotteskrieger“.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
30.000 Tschetschenen leben heute in Österreich, die größte Exilgemeinde der Muslime aus dem Nordkaukasus. Sie gelten als kaum integriert und auch als kaum integrationswillig sowie als teils glühende Anhänger des eigenen Emirats.

Wien Die Telefonüberwachung brachte es an den Tag. Der Islam-Prediger mochte Lieder über das Köpfen von Ungläubigen, unterhielt sich über den Preis für christliche Sklavinnen und wollte eine junge Wienerin gern „wie ein Chipssackerl aufreißen“. Seine Gewalt-Ideen predigte der 35-jährige Vater von sechs Kindern im Internet und in Moscheen, beim Schwimmen und Wandern mit seinen Anhängern mitten in Österreich. Viele junge Männer motivierte er, in Syrien mit der Terrormiliz IS zu kämpfen. Die Reaktion der Justiz im Juli hatte es in sich: 20 Jahre Haft.

Das noch nicht rechtskräftige Urteil des Grazer Landgerichts warf ein Schlaglicht auf Österreichs Dschihadisten-Szene – und auf die Brisanz einstiger Asylpolitik, die zunächst wenig mit der aktuellen Flüchtlingskrise zu tun hat.

Einerseits herrscht Zufriedenheit bei den Behörden über den großen Coup der Fahnder. „Charismatiker geben den wirklichen Anstoß und sind ideale Verstärker für Radikalisierung“, sagen Sicherheitskreise über Hassprediger wie den 35-Jährigen, der laut Gerichtsgutachter bis in die deutsche Islamisten-Szene hinein gewirkt hat.

Andererseits ändert dieser Erfolg wenig an der Struktur der Szene, die in Österreich besorgniserregend groß ist. „Das spielt sicher in den vierstelligen Bereich hinein“, heißt es in Sicherheitskreisen. Die „politische Salafia“, die Gruppe der höchst empfänglichen, aber noch nicht gewaltbereiten Islamisten umfasse etwa 2000 bis 3000 Menschen, sagt Thomas Schmidinger, auf den Nahen Osten und Dschihadismus spezialisierter Politikwissenschaftler der Uni Wien. 280 Dschihadisten sind nach Syrien aufgebrochen - im Verhältnis zur Bevölkerungszahl drei bis vier Mal mal mehr als aus Deutschland.

Das habe seinen Grund in Österreichs Asylpolitik der Jahre 2002 bis 2007, sind Sicherheitskreise überzeugt: „Was sich damals angesammelt hat, wurde zehn Jahre später zum Problem.“ Die Rede ist von der europaweit einmalig großzügigen Gewährung von Asyl für Tschetschenen, die während des zweiten Tschetschenien-Krieges vor den Russen nach Europa flohen. Fast jeder wurde hereingelassen, auch weil die mit anderen Aufgaben belastete Bürokratie keine langwierigen Berufungsverfahren riskieren wollte.


Nährboden für Islamisten

Die Folge: 30.000 Tschetschenen leben heute in Österreich, die größte Exilgemeinde der Muslime aus dem Nordkaukasus. Sie gelten als kaum integriert und auch als kaum integrationswillig sowie als teils glühende Anhänger des eigenen Emirats. Einige sehen in Syrien ihre Chance. „Die Möglichkeit, in Syrien gegen Assad zu kämpfen, ist wie ein Kampf gegen Putin auf fremden Boden“, sagen Experten. Mindestens die Hälfte der 280 „Gotteskrieger“ aus Österreich stammt aus ihren Reihen, 80 sind zurückgekehrt.

Dabei hat der Staat schon vor Jahren seine rechtlichen Möglichkeiten gegen Terrorverdächtige erweitert. „Sie werden rigoros angezeigt, sobald sie den Kontakt zum IS suchen oder eine Ausreise auch nur probieren“, sagt der Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Peter Gridling. Ähnliche Möglichkeiten zum Agieren im Vorfeld hat Deutschland erst im Juni 2015 geschaffen. Die europäische Polizeibehörde Europol listet für das vergangene Jahr 49 Festnahmen in Österreich auf, während das zehnmal bevölkerungsreichere Deutschland nur auf 40 Festnahmen kommt. „Diese Linie behalten wir auch bei“, sagt Gridling weiter.

Doch mit Festnahme, Prozess und Urteil ist die Gefahr längst nicht gebannt. Gefängnisse sind – wie bei den Paris-Attentätern – ein Nährboden für Radikalisierung. „Die kommen in Haft, aber was macht man dann?“, fragt sich Schmidinger, der bis November in einer Studie ein Konzept zur De-Radikalisierung in Gefängnissen vorlegen will. Um mit der Szene besser in Kontakt zu kommen, bietet die Regierung seit 2015 eine telefonische Anlaufstelle an. Die Extremismus-Hotline klingelte im ersten Halbjahr 455 Mal. Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) wirbt weiter für sein Konzept des „Islams europäischer Prägung“, den die muslimischen Theologen als Basis ihres Wirkens akzeptieren sollten.

Die für radikale Botschaften Empfänglichen haben nach Erfahrung von Schmidinger eine Gemeinsamkeit im Lebenslauf: „Sie haben eine schwere Entfremdungserfahrung in der Gesellschaft gemacht.“ Sie hätten nie in Schule, Lehre oder Job Fuß gefasst, die Familie sei oft zerrüttet und viele hätten psychische Probleme. „Niemand wird durch ein singuläres Ereignis ein Dschihadist“, meint der Islam-Fachmann. Für ihn sind die neuen Angebote überfällig. „Wir haben zu lange nichts getan und den Terror des IS gebraucht, um zu bemerken, dass es ein Problem gibt.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%