Einblick

Attentäter und Schläger sind Schwächlinge

Mord und Terror entstehen aus Angst vor dem anderen. Dagegen hilft nicht Gewalt, sondern Konsequenz des liberalen Rechtsstaats.

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Kerzen für die Opfer des Attentats auf den Nachtclub

Wovor haben sie Angst, diese Attentäter, Angreifer und Mörder? Was wäre so bedrohlich, dass man mit Waffengewalt dagegen angeht, dass man dafür mit dem Leben der anderen und oft auch dem eigenen bezahlt? Die Frage stellt sich in dieser Woche in einer Intensität, dass es grauenhaft ist. Und je mehr man über die Ursachen und Motive nachdenkt, desto grauenhafter wird es.
Hatte er Angst vor seinen Opfern, dieser Mann, der in der Nacht zum Sonntag, in Orlando 49 Menschen niedergemetzelt hat? Musste er sie töten, weil sie eine Bedrohung für ihn darstellten? Das kann sein. Denn wie es seit jeher Menschen gibt, die Andersgläubige als existenzielle Bedrohung sehen, so gibt es auch Menschen, die in Andersliebenden oder schlicht Andersdenkenden einen Angriff auf das eigene Ich sehen. Die brutalen Ausschreitungen russischer, englischer und deutscher Hooligans im Umfeld der EM-Spiele zeigen: Es reicht schon, in der falschen Fußballnation geboren zu sein, um kräftig eins auf die Fresse zu kriegen.

Vermutlich muss man einen Schritt weiter gehen bei der Suche nach den Ursachen. Denn die vermeintliche Bedrohung, die andere für den Angreifer darstellen, liegt eigentlich im Angreifer selbst. Der Attentäter von Orlando hat 49 Menschen erschossen, weil er sie in ihrem Anderssein nicht akzeptieren wollte oder weil er es vielleicht nicht aushalten konnte, nicht zu ihnen zu gehören. So oder so zeugt das nicht von Stärke, sondern von Schwäche. Von einem aus Armseligkeit feigen Ich. Von einem Menschen, den jedes Anderssein so erschüttert, dass nur noch radikale Mittel helfen. Dem es nicht gelingt, sich eindeutig zu sich selbst zu verhalten, zu seinem Leben und Denken zu stehen. Stark ist, wer mit Gleichmut feststellt, dass andere ihm überwiegend ähnlich oder anders sind.

Der Attentäter von Orlando ist ein Schwächling, der so tut, als sei er stark. Auch die russischen, englischen und deutschen Hooligans, die am Rande der EM-Spiele aufeinander eindreschen und Menschen verletzen, sind solche Schwächlinge. Sie ertragen nicht einmal im Rahmen der schönsten Nebensache der Welt, dass es unterschiedliche Mannschaften und Nationalitäten geben muss, damit eine Europameisterschaft überhaupt möglich wird. Und auch der Anhänger der Terrormiliz „Islamischer Staat“ („IS“), der im Umland von Paris einen Polizisten und seine Frau erstochen hat, ist ein gnadenloser Feigling.

Er braucht, wie all die anderen Bekenner, den „IS“, um dem eigenen Tun endlich einen Sinn zu geben. Der „IS“ hat eine Marktlücke entdeckt, in der sich alle diese unfertigen, angeschlagenen Existenzen bequem einrichten können. Wer im Namen des „IS“ tötet, gehört zur Abwehrtruppe gegen die liberale Welt. Ein fanatisches Geschäftsmodell bedient sich des Wunsches nach Selbstaufwertung der kleinen Geister.

Der indische Ökonom Amartya Sen hat in seinem Buch „Identity and Violence“ eindrucksvoll analysiert, wozu es führt, wenn eine einzige Zugehörigkeit das ganze Leben eines Menschen bestimmt. Der Mensch wird dann so klein, dass er in ein winziges Kästchen passt, aus dem er, kasperleartig, herausschnellt, um denen eins überzubraten, die im anderen Kästchen sitzen. Das produziert eine Gewaltspirale, der nicht mit Gewalt beizukommen ist. Die überlegene Waffe bleibt der liberale Rechtsstaat, der konsequent zu sich selbst steht und seine Liberalität mit der Kraft seiner Gesetze schützt.

Die WirtschaftsWoche ist nicht nur lesbar, sondern auch hörbar. Hier können Sie sich den Artikel von professionellen Sprechern vorlesen lassen:

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