Einblick

"Der Kapitalismus verliert seine Überzeugungskraft"

Der US-Wahlkampf zeigt: Kapitalismus ist out, Ideologie ist wieder in. Wo bleibt die wirtschaftspolitische Gestaltung?

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Bernie Sanders bei einer Wahlkampfveranstaltung. Quelle: AP

Bernie Sanders ist der erfolgreichste politische Verlierer aller Zeiten. Von den fünf Vorwahlen in dieser Woche hat er nur eine gewonnen, in Rhode Island. Seine Chance, als Präsidentschaftskandidat der Demokraten nominiert zu werden, ist dahin. Praktisch betrachtet ist das die größtmögliche Niederlage, die jemanden treffen kann auf dem Weg zum Ziel, das da lautet: als Präsident einer Supermacht die Welt verändern. Aber diese Deutung springt zu kurz.

Denn Sanders hat längst etwas gewonnen, vielleicht mit weitreichenderen Folgen, als die Nominierung sie je haben könnte. Er hat den Kampf um das Denken und die Sympathien der Jugend gewonnen – der Generation, die es irgendwann in der Hand hat, Amerika wieder groß zu machen. Dann, wenn Lautsprecher wie Donald Trump („Make America Great Again“) sich erfolglos von der politischen Bühne verzogen haben.

Sanders trifft mit seinen Wertvorstellungen exakt ins Denken und Fühlen der jungen Generation. Ein älterer Herr, der gelegentlich an Professor Hastig aus der Sesamstraße erinnert, ohne viel Charme, Charisma oder moderne Anmutung, repräsentiert die jüngste Gruppe der Wählerinnen und Wähler. Antikapitalistisch? So denken in den USA nicht nur verwirrte ältere Herren, so denkt nun auch die Mehrheit der jungen Generation.

Mehr als die Hälfte (51 Prozent) der Millennials, also der 18- bis 29-jährigen US-Amerikaner, lehnt den Kapitalismus ab. So zeigen es die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage der Harvard-Universität aus dieser Woche. 33 Prozent befürworten gar den Sozialismus. Das sind irritierende Zahlen. Sie bedeuten, das wirtschaftspolitische System der USA hat in der nachwachsenden Generation keine Mehrheit mehr.

Wenn der Kapitalismus keine Überzeugungskraft mehr hat mit seinem Aufstiegsversprechen, dem American Dream, dann ist etwas faul im Kern der US-Wirtschaftspolitik. Dann fehlt es an der wichtigsten und agilsten Ressource für den zukünftigen Aufschwung – Menschen, die an die Zukunft und die Möglichkeiten ihrer Gestaltung glauben. Und dann entsteht ein Problem, das gelöst werden muss, soll sich nicht der Fäulnisprozess durch den Kitt der Gesellschaft fressen. Aber wie soll das gehen?

Die Millennials halten nicht nur den Kapitalismus für verrottet. Sie glauben auch nicht mehr an die Politik. Weniger als ein Drittel ist der Ansicht, die Regierung könne etwas gegen wirtschaftliche Ungleichheit oder für den wirtschaftlichen Aufschwung tun. Nun zeigen sich also die Folgen der ideologischen Spaltung in den USA. Wie nie zuvor hat sich in den vergangenen zehn Jahren ein Graben zwischen den Parteien, zwischen Politik und Bevölkerung aufgetan. Wo aber Antihaltung zum politischen Prinzip wird, da springt der üble Funke bald auf die Menschen über, und da schwindet das Vertrauen in die Kraft der Veränderung. Donald Trump ist nur ein Extrembeispiel für den politischen Führer, der diesen Namen nicht verdient, weil sein Programm allein aus Dagegensein besteht. Es wird Zeit, dass die politischen Führungsfiguren ihre Aufgabe ernst nehmen und sagen, wofür sie kämpfen. Wo Sanders oder Trump an Zustimmung gewinnen, verliert das ganze Land.

Die WirtschaftsWoche ist nicht nur lesbar, sondern auch hörbar. Hier können Sie sich den Artikel von professionellen Sprechern vorlesen lassen:

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