Einblick

Die Globalisierung frisst ihre Kinder

Viele, die vom Zusammenwachsen der Welt profitieren sollten, fühlen sich von der Globalisierung überwältigt und benachteiligt.

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Gedenken an die Opfer von Nizza. Quelle: dpa

Die Globalisierung frisst ihre Kinder. Wie will man sonst erklären, was sich in einer einzigen Woche an verschiedenen Orten der Welt, in Nizza, in der Türkei oder auch in einem deutschen Regionalzug bei Würzburg, ereignet hat? Diejenigen, die eigentlich vom Zusammenwachsen der Welt durch Handel, Verkehr und Kommunikation profitieren sollten, wenden sich gegen die verbundene Welt.

Sie fühlen sich von ihr überwältigt, benachteiligt, im Stich gelassen. Und reagieren mit Radikalisierung. Diese Welt soll wieder getrennt werden, sauber geteilt nach Zugehörigkeit zu Religionen, sozialen Gruppen, Nationalitäten oder simpel: in dafür oder dagegen. Um das zu erreichen, wird gnadenlos und brutal gemordet.

Nur ein paar Tage ist es her, dass US-Fondsmanager Bill Gross das „Ende der Globalisierung, wie wir sie kennen“ ausgerufen hat. Gross meinte nicht den Terrorismus. Er kommentierte den Brexit, die Entscheidung einer knappen Mehrheit der Briten, sich aus der Europäischen Union zu verabschieden. Das ist die gewaltfreie Kriegserklärung an die Globalisierung. Die europäische Integration, vor allem der Europäische Binnenmarkt, ist das größte Globalisierungsprojekt unserer Zeit.

Europa stellt sich als Einheit mit seiner Wirtschaftskraft gegen den Weltmarktführer USA und dessen nachwachsende Rivalen China und Indien. Mit dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU wird die europäische Position in der Welt geschwächt. Steht sie deshalb zur Disposition? Keinesfalls.

Für den Moment schrecklicher sind die gewaltsamen Kriegserklärungen an die Globalisierung. Der Attentäter von Nizza mordete mithilfe eines 20-Tonners. Das ist nicht nur besonders grausam. Es verschärft auch noch einmal um ein Vielfaches das Bedrohungspotenzial des Terrorismus von heute. Allein in Deutschland sind 2,7 Millionen Lkws auf den Straßen unterwegs. Gut 70 Prozent des Güterverkehrs werden über Lkws abgewickelt. Ist jedes dieser Fahrzeuge nun ein Mordwerkzeug? Sicher nicht. Aber die Verunsicherung wächst. Terrorismus ist effizient geworden. Ein einzelner Attentäter kann mit jedwedem Werkzeug maximalen Schaden anrichten.

Eine gewaltsame Kriegserklärung an die Globalisierung ist auch der Putsch in der Türkei. In der eigentlichen Putschnacht sind Hunderte Menschen gestorben, auch gelyncht worden. Das ist furchtbar. Aber der wahre Einschnitt liegt in den Reaktionen darauf. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich wenige Stunden nach Niederschlagung des Aufstands an den Umbau der Türkei zu einem autokratischen Staat gemacht, in dem Unglauben gegenüber dem allmächtigen Präsidenten tödlich sein kann. Die „Säuberungen“ der türkischen Gesellschaft resultieren aus der Bedrohung, die Erdoğan in den freiheitlichen europäischen Werten sieht. Diese Werte gilt es jetzt umso konsequenter zu verteidigen. Geht die Türkei den Weg Richtung Beschneidung der Demokratie weiter und führt die Todesstrafe wieder ein, kann sie nicht zu Europa gehören.

Und Würzburg? Der minderjährige Attentäter im Zug? Sein Handeln ist mit nichts zu entschuldigen. Es ist ein Zeichen dafür, wie es dem sogenannten „Islamischen Staat“ gelingt, denen eine mörderische Clubmitgliedschaft tödlicher Sinnstiftung anzutragen, die keine Verträge mit der Welt des Jahres 2016 mehr haben. Die Globalisierung frisst die Kinder, die von ihr überfordert sind.

Die WirtschaftsWoche ist nicht nur lesbar, sondern auch hörbar. Hier können Sie sich den Artikel von professionellen Sprechern vorlesen lassen:

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