Einblick

Rezession im Geiste

Die USA sind im Aufschwung, doch die Präsidentschaftsanwärter stecken in der geistigen Rezession – und predigen Protektionismus.

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Donald Trump und Hillary Clinton bei TV-Debatte. Quelle: dpa

Im TV-Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump gab es Momente, da musste man sich als Zuschauerin fragen, warum die beiden sich diese Präsidentschaftskandidatur eigentlich antun. Warum sie nicht längst nach Saudi-Arabien, Singapur oder in die Schweiz geflohen sind – Staaten, in denen noch Ordnung herrscht, auf unterschiedlicher politischer Grundlage, wohlgemerkt. So verschieden die Kandidaten sind, eines vereint sie: Beide zeichnen das Bild der USA als eines verrotteten Landes, in dem das Überlebensmotto eigentlich lauten müsste: Rette sich, wer kann.

Die USA erleben derzeit einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Arbeitslosenquote ist auf unter fünf Prozent gefallen, Unternehmen müssen die Löhne erhöhen, weil die Fachkräfte knapp werden, das mittlere Haushaltseinkommen der Amerikaner wuchs 2015 um 5,2 Prozent – der höchste Jahresanstieg seit 1967 und ein klares Zeichen, dass die Periode der Stagnation als Folge der Finanzkrise vorbei ist.

Im Fernsehduell dieser Woche aber ging es weder um Fakten noch um das Programm der beiden Kandidaten, was sie politisch nach der Präsidentschaftswahl gestalten wollen, um das Beste zu erreichen. Während die USA sich wieder im Aufschwung befinden, stecken die beiden Rivalen um das Präsidentenamt in der geistigen Rezession.

Trump und Clinton reden so, als müssten sie die USA vor dem feindlichen Ausland verteidigen. Nach Trump werden den USA in großem Ausmaß Jobs gestohlen. Wer die Räuber sind, bleibt unklar. Vermutlich sind es die Chinesen, die jetzt zu Hause selbst bauen, was sie früher importiert haben. Für ihn ist das nordamerikanische Freihandelsabkommen der schlechteste Deal, der jemals unterzeichnet wurde. Und auch Clinton hat es bislang nicht geschafft, zu ihrer einst positiven Einstellung zum Freihandel zurückzukehren. Längst hat die Kriegsrhetorik die Gräben aufgeladener Fernsehdebatten durchbrochen. Die Tonlage wird nationalistisch, was sich nicht nur zufällig auf protektionistisch reimt.

Ein geharnischter Streit zwischen den USA und Europa ist darüber entbrannt, dass EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager 13 Milliarden Euro Steuern von Apple verlangt. Nach Ansicht der EU-Kommission sind die Steuervereinbarungen, die US-Unternehmen in einigen EU-Ländern ausgehandelt haben, nicht mit den europäischen Wettbewerbsregeln vereinbar. US-Medien kommentierten die Forderung als Zeichen eines neuen Wirtschaftskriegs der EU gegen US-Unternehmen und prognostizierten, die „Schlacht“ werde sich auf andere Unternehmen ausdehnen. Als das US-Justizministerium kurz darauf 12,5 Milliarden Euro als Zahlungen für krumme Geschäfte mit hypothekengedeckten Wertpapieren von der Deutschen Bank forderte, geisterte bei uns sogleich die These von der „Racheforderung“ durch die Etagen von Politik und Wirtschaft.

In den G20-Staaten hat sich seit 2010 die Zahl der Handelsbeschränkungen von 324 auf fast 1200 vervierfacht. Die Welthandelsorganisation hat soeben ihre Prognose zur Entwicklung des weltweiten Handels von 2,8 auf 1,7 Prozent zurückgedreht. Damit wären wir dann wieder auf dem Niveau von 2009 angekommen. Hat Donald Trump schon einmal behauptet, die Welt sei eine Scheibe? Der neue Protektionismus ist jedenfalls die Bremse, um ihren Lauf zu stoppen.

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