Einreisestopp für Ausländer verlängert Warum Bosch mit Japans Coronastrategie hadert

Trotz 80.000 Neuinfektionen pro Tag lässt Japan seine Grenzen geschlossen. Der Chef von Bosch Japan hat dafür kein Verständnis. Quelle: dpa

Zur Virusabwehr hat Japan seine Grenzen für Ausländer fast hermetisch abgeriegelt. Große deutsche Arbeitgeber im Land verlieren langsam die Geduld.

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Klaus Meder betrachtet sich als Freund Japans, hat fast zehn Jahre im Land gearbeitet und spricht gut Japanisch. Aber als Präsident von Bosch Japan hadert der Deutsche schon länger mit der offiziellen Regierungsstrategie der Selbstisolierung, die das Coronavirus in Schach halten soll. Dafür hat Nippon seine Grenzen für Ausländer weitgehend dicht gemacht. Seit Anfang Dezember stellen die japanischen Konsulate aus Angst vor Omikron keine neuen Visa mehr aus – mit dramatischen Folgen für ausländische Unternehmen.

Allein 31 ausländische Bosch-Mitarbeiter mitsamt 37 Angehörigen stehen derzeit in der Warteschlange für ein Einreisevisum. Die japanische Blockade wirkt sich direkt auf das Tagesgeschäft aus. „Die von diesen Mitarbeitern betreuten Projekte sind gefährdet, wichtige Vorhaben für japanische Kunden verzögern sich“, beklagt der Chef des größten deutschen Unternehmens in Japan. Zum Beispiel darf der CEO einer wichtigen Bosch-Tochterfirma nicht einreisen und muss seine Aufgabe nun aus 9.000 Kilometern Entfernung angehen.

„Er kann keinen direkten Kontakt zu seinen Kunden und seinen Mitarbeitern aufbauen und wird in seiner Arbeit durch die große Zeitdifferenz von acht Stunden stark beeinträchtigt“, berichtet Meder. Die Bosch-Sparte für Zweiräder und Power Sports ist besonders betroffen, da sie von Japan aus weltweit geführt wird: „Wir kriegen die Leute nicht rein, es funktioniert einfach nicht mehr.“ Andere deutsche Unternehmen in Japan befürchten Umsatzverluste von mehreren hundert Millionen Euro, weil notwendige Monteure nicht einreisen dürfen.

Japan schottet sich schon seit Beginn der Pandemie im März 2020 ab. Kein einziger Tourist darf einreisen. Auch Geschäftsreisende, Wissenschaftler, Studenten und Arbeitskräfte mit unterschriebenen Verträgen müssen bis auf wenige Ausnahmen draußen bleiben. Laut einer Schätzung der Finanzzeitung Nikkei im Oktober warten inzwischen über 370.000 Ausländer auf ihr Aufenthaltsvisum. Doch ein Kurswechsel ist nicht in Sicht, obwohl der Einreisestopp weder die gefährliche Delta- noch die hochansteckende Omikron-Variante stoppen konnte.

Derzeit springt die Zahl der Neuinfektionen fast täglich auf neue Höchstwerte. Covid-Patienten belegen bereits über die Hälfte der verfügbaren Betten in Tokio. Dessen ungeachtet verlängerte Premierminister Fumio Kishida den Einreisestopp für Ausländer bis Ende Februar. Dafür will der Chef von Bosch Japan kein Verständnis aufbringen: „Die Entscheidung lässt sich rational nicht begründen – weder mit dem Infektionsgeschehen noch mit medizinischen Argumenten“, meint Meder. Angesichts von 80.000 Infizierten pro Tag ergäbe ein Einreiseverbot keinen Sinn mehr, die Regierung sollte die Grenzen öffnen.

Der Chor solcher Stimmen schwillt inzwischen immer mehr an. „Wenn Unternehmen ihre ausländischen Mitarbeiter nicht ins Land bringen können, dann nimmt ihr Fachwissen ab“, warnte Michael Mroczek, Präsident der EU-Handelskammer in Japan. Die beschränkte Einreise trotz rollender Infektionswelle im Land grenze an Fremdenfeindlichkeit. Auch Keidanren, die mächtigste Wirtschaftslobby in Japan, unterstützt die Regierungspolitik nicht mehr. Die Maßnahmen seien wirklichkeitsfremd und behinderten japanische Verhandlungen mit ausländischen Unternehmen über Fusionen und neue Geschäfte, warnte Keidanren-Präsident Masakazu Tokura, zugleich Chef des Chemieriesen Sumitomo Chemical. Einer der bekanntesten Unternehmer des Landes hieb in die gleiche Kerbe: „Ich kann kaum glauben, dass wir ausländische Austauschstudenten und Leute, die in Japan arbeiten wollen, draußen so lange warten lassen, das ist lächerlich“, empörte sich Hiroshi Mikitani, Chef des Internetriesen Rakuten, auf Twitter.

Trotz der schrumpfenden Bevölkerung und der hohen Staatsschulden zeigt sich Japans Aktienmarkt seit Jahren stark. Der Aufwärtstrend dürfte sich 2022 fortsetzen, nicht zuletzt dank einer Reform der Tokioter Börse.
von Martin Fritz

Doch Regierungschef Kishida ignoriert die wachsende Kritikerschar aus rein politischen Überlegungen: Umfragen zufolge hält eine große Mehrheit der Japaner die Grenzschließung nämlich für richtig. Daher will Kishida mit Blick auf die wichtige Oberhauswahl im Juli nichts riskieren, nachdem sein Vorgänger Yoshihide Suga für die Ausrichtung der Olympischen Spiele mit Zehntausenden Ausländern heftig attackiert wurde und letztlich zurücktreten musste. Selbst für ausländische Top-Manager will Japan daher keine Ausnahme machen: So wartet auch Karl Deppen, seit Anfang Januar der neue Präsident der japanischen Daimler-Tochter Mitsubishi Fuso, immer noch auf sein Einreisevisum.

Zwar sind die japanischen Grenzmaßnahmen weniger strikt als in China und Hongkong mit ihrer Null-Covid-Politik. Freie Gesellschaften wie Australien und Neuseeland zogen die Grenzzäune ebenfalls höher als Japan. Aber im vergangenen Jahrzehnt hatte sich das Inselland im Fernen Osten wie nie zuvor in seiner Geschichte für Touristen, Investoren, Arbeitswillige, Forscher und Studierende aus dem Ausland geöffnet. Die harsche Ablehnung alles Fremden erwischte viele neue Freunde und Fans von Japan auf dem falschen Fuß. Einen Rückfall in die Zeit des Sakoku (geschlossenes Land) zwischen 1639 und 1854 unter den Shogun-Militärherrschern hatten sie nicht vorstellen können.

In der Folge verliert eine wachsende Zahl der Japan-Interessierten die Motivation für einen Aufenthalt im Fernen Osten. Auch einige Bosch-Mitarbeiter überlegen bereits, woanders hinzugehen. „Damit entgehen uns Chancen, Talente nach Japan zu bringen, in die wir schon viel investiert haben – schließlich sind Entsendungen hierher aufwändig und teuer“, beklagt Japan-Chef Meder. Besonders litten Entsandte, die in Drittländern wie Singapur sitzen. Ihr voriges Visum laufe ab, während sie auf Japan warteten, so dass sie vorübergehend nach Deutschland zurückgehen müssten, oft mit Kindern im Schlepptau, wo sie für unbestimmte Zeit wieder Unterkunft und Schulen organisieren müssten.

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Ohnehin schneidet sich die japanische Regierung nach seiner Meinung durch die Selbstisolierung letztlich ins eigene Fleisch. Zum Beispiel kann Bosch als Folge der Grenzschließung eine neue Fertigungslinie für Lenkungen in der Präfektur Saitama nicht in Betrieb nehmen. Stattdessen importiert das Unternehmen die Teile weiterhin aus China. „Uns gehen also auch Möglichkeiten verloren, Arbeitsplätze in Japan zu schaffen,“ berichtet der 60-jährige Stuttgarter. Zudem entgingen Japan mit jedem Expatriate-Manager, der nicht ins Land dürfen, lukrative Steuereinnahmen. Doch selbst solche starken Argumente stoßen im Premierministeramt, dem Kantei, bislang auf taube Ohren.

Mehr zum Thema: Der Energiekonzern RWE wollte in Japan mit Offshore-Windkraft schnell wachsen. Doch der Markt entwickelt sich anders als erhofft. Erste Ausschreibungen gingen verloren – vielleicht auch wegen eines deutschen Partners.

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