Emmanuel Macron Der Politikstar von Frankreich

Frankreichs Wirtschaftsminister Macron zeigt, dass er das Zeug zum Präsidenten hat: In einer ersten staatsmännischen Rede überzeugt der 38-Jährige. Dabei interpretiert er die Nationalheilige Jeanne d'Arc neu.

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Der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron hielt eine vielbeachtete Rede in Orléans. Quelle: AFP

Orléans Frankreich gönnt sich manchmal eine kleine Auszeit. Dann vergisst es, dass das Land eigentlich eine strikt laizistische Republik sein will. Der 8. Mai ist solch ein Moment. Im Rest der Welt denkt man da ausschließlich an das Ende des Zweiten Weltkrieges, doch in unserem Nachbarland reicht die Erinnerung weiter zurück: Seit 1431 feiert das Land an diesem Tag die Beendigung der englischen Belagerung von Orléans durch Jeanne d'Arc am 8. Mai 1429.

Und die Republik, die offiziell keine Religionen kennt, ehrt die heimliche Nationalheilige Johanna von Orléans. Am Sonntag wehte eine riesige Fahne der Monarchie, blau mit gelben Lilien und Krone, vor der Kathedrale der Stadt an der Loire. 

Es dürfte die älteste nationale Feierlichkeit überhaupt sein, die unser Nachbarland mit einer großen Militärparade, strammer Marschmusik, aber auch einem karnevalsartigen Umzug begeht. Alle Regionen Frankreichs schicken Folkloregruppen, und auch gellende Dudelsäcke. Wilde schottische Gesellen mit gezückten Schwertern dürfen dabei nicht fehlen. Am Sonntag zogen sie hinter ihrer  großen schottischen Fahne, blau mit weißem Kreuz, her, bejubelt von Tausenden Bürgern, die den Schotten wohl einfach mehr über den Weg trauen als den Engländern, auch wenn das offiziell so niemand knapp vor der Abstimmung über den Brexit sagen würde.

Noch ein Jahrestag wurde nämlich in Frankreich gefeiert: In diesem Jahr wird das 720-jährige Bestehen der „Auld Alliance“, des Bündnisses zwischen Schottland und Frankreich, begangen. Es ist viel älter als das politisch ungleich wichtigere Bündnis mit Großbritannien, dem man den Sieg über Nazideutschland am 8. Mai 1945 verdankt.

Zu den Feierlichkeiten nach Orléans als Redner eingeladen zu werden ist eine Ehre, die in der Vergangenheit Präsidenten wie Francois Mitterrand und Jacques Chirac zuteil wurde. In diesem Jahr wählte der konservative Bürgermeister von Orléans einen Politiker, der qua Amt kaum in die engere Wahl gekommen wäre:  Emmanuel Macron, Wirtschaftsminister des sozialistischen Präsidenten Francois Hollande.

Warum fiel die Wahl auf ihn? Viele Franzosen trauen dem Wirtschaftsminister ganz andere Aufgaben zu – bis hin zur Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl, deren zweiter Wahlgang in genau einem Jahr stattfinden wird. Macron gilt schon jetzt als jemand, der politische Grenzen überschreitet. 


Macron überzeugt rhetorisch

Für Macron war die Ehre zugleich ein großes Risiko: Auf einer  Tribüne mit hunderten Honoratioren vor der Kathedrale von Orléans stehend hatte er eine Rede an das ganze Land zu halten. Zum ersten Mal in seiner noch sehr jungen politischen Karriere musste der 38-Jährige Themen ansprechen, die weit über seine formalen Kompetenzen hinaus gehen. Man wusste, dass er die Generation der Startups begeistern kann, überzeugend die  wirtschaftlichen und sozialen Blockaden seines  Landes zu analysieren vermag und auch die richtigen Worte zu Europa findet. Aber kann er eine Rede halten, wie sie einem Staatspräsidenten von Frankreich geziemt? Die Schuhe früherer Redner sind groß.

Dennoch passten sie Macron – zumindest, was die rhetorischen Qualitäten angeht. Nicht er, der nie in irgendein politisches Amt gewählt wurde, sprach über seine Vorhaben oder Visionen für das Land, was anmaßend hätte wirken können. Macron ließ Jeanne d'Arc sprechen und nannte Botschaften oder „Lehren“ der Nationalheiligen für das heutige Frankreich. Kein Wunder, das sie erstaunlich gut zu ihm selber passten: „Jeanne ist ein Niemand, als sie es wagt, vor den König zu treten. Doch sie wünscht sich Gerechtigkeit und Freiheit für das ganze Volk.“ Auch Macron ist eigentlich noch ein politischer Niemand, ein Zwerg wie die damals 17-Jährige.

Johanna von Orléans verleihe den Franzosen die Kraft, „ihre eigenen Zweifel zu überwinden - die gab es  1429, oder 1940, vielleicht auch heute.“ Schließlich habe sie dem Volk seinen Willen zum Sieg zurückgegeben, „sie befreit Orléans wie De Gaulle Frankreich 1945 befreit hat. Beide wussten, dass der Wille des Volkes mehr zählt als die Kapitulation Einzelner.“ Diesen Willen spüre er, Macron, „auch heute bei euch.“ Da war viel Pathos im Spiel, einiges an Geschichtsklitterung. Aber gerade weil die Franzosen an sich zweifeln, hören sie solche Worte gerne.

Teile dieser Rede hätte jeder französische Politiker halten können, egal ob aus dem linken oder rechten Lager. Der junge Wirtschaftsminister nimmt für sich in Anspruch, parteiübergreifend zu denken; er will sich weder auf die Linke beschränken noch die Rechte verachten. Doch sieht er sich gleichzeitig „in der Tradition der Linken“ stehend. Ein paar eher progressive Botschaften hatte er denn auch nach Orléans mitgebracht. Zunächst wischte er der katholischen Kirche eins aus: „Erst haben sie sie verbrannt, dann heilig gesprochen.“ Die Front National, die sich gerne in der Tradition der Jeanne d'Arc sähe, wies er in ihre Grenzen: „Sie haben Jeanne verraten, sie gehört keiner politischen Gruppe, sondern nur Frankreich.“


„Die französische Identität ist ein Projekt“

Schließlich verlieh Macron der Jungfrau von Orléans, die 1429 das französische Königreich rettete, eine ganz eigenwillige, aktuelle Bedeutung: „Jeanne d'Arc zeigt, dass eine Ordnung nicht hält, wenn sie ungerecht ist.“ Sie gebe denen, „die nichts haben, die Hoffnung, über die triumphieren zu können, die alles tun, damit die etablierte Ordnung bestehen bleibt.“ Ein Satz, der schon fast aufwieglerisch klingt im Vergleich zum politischen Mainstream Frankreichs. 

Wer heute nach Menschen suche, die Mut machen, fuhr Macron fort, der finde sie „im Unternehmer, der Risiken eingeht und Arbeitsplätze schafft wie in der Migrantenfamilie, die ohne jeden Besitz zu uns kommt und Teil der französischen Nation wird.“ Wenig konservativ war denn auch Macrons Aussage, die französische Identität sei „weder zementiert oder abgeschottet, sondern in Entwicklung – sie vollendet sich in Europa.“

Der junge Politiker nahm eine Anleihe bei Kennedy: „Die französische Identität, das ist ein immer wieder erneuertes Projekt, dem man dienen muss, bevor man Rechte einfordert. Es ist ein offenes Projekt, das den Anderen und den Schwächsten aufgenommen hat. Eigentlich ist es ein verrücktes Projekt.“ Fast so verrückt, könnte man hinzufügen, wie es der Wunsch eines 38-Jährigen ohne Partei und ohne politische Hausmacht wäre, sein Land führen zu wollen.

Noch ist unklar, ob Macron überhaupt Präsident werden möchte. Bisher hat er sich nicht dazu geäußert. Am Sonntag hat er gezeigt, dass er nicht nur gute wirtschaftspolitische Reden halten kann. Seine politischen Freunde und Gegenspieler werden ihn hassen für diesen Auftritt:  Er hat sich als jemand erwiesen, der eine Rede an die Nation halten kann, die eine progressive Botschaft enthält, ohne in ein politisches Lagerdenken zurückzufallen.

Joël, Priester einer Pfarrei aus Auxerre, fühlte sich vor der Kathedrale stehend von Macrons Rede angesprochen: „interessant und originell“ sei sie gewesen. „Wenn er eine Heilige zum Vorbild macht, stimme ich ihm zu.“ Ein Journalist des französischen Magazins „Point“ meinte dagegen, Macron habe „eine Jeanne d'Arc in den Farben der Sozialisten gezeichnet.“ Wer einen so weiten Bogen spannen kann, unter dem sich so viele wiederfinden, ist geeignet, die Bürger hinter sich zu sammeln.

Während die Spielmannszüge mit wirbelnden Trommeln noch durch Orléans zogen und die Schotten mit ihren Dudelsäcken die Scheiben der Schaufenster zum Klirren brachten, zerbrachen sich am Sonntagnachmittag die politischen Analysten schon die Köpfe darüber, was dieser Tag für die Karriere des jungen Macron bedeute und was die wichtigsten Passagen seiner Rede gewesen seien.

Allein das ist ein großer Erfolg für einen, der vor zwei Jahren noch ein wenig bekannter Berater des Präsidenten war. Noch ist alles Rhetorik – doch zählt diese viel in einem Land wie Frankreich, in dem nur ein Politiker weit kommt, der außergewöhnlich redegewandt ist. Freilich hat der junge Minister noch einen weiten Weg vor sich, solle er höhere politische Ambitionen verfolgen.  

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