Emmanuel Macron Die brisante Reise des Emmanuel Macron

Der französische Präsident bereist Ost- und Südeuropa. Nicht als Tourist, sondern als Diplomat. Er muss den Ärger dämpfen, den er mit einigen Aussagen selbst provoziert hat. Für Macron ist das eine Bewährungsprobe.

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Der französische Präsident versucht, in einigen europäischen Ländern die Wogen zu glätten. Quelle: Reuters

Paris Emmanuel Macron bewegt sich auf schwieriges Terrain: Mit Auftritten in Mittel- und Osteuropa will Frankreichs Präsident die Animositäten bekämpfen, die dort gegen seine Regierung bestehen. Diese sind entstanden, weil Macron die Freizügigkeit von Arbeitnehmern begrenzen will, was besonders die Staaten im Süden und Osten der EU treffen würde. Zugleich möchte er Frankreichs Interesse an der Region verdeutlichen.

Ein gemeinsames Dinner am Dienstagabend und eine letzte Kabinettssitzung am Mittwoch, dann dürfen Frankreichs Minister zweieinhalb Wochen in den Urlaub fahren. Das ist zwar deutlich kürzer als die Schulferien, aber beim Abschied dürfte der eine oder andere sich dennoch an seine Schulzeit erinnert fühlen. Denn wie ein strenger Klassenlehrer wird Präsident Emmanuel Macron seinem Kabinett ein paar Hausaufgaben mitgeben, die er vorsorglich schon über die Medien kommuniziert hat: Die Minister sollen besser darstellen, wie gut die Regierung vorankommt, sie sollen nicht ad hoc reagieren, sondern langfristig vorausdenken und vor allem „immer den Sinn unseres Handelns erklären.“ 

Sich selber hat der Präsident in einem ganzseitigen Jubelartikel in der Tageszeitung Le Monde feiern lassen. Mit seinen beiden engsten Mitarbeiter Alexis Kohler, Generalsekretär des Elysée und Ismaël Emelien, Sonderberater, bilde er „die Dreieinigkeit“. Alle seien superintelligent, gehörten zum Besten, was Frankreichs Eliteschulen hervorgebracht haben, vertrauten sich blind, sprächen jede Entscheidung bis spät in die Nacht durch und kämen mit vier Stunden Schlaf aus. Das Dreigestirn alleine regiere Frankreich, die Minister seien lediglich Randfiguren. Die Botschaft des Artikels: Was für ein Glück haben wir, dass unser Schicksal in den Händen von solchen Ausnahmepersönlichkeiten liegt! 

Der Präsident macht offiziell keinen Urlaub, „er hält sich ein paar Tage nicht im Elysée auf“, wird aber laufend unterrichtet und ist „sofort mobilisierbar“, lautet die Sprachregelung. Die Kommunikation muss stimmen: Der Präsident wacht unaufhörlich über die Geschicke der Nation. Wohin er fährt, wird nicht mitgeteilt. Das Haus seiner Frau Brigitte im Badeort Le Touquet an der Kanalküste wird es jedenfalls nicht sein, es gilt als zu schwer zu überwachen. 

Am 23. August dann bricht Macron zu einer kleinen Europareise auf. Der Politiker, der sich im Wahlkampf wie kein anderer für Europa einsetzte, hat leider schon einiges europäisches Porzellan zerschlagen. Die Italiener brüskierte er mit der Nationalisierung der größten französischen Schiffswerft, um den Kauf durch die italienische Fincantieri zu verhindern. Spanier, Portugiesen, Polen, Rumänen, Bulgaren, Tschechen, Slowenen und Ungarn hat er erzürnt, weil er die Bedingungen für deren nach Frankreich entsendete Arbeitsnehmer verschärfen will. 


EU-Bestimmungen für Entsendung verschärfen

Die Reise, bei der ihn Brigitte begleitet, soll die Wogen glätten. Als erstes Ziel steuert Macron Salzburg an, dort trifft er den österreichischen Bundeskanzler Christian Kern. Anschließend gesellen sich die Regierungschefs Bohuslav Sobotka von Tschechien und Robert Fico aus der Slowakei dazu. Der Name des regelmäßig zu Dritt stattfindenden Treffens dürfte Macron gefallen: „Austerlitz-Format“. Bei dem als „Dreikaiserschlacht“ bekannten Gemetzel in der Nähe von Austerlitz besiegte Napoleon 1805 Österreicher und Russen. Österreich verbindet mit dem Namen Austerlitz deshalb zwar keine übermäßig guten Erinnerungen, doch weil sie mit den Regierungen der Tschechen und Slowaken in dem heute Slavkov u Brna heißenden Ort 2014 die Tradition der regelmäßigen Treffen begründet haben, steht der Name nun mal fest. 

Für Macron ist das vielleicht der einzige erfreuliche Aspekt der Gespräche. Inhaltlich wird es schwierig für ihn. Es soll, so die Information des Elysée, vor allem um entsendete Arbeitnehmer gehen. Die Frage steht auch bei den weiteren Etappen der Macron-Reise, Rumänien und Bulgarien, ganz oben an. Der junge Präsident will, dass die EU-Bestimmungen für Entsendung verschärft werden. Denn nach seiner Lesart führen sie heute „zu sozialem Dumping“: Arbeitnehmer aus Süd- und Mitteleuropa würden den französischen Arbeitsmarkt überschwemmen, die Löhne drücken und eine soziale Abwärtsspirale auslösen, weil sie nicht in die französische Sozialversicherung einzahlen. 

Die Chefin des rechtsextremen Front National hat in den vergangenen Jahren das Thema mit einigem Erfolg zu ihrem politischen Zugpferd gemacht. Ähnlich wie die Brexit-Befürworter schürt sie das in Frankreich mittlerweile weit verbreitete Vorurteil, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer führe in Frankreich zu prekären Arbeitsbedingungen, niedrigeren Löhnen und Arbeitslosigkeit. 

Macron ist auf diese Thematik eingestiegen und begründet mit ihr seine Forderung nach einem „Europa, das schützt“. Entsendung begünstige heute soziales Dumping. Bislang gilt die Regel, dass entsendete Arbeitnehmer zwar in dem Land, in dem sie arbeiten, Steuern zahlen. Doch können sie in ihrer heimischen Sozialversicherung bleiben, bis zu einem Zeitraum von fünf Jahren.

Das hat seinen Grund: Die Kooperation der Sozialversicherungen in der EU funktioniert so schlecht, dass ein Arbeitnehmer mit vielen Auslandsaufenthalten einen Patchwork-Versicherungsverlauf hätte, müsste er jeweils Mitglied der nationalen Versicherung werden, und seine beispielsweise in die Rentenversicherung eingezahlten Gelder nur schwer oder gar nicht wiedersähe. Außerdem braucht beispielsweise die französische Krankenversicherung Monate, bis sie den Versicherungsanspruch anerkennt und eine Karte ausstellt. Wer nicht perfekt Französisch spricht, ist aufgeschmissen. 

Dennoch soll die maximale Frist, in der ein Arbeitnehmer in seiner heimischen Sozialversicherung bleiben darf, nun auf zwei Jahre verkürzt werden. Macron will noch weniger: Er fordert die Kappung auf ein Jahr. Damit hat er sich die Länder zu Gegnern gemacht, die wie Polen, Rumänien, Spanien und Portugal relativ viele Arbeitnehmer entsenden, vor allem für Bauaufträge.


Macron unterschätzt vielleicht den Ärger

Bemerkenswerterweise widerlegt das französische Finanzministerium selber die These vom sozialen Dumping durch Entsendung. In einer Studie vom Juni 2016 stellt das Schatzamt (Trésor) fest, dass die Gesamtzahl der nach Frankreich entsendeten Arbeitnehmer „weniger als ein Prozent der Beschäftigten“ entspreche. Zudem gebe es einen Schutz durch die französischen Mindest- und Tariflöhne, die auch für die entsendeten Mitarbeiter gelten.

Nicht einmal die Sozialversicherung wirkt hier verzerrend, weil Frankreich die Beiträge für Menschen, die den Mindestlohn verdienen, fast auf Null gesenkt hat. Schlussfolgerung der Experten des Finanzministeriums: „Auf dem Niveau des Mindestlohn entsprechen die Arbeitskosten eines entsendeten spanischen, portugiesischen, polnischen oder rumänischen Arbeitnehmers denen eines lokalen französischen.“ Wo also ist das Problem? 

Es gibt Missbrauchsfälle, die aber Frankreich selber betreffen: Bei Großbaustellen wird oft nicht scharf genug kontrolliert, ob wirklich der Mindestlohn gezahlt wird. Und Franzosen selber treten wie entsendete Arbeitnehmer auf: Manche französischen Firmen stellen sie pro forma bei im Ausland liegenden Gesellschaften an, um Sozialbeiträge zu sparen. Diese Fälle aber sollte Frankreich vor allem zu Hause regeln. 

Die Entsendung wird auch deshalb zum Problem hochgespielt, weil französische Baufirmen nach Protektion gegen Konkurrenz aus dem EU-Ausland rufen. Schlagkräftige spanische und andere Firmen haben den französischen teilweise Aufträge abgejagt. Die verschärften Auflagen für Entsendung sollen sie nun zurückdrängen. Verständlich, dass die Regierungen der betroffenen Länder da nicht mitspielen wollen. Macron unterschätzt vielleicht den Ärger, den er auslöst: Mit einer Reise wird er den Streit nicht beilegen können. 

Nach den mittel- und osteuropäischen Kritikern wird er Ende August mit denen aus dem Süden zusammentreffen. Am 28.8. soll es ein Vierertreffen der Regierungschefs von Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland geben. Macron sah es als Etappe auf dem Weg zur Erneuerung Europas. Doch nun muss er erst einmal den Ärger dämpfen, den er selber ausgelöst hat. 

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