Ende des Bürgerkrieges? Kolumbien am Scheideweg

Noch nie stand Kolumbien so kurz vor einem Frieden mit der linksradikalen Miliz Farc wie heute. Mit ihm soll Kolumbien endgültig zum neuen Star Lateinamerikas werden.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Das sind die Märkte von morgen
Prag Quelle: AP
Budapest Quelle: dpa
Algier Quelle: dpa Picture-Alliance
Rabat Quelle: dpa Picture-Alliance
Mexiko-Stadt Quelle: dpa Picture-Alliance
Ankara Quelle: Ankara Views Peretz Partensky CC2.0 Generic License
Seoul Quelle: Patriot Missile at the English Language Wikipedia CC Share-Alike 3.0 Unported

Für Juan Manuel Santos fühlt es sich an wie „Kröten schlucken“. Der kolumbianische Präsident verhandelt seit über zwei Jahren mit der linksradikalen Guerilla-Miliz Farc über Frieden. Nach 50 Jahren Bürgerkrieg soll nun endlich Ruhe in das Land einkehren, das schwer von dem jahrzehntelangen Konflikt gezeichnet ist. Über 220.000 Menschen verloren ihr Leben, die Uno schätzt die Zahl der Flüchtlinge auf 5,3 Millionen – nur in Syrien gibt es mehr.
Noch nie waren die Kolumbianer jedoch so hoffnungsvoll, dass es zu einer Einigung kommt. Es sind bereits die fünften Verhandlungen mit den Guerillas. Bislang waren alle Gespräche gescheitert. Heute seien die Guerillas ausgezehrt, jetzt sei die Zeit gekommen. Wie die Gespräche ausgehen, bestimmt auch darüber, ob das Land den eingeschlagenen Reformkurs fortsetzen kann – und somit den wirtschaftlichen Aufschwung weiterträgt.
Schon jetzt sehen Analysten in Kolumbien das größte Potenzial Lateinamerikas. In der aktuellen Ausgabe des Doing Business-Report der Weltbank landet Kolumbien auf Rang 34 – und ist damit Spitzenreiter aller Lateinamerikanischen Länder.

Kolumbianische Wirtschaft wächst

In den Jahren 2005 bis 2014 wuchs die kolumbianische Wirtschaft im Schnitt um 4,8 Prozent, das Bruttoninlandsprodukt pro Kopf stieg von 3.500 US Dollar auf über 8.000 Dollar. Gleichzeitig reduzierte das Land seine Armutsquote von 45 Prozent auf 30 Prozent. Die Arbeitslosigkeit erreichte im September einen historischen Tiefstand von 8,9 Prozent.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen liegt das Land an einem strategisch wichtigen Punkt am nördlichen Zipfel Lateinamerikas, besitzt sowohl einen Zugang zum Pazifik als auch zum Atlantik. Ökonomisch positiv wirken sich zum anderen auch die Freihandelsabkommen lateinamerikanischer Länder, die Pazifik-Allianz, sowie mit den USA aus (beide seit 2012 in Kraft).

Kolumbien


„Dank über 40 Freihandelsabkommen ist Kolumbien eine der bestfunktionierenden Volkswirtschaften in Lateinamerika und bietet uns gute ökonomische Perspektiven“, sagt ein Sprecher des Pharma- und Chemiekonzerns Bayer. Seit über 100 Jahren ist das Unternehmen in Kolumbien aktiv. Mehr als 1.000 Menschen beschäftigt Bayer hier, der wichtigste Geschäftszweig sind die Pharmazeutika.


Die verschickt das Unternehmen von hier aus nach ganz Lateinamerika. Die strategische Lage kommt ihnen dabei zu Gute. Die Häfen des Landes haben sich zu internationalen Logistikdrehscheiben entwickelt.
In Cartagena etwa wird der größte Containerhafen des Landes betrieben. 2013 wurden hier 1,2 Millionen Container umgesetzt – knapp 60 Prozent des gesamten Aufkommens in Kolumbien. Güter aus Asien oder Australien werden hier für die Märkte in Europa oder die Ostküste der USA umgeladen. Davon profitieren auch deutsche Unternehmen. „Die deutsche Reederei Hamburg Süd unterhält hier ihren weltweit größten Verbindungshub“, sagt Edwin Schuh, Direktor für Kolumbien und Venezuela bei Germany Trade & Invest (GTAI).

Kolumbien ist Südamerikas Star

„Während Brasilien und Argentinien gegen die Rezession kämpfen, ist Kolumbien zu einem der Stars in Lateinamerika aufgestiegen. In den letzten zehn Jahren hat das Land eine große makroökonomische Stabilität aufgebaut“, sagt auch Magdalena Forster, Analystin bei Deutsche Bank Research. Nicht zuletzt sei das Wachstum auch durch die starke Binnennachfrage, etwa den Privatkonsum, entstanden.
Damit die Erfolge der jüngsten Vergangenheit fortbestehen, ist Präsident Santos zu großen Zugeständnissen in den Friedensverhandlungen bereit. Es geht unter anderem um Ländereien, politische Teilhabe und den Kampf gegen den Drogenhandel, der fest in den Händen der Farc sitzt. Kolumbien gehört zu den größten Kokainproduzenten der Welt.
„Wir haben erreicht, dass die Guerilla mit dem kolumbianischen Staat kollaboriert, um illegale Kokapflanzungen durch legale Kulturen zu ersetzten, damit ein Ende des Drogenhandels erreicht wird“, ist sich Santos jetzt schon sicher.
Viele dieser Anbaugebiete liegen im Hinterland, das heute kaum erschlossen ist. Damit diese Potenziale genutzt werden, plant die Nationale Infrastrukturagentur ANI einen umfassenden Ausbau der Infrastruktur. Bis 2021 sollen schätzungsweise 100 Milliarden US-Dollar in die Projekte fließen. „Für deutsche Firmen bestehen gute Chancen als Zulieferer von speziellen Baumaterialien, Maschinen oder Verkehrstechnologie“, schätzt Schuh von GTAI.

Kolumbien setzt auf erneuerbare Energien


Unter anderem sollen 8.000 Kilometer Autobahn entstehen, der Magdalena-Fluss soll schiffbar gemacht werden. Er verbindet das Innere des Landes mit der Atlantikküste. Schon jetzt hat sich die Reederei Hamburg Süd im neu errichteten Hafenterminal in Barranquilla niedergelassen, will zukünftig Container über den Magdalena-Fluss transportieren.
Noch werden aber 99 Prozent der Güter über die Straße transportiert. Doch das ist extrem teuer. "Einen 20-Fuß-Container von Hamburg nach Cartagena zu befördern, ist mit 900 Euro günstiger als der Weitertransport des Containers von Cartagena nach Bogotá, welcher mit 1.600 Euro zu Buche schlägt", erklärt Bibiana Camargo von der Kolumbienniederlassung des deutschen Logistikunternehmens Schryver.
Zur Hilfe kommt den deutschen Unternehmern auch das Freihandelsabkommen zwischen Kolumbien und der EU, das seit August 2013 in Kraft getreten ist. Europäische Unternehmen erhalten durch die aufgehobenen Zolltarife einen leichteren Zugang zum kolumbianischen Markt. „In Kolumbien treffen Unternehmer auf ein sehr gutes Geschäftsklima. So sind Firmengründungen oder die Kreditvergabe hier relativ einfach“, sagt Forster. Nach den Einschätzungen der Weltbank liegt Kolumbien bei der Kreditvergabe weltweit auf Rang zwei.

Energiewende in Kolumbien

Eine Branche, die stark davon profitieren könnte, ist die der erneuerbaren Energien. Bereits heute bedienen sie knapp ein Viertel des Primärenergiebedarfs. In erster Linie wird sie aus Wasserkraft gewonnen. Der kolumbianischen Regierung reicht das jedoch nicht aus. Schließlich soll sich der Energiebedarf des Landes in den nächsten 20 Jahren verdoppeln. Damit auch der Anteil der erneuerbaren Energien wächst, verabschiedete die Regierung im Mai dieses Jahres ein Gesetz zur Förderung ebendieser. Profitieren sollen Unternehmen vor allem von Steuervergünstigungen.
Gerade in entlegenen Gebieten, die nicht an das Stromnetz angeschlossen sind, könnte sich diese Art der Energieerzeugung etablieren. Dort lohnt sich ein Anschluss häufig nicht, nur knapp vier Prozent der Kolumbianer wohnen in diesen Regionen. Ihren Strom erzeugen sie hier noch zu 90 Prozent mit Dieselgeneratoren.


Auf diesen Markt drängen nun auch deutsche Mittelständler, wie etwa der Photovoltaik-Hersteller Sunset Solar aus dem fränkischen Adelsdorf bei Nürnberg. Bereits vor zwei Jahren hat das Unternehmen erste Modellanlagen aufgebaut, unter anderem in Bogota. „Reizvoll ist Kolumbien für uns nicht zuletzt wegen seiner relativ hohen Strompreise im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern. Zudem ist die Sicherheitslage hier mittlerweile relativ stabil, im Gegensatz etwa zu Venezuela“, erklärt Dominik Hammer, Leiter des internationalen Vertriebs bei Sunset Solar. In Kolumbien scheint die Sonne bis zu 2.000 Stunden im Jahr – Deutschland lag im Rekordjahr 2012 bei knapp 1.700.


Sogar das Erdölunternehmen Ecopetrol will in die erneuerbaren Energien einsteigen. In erster Linie aber als Selbstversorger. Künftig will das umsatzstärkste kolumbianische Unternehmen vier Prozent seines Energiebedarfs aus grünen Quellen decken.
Im Unterschied zu den erneuerbaren sind die fossilen Brennstoffe fest in der Wirtschaft des Landes verankert. Allein Erdöl steht für über die Hälfte aller Exporte. Knapp eine Million Barrel Öl werden in Kolumbien jeden Tag gefördert. Das ist zwar weniger als die Hälfte Ihres Nachbarlandes Venezuela, die knapp 2,6 Millionen Barrel am Tag fördern.
Dennoch macht sich die zentrale Rolle der Ölindustrie in Kolumbien bemerkbar. Als Folge der gesunkenen Ölpreise ist der kolumbianische Peso seit Jahresbeginn etwa um zehn Prozent gefallen. „In den letzten Jahren hat die starke Abhängigkeit zu einer leichten Deindustrialisierung geführt. Kolumbien sollte sich nun drauf konzentrieren, seine Stärken wieder mehr zu diversifizieren“, erklärt Forster von DB Research.

Kein offizieller Waffenstillstand mit der Farc

Gleichzeitig muss das Land weitere Probleme beseitigen. Eines der drängendsten ist die soziale Ungleichheit. Trotz der reduzierten Armut ist Kolumbien noch immer eines der Länder mit den größten Einkommensunterschieden der Welt. Im Jahr 2012 waren die Unterschiede in Lateinamerika nur in Bolivien noch größer. „Die Bürokratie ist häufig auch noch durch Korruption gelähmt“, sagt Steinberg von der Außenhandelskammer in Kolumbien. Hinzu kommt eine intransparente Steuerpolitik. So führte die Regierung erst in diesem Jahr eine zusätzliche Steuer auf Unternehmensgewinne ein. „Davon sind vor allem die großen Unternehmen betroffen, die nun noch stärker besteuert werden“, sagt Schuh von der GTAI. Im Gegenzug werden viele kleine Unternehmen kaum bis gar nicht besteuert. Einige sind nicht erfasst.

Und schließlich ist da noch die Sicherheitslage. Ein offizieller Waffenstillstand mit der Farc, der wichtigste Punkt der Verhandlungen, wurde noch nicht erreicht. Selbst wenn dies gelingt, könnten sich kleinere Gruppen abspalten und möglicherweise den Rebellen der Nationale Befreiungsarmee anschließen. Erst im letzten Jahr hatte es einen Anschlag auf die größte Öl-Pipeline des Landes gegeben. Obwohl es keine Bekenner gab, machte die Armee linksradikale Guerillas dafür verantwortlich.

Dennoch bleiben die Kolumbianer optimistisch, die Friedensverhandlungen dieses Mal zu Ende zu führen. Für Investitionen in eine Ära nach 50 Jahren Bürgerkrieg war Präsident Juan Manuel Santos vor kurzem sogar mit Klingelbeutel in Europa unterwegs. Bei den Landesoberhäuptern warb er für einen Friedensfonds, mit dessen Geldern zum Beispiel die Farc-Kämpfer in die Gesellschaft integriert werden sollen. Erste Spender gab es schon. Die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau gewährte Kolumbien einen Kredit über 100 Millionen US-Dollar.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%