Seit dem 30. März gehört Israel zu den Energierohstoff-Nationen des Nahen Ostens. Zum ersten Mal wurde vom Produktionsfeld Tamar im Mittelmeer Erdgas zum südisraelischen Mittelmeerhafen Aschdod transportiert. Israel hat begonnen, sich reich zu rechnen, und die gewöhnlich nüchternen Chefs der israelischen Zentralbank erhöhten wegen der guten Nachricht ihre Wachstumsprognose für 2013 um einen ganzen Prozentpunkt.
Mindestens 700 Milliarden Kubikmeter Erdgas sollen sich nach Schätzung texanischer Explorateure unter dem Meeresboden zwischen Israel, Zypern und dem Libanon befinden. Nicht viel aus Sicht des Weltmarkts: Die Energieexperten von BP bezifferten im vergangenen Sommer die globalen wirtschaftlich nutzbaren Gasreserven auf 208 Billionen Kubikmeter. Den Erdgasgiganten Russland (45 Billionen Kubikmeter Reserven), Iran (33 Billionen) und Katar (25 Billionen) kann es egal sein, dass mit den jetzt erschlossenen Vorkommen der weltweite Vorrat um 0,3 Prozent wächst. Und trotzdem verändert die Gasproduktion im östlichen Mittelmeerraum die Welt: Im nahöstlichen Krisenraum entstehen neue wirtschaftliche und politische Allianzen
Spiel um Einfluss
Der türkische Publizist Semih Idiz, ein kritischer Beobachter seines Landes, sieht das Mittelmeer schon als Schauplatz eines neuen großen Spiels um Einfluss und Macht: „Die Neuauflage des Great Game in der Levante hat viel Potenzial, den Frieden herbeizuführen, aber auch neue Konflikte zu schaffen.“
Der altmodische Begriff „Levante“, mit dem italienische Seefahrer und Kaufleute früher den weiten Halbkreis am Mittelmeer von Griechenland bis Ägypten beschrieben, steht dank der Gasfunde wieder auf: Bodenschätze in Reichweite von Türken, Israelis, Libanesen und Zyprioten bringen ein neues Element in die ungelösten politischen und ideologischen Konflikte der Region. In der Türkei sucht der islamische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Aussöhnung mit den von ihm gerade noch wüst beschimpften Israelis, weil er von ihrem neuen Reichtum profitieren will. Das gebeutelte Zypern träumt sich reich, und der wegen des Bürgerkriegs im großen Nachbarland Syrien extrem gefährdete Libanon sucht nach Unterstützern für die eigenen Ansprüche auf das erdgasreiche Gebiet auf hoher See.
USA und Russland
Auch die herkömmlichen Großmächte mischen mit: Die USA bemühen sich um eine Abgrenzung der wirtschaftlichen Interessengebiete zwischen Israel und dem Libanon und befördern diskret die Interessen von Gasunternehmen aus Texas. Für die russische Kriegsmarine bedeutet das wachsende Interesse der Amerikaner am östlichen Mittelmeer eine weitere Gefährdung ihres einzigen Mittelmeerstützpunkts im syrischen Hafen Latakia. Und dann beobachten die Russen mit geringem Vergnügen, wie die türkische Regierung durch neue Bande mit den Israelis die Energieversorgung des eigenen Landes diversifizieren will, auch wenn es erst einmal nur um wenige Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr gehen kann.
Das Erdgasfeld Tamar, das seit Ende März ausgebeutet wird, ist nach Angaben der Förderfirma Noble Energy aus Houston in Texas mit 250 Milliarden Kubikmeter Gas deutlich kleiner als das benachbarte Leviathan mit mehr als 425 Milliarden. Dort allerdings liegt das Gas in tieferen Schichten und lässt sich entsprechend schwieriger erschließen.