Energiekrise Kann Europa beim Strompreis von den USA lernen?

Strompreise in den USA: Eine Oberleitung führt durch die kalifornische Wüste. Quelle: imago images

In Brüssel kommen heute die EU-Energieminister zusammen. Ihr Thema: Was tun gegen exorbitante Strompreise? In den USA legen regelmäßig Kommissionen den Preis fest – wäre das auch ein Weg für Europa?

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Im kommenden Monat geht es in Minnesota wieder einmal ums Geld. Anfang Oktober führt die Public Utility Commission (PUC) des Bundesstaats öffentliche Anhörungen über die geplanten Preiserhöhungen des Anbieters Xcel Energy durch. Dem Unternehmen schwebt eine Erhöhung um mehr als zwölf Prozent vor, doch einfach festsetzen kann es die neue Rate nicht. Denn dafür muss die staatliche Aufsichtsbehörde, die PUC, zustimmen. Und die will zunächst Meinungen einholen. Dafür werden nun über mehrere Tage in den Konferenzräumen von Mittelklassehotels im ganzen Land Sichtweisen eingeholt. Ob und um wie viel Xcel am Ende dieses Prozesses seine Preise erhöhen darf, kann man heute nicht absehen.

Amerika – das Land des unbegrenzten Marktes? Nicht hier. Es ist ein langwieriges Verfahren, das sich die Vereinigten Staaten in Sachen Strompreis leisten. Aber eines mit Tradition. Seit mehr als 100 Jahren regulieren PUCs für die Allgemeinheit essenzielle Güter und Dienstleistungen wie Strom oder Wasser. Sie kamen einst auf, um die Monopole der Anbieter zu brechen. Heute gibt es PUCs in sämtlichen Bundesstaaten, sowie der Hauptstadt Washington D.C. und einigen US-Territorien. Sie sollen dafür sorgen, dass etwa Energieanbieter erfolgreich arbeiten können, aber auch die Preise in Schach gehalten werden. Das kann dauern. Die PUC in Michigan etwa gibt sich zehn Monate, um über eine beantragte Preiserhöhung zu entscheiden.

Vorbild für Europa?

Der Blick nach Amerika ist besonders interessant, weil in Brüssel und Berlin gerade auch eine Debatte darüber entbrennt, ob und gegebenenfalls wie der Strommarkt neu reguliert werden müsste. Die exorbitanten Gaspreise treiben die Energiekosten – Verbraucher wie Industrie fürchten untragbare Belastungen. Heute kommen in Brüssel die Energieminister zusammen, um über Lösungen und Reformen zu beraten. Fachleute warnen zwar – doch eine Reform, die den Markt zügeln soll, zeichnet sich ab.

In den USA steckt schon lange viel Staat in der Strompreisfindung. Zwischen den Kommissionen gibt es jedoch durchaus Unterschiede. In den allermeisten Fällen werden ihre Mitglieder durch den Gouverneur des jeweiligen Bundesstaats benannt. Aber es gibt Ausnahmen. In sechs Staaten werden sie sogar direkt gewählt. Das schafft eine direkte Beziehung zur Bevölkerung, aber es politisiert den Preisfindungs- und Regulierungsprozess auch. In Alabama etwa, einem tief konservativen Staat, weigern sich einige Kommissionsmitglieder, mit Vertretern von Umweltschutzorganisationen überhaupt zu sprechen. Der Klimawandel sei „so echt wie Einhörner und kleine grüne Männer vom Mars“, sagte einer von ihnen vor nicht allzu langer Zeit.

Doch nicht nur deshalb stehen die PUCs in der Kritik. Sie seien oftmals nicht in der Lage, Energiekonzerne effektiv zu regulieren, heißt es. Auch sind die Strompreise in den USA in den vergangenen Jahren ebenfalls gestiegen – zwischen Juni 2021 und Juni 2022 im landesweiten Durchschnitt für Privatkunden um 1,57 Cent. Doch die regionalen Unterschiede können enorm ausfallen. In Hawaii etwa sind die Kosten pro Kilowattstunde im selben Zeitraum um mehr als elf Cent gestiegen, in Wyoming wiederum leicht gefallen. Das Vorhandensein einer PUC allein schützt also nicht vor Schwankungen. Oder Erhöhungen.

Astronomische Kosten

Oder gar vor katastrophalen Ausreißern. Als im Februar 2021 das Stromnetz in Texas zeitweise zusammenbrach, verpflichtete die staatliche PUC den Netzbetreiber ERCOT, den Preis für eine Megawattstunde Strom auf den Maximalpreis von 9000 Dollar zu erhöhen. Dies sollte Energieanbieter dazu bringen, mehr Strom ans Netz zu bringen. Die lokalen Stromversorger konnten so zumindest bei einem Teil ihrer Kunden das Licht am Laufen halten – allerdings zu astronomischen Kosten. 

Dann passierten Fehler. ERCOT behielt den hohen Preis länger als notwendig bei, was die Versorger noch länger dazu zwang, Energie zu überhöhten Kosten einzukaufen und den Preis weiterzugeben. Der wirtschaftliche Schaden, der so entstand, belief sich auf mindesten 1,5 Milliarden Dollar. Der Großteil davon wurde an die Endkunden weitergegeben. Einige Versorger sind mittlerweile insolvent.

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Dass die PUC den Netzbetreiber nicht frühzeitig anwies, die Preise wieder zu senken, war das eine. Als der damalige Vorsitzende bald darauf in einem durchgestochenen Call mit Wall-Street-Bankern, die teils von dem hohen Preis profitiert hatten, versicherte, dass er ihre Gewinne schützen werde, fegte selbst im konservativen Texas ein Sturm der Entrüstung über ihn hinweg. Der PUC-Vorsitzende musste zurücktreten. Die Kunden im Lone-Star-State werden trotzdem noch sehr lange für das Versagen der Kommission per Stromrechnung bezahlen müssen. 

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Trotzdem: Die PUCs können durchaus dabei helfen, überhöhte Preisanstiege zu verhindern oder Versorgungsprobleme frühzeitig zu beheben. Im besten Fall lassen sie die Öffentlichkeit an der Regulierung kritischer Infrastruktur aktiv teilnehmen. Doch ein Allheilmittel für die europäischen Sorgen – das sind sie bei weitem nicht.

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