Entwicklungspolitik Keine Dauerhilfen ohne Reformen

Eine obdachlose Frau mit ihren Hunden in Buenos Aires Quelle: AP

Corona ist nicht an allem schuld. Wir müssen im Blick behalten, dass auch schlechte Wirtschaftspolitik viele Menschen in die Armut stürzt, warnt die US-Ökonomin und ehemalige IWF-Spitzenfunktionärin Anne Krueger in einem Gastbeitrag.

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Anne Krueger ist Professorin für Internationale Ökonomie an der Johns Hopkins University School of Advanced International Studies in den USA. Zuvor war sie Chefvolkswirtin der Weltbank und stellvertretende IWF-Generaldirektorin.

Keine Frage: Die Pandemie hat Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMIC) besonders hart getroffen. Die Verfügbarkeit von Impfstoffen ist dort geringer, es fehlt an Gesundheitspersonal und die öffentlichen Gesundheitssysteme sind schlecht organisiert, finanziert und verwaltet.

Eines jedoch dürfen wir nicht vergessen: Auch ohne Corona wären viele Entwicklungs- und Schwellenländer gerade in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Vielerorts hat eine schlechte Wirtschaftspolitik zu Inflation, Haushaltsdefiziten, Zahlungsbilanzproblemen und teuren Schuldendienstverpflichtungen geführt. 

Argentinien etwa verhandelt seit Monaten mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über Erleichterungen im Schuldendienst. In der Türkei setzt sich Präsident Erdoğan über die Meinung fast aller Ökonomen (und den gesunden Menschenverstand) hinweg, indem er hohe Zinssätze für die Inflation verantwortlich macht. Infolgedessen liegen die Zinssätze mehr als 16 Prozentpunkte unter der Inflationsrate von 30 Prozent. Die Schulden in Fremdwährungen sind hoch und steigen weiter. Der Anteil der in Armut lebenden Türken nimmt drastisch zu.

Zu den Ländern in wirtschaftlich besonders bedrohlicher Lage zählen auch Bolivien, Ghana, Madagaskar, Pakistan, Sri Lanka und Sambia. In diesen Fällen hat Covid-19 die Staatsfinanzen zusätzlich unter Druck gesetzt, aber die Pandemie scheint auch einen Vorwand für höhere Ausgaben in ganz anderen Bereichen geliefert zu haben.

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In normalen Zeiten wendet sich ein krisengeschütteltes Land, das keine Kredite von privaten Kreditgebern mehr aufnehmen kann, an den IWF. Regierungsbehörden und IWF-Beamte entwickeln dann einen Plan, um die Probleme durch Wirtschaftsreformen, eine Umstrukturierung nicht tragfähiger Schulden und Kredite zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung (etwa Lebensmittel, Medikamenten, Treibstoff und wichtige Zwischenprodukte) zu lösen.

Die Befürworter von Finanzhilfen für LMIC-Staaten gehen davon aus, dass die externen Gelder sinnvoll und sachbezogen eingesetzt werden und im Falle einer Pandemie etwa in die Gesundheitsversorgung und die Unterstützung der Armen fließen. Und wenn nicht? Hilfsgelder sind nur dann nachhaltig von Nutzen, wenn sie mit strukturellen Reformen einhergehen.

Sri Lanka ist dafür ein typisches Beispiel. Die Wirtschaft entwickelte sich im Rahmen eines Reformprogramms bis 2019 recht gut. Doch dann kam eine andere Regierung an die Macht (der neue Präsident ist der jüngere Bruder eines entmachteten autoritären Herrschers), die alle Vorsicht in den Wind schlug, die Steuern (und damit die Einnahmen) senkte und die Ausgaben erhöhte. Die Schuldenquote schoss auf 110 Prozent in die Höhe, die Zinszahlungen erreichten 70 Prozent der gesamten Staatseinnahmen. Einer der wichtigsten Gläubiger: China.

Das alles fand vor Ausbruch der Pandemie statt. Als Covid-19 zuschlug, gingen die Einnahmen aus dem Tourismus drastisch zurück. Die Inflation und das Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit stiegen. Und infolge sinkender Einkommen stürzten schätzungsweise 500.000 Menschen in Sri Lanka in die Armut.

Nach einer schlechten Ernte leidet das Land nun auch noch unter Engpässen bei lebenswichtigen Gütern. Die schwache Ernte war darauf zurückzuführen, dass die Regierung im Mai 2021 in einem fehlgeleiteten Versuch, das Leistungsbilanzdefizit auszugleichen, abrupt alle Importe von Düngemitteln und Pestiziden verboten hatte. Dies wurde erst Ende November rückgängig gemacht, so dass die Landwirte nicht in der Lage waren, sich ausreichend zu versorgen.

Trotzdem hat sich die Regierung Sri Lankas geweigert, den IWF einzuschalten; das Land will keine Umschuldung. Präsident Gotabaya Rajapaksa hat stattdessen China gebeten, den Schuldendienst Sri Lankas zu strecken. Doch selbst wenn die Chinesen mitziehen, kann die Wirtschaft Sri Lankas erst wieder normal funktionieren, wenn die Politik die makroökonomischen Probleme angeht und die Schuldenlast verringert.

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Wenn eine Regierung politische Reformen ablehnt, sollten die Befürworter fortgesetzter Finanzhilfen die Folgen bedenken. Die Aufrechterhaltung der Hilfen ermöglicht zwar weitere Zahlungen an öffentliche und private Gläubiger, trägt aber wenig dazu bei, die Not im Land zu lindern und eine Wirtschaftskrise zu entschärfen. Im Falle Sri Lankas dürfte bald der Zeitpunkt kommen, an dem das Land seinen Schuldendienst nicht mehr leisten kann. Dann drohen massive Verwerfungen, ein Rückgang der Produktion und eine anhaltende Inflation. Und selbst wenn die Regierung Sri Lankas doch den IWF einschaltet, gibt es ein Problem: Wenn über ein geeignetes Reformprogramm und Umschuldungen verhandelt wird, sitzt China mit am Tisch.

Die internationale Gemeinschaft sollte daher erkennen: Eine kontinuierliche Unterstützung von Krisenstaaten ist ohne begleitende Reformen sinnlos.

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