Erdogan entledigt sich seiner Gegner Türkei entlässt mindestens 49.000 Staatsdiener

Großreinemachen in der Türkei: Tausende Lehrer und Professoren verlieren ihren Job – 15.000 werden suspendiert. Bildungswesen und Medien werden gleichgeschaltet. Zudem bekommen die Putschisten kein religiöses Begräbnis.

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Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei hat das Bildungsministerium landesweit 15.200 Staatsbedienstete aus seinem Verantwortungsbereich vom Dienst suspendiert. Quelle: dpa

Istanbul Die Säuberungen in der Türkei nehmen immer gewaltigere Ausmaße an. Präsident Recep Tayyip Erdogan nutzt den fehlbeschlagenen Militärputsch vom Wochenende zu einer gnadenlosen Generalabrechnung mit seinen Gegnern. Ziel ist offenbar die völlige Gleichschaltung des Staatsapparats, des Bildungswesens und der Medien.

Erdogan verfolgt seine Gegner bis ins Jenseits: Die staatliche Religionsbehörde ordnete am Dienstag an, dass den Soldaten, die bei dem niedergeschlagenen Staatsstreich getötet wurden, kein religiöses Begräbnis zuteilwerden darf. Die 75.000 Imame der Religionsbehörde wurden angewiesen, bei diesen Beisetzungen keine Gebete zu sprechen – für die Hinterbliebenen eine schwere Schmach.

Mit eiserner Faust geht Erdogan jetzt gegen Kritiker vor. Am Dienstag suspendierte das Erziehungsministerium in Ankara rund 15.200 Mitarbeiter, vor allem Lehrer. Es soll sich um Pädagogen handeln, denen Verbindungen zu Erdogans Erzfeind, dem islamischen Reformprediger Fethullah Gülen nachgesagt werden. Gegen sie laufen Untersuchungen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Außerdem entzog das Ministerium rund 21.000 Lehrkräften, die an Privatschulen tätig sind, die Lehrberechtigung. Auch 1577 Universitätsrektoren und Dekane wurden ihrer Ämter enthoben, darunter 401 Dekane privater Hochschulen.

Die staatliche Medienaufsicht RTÜK entzog am Dienstag 24 Radio- und Fernsehstationen die Lizenz. Die Sender müssen ihren Betrieb sofort einstellen. Ihnen werden Verbindungen zu Gülen vorgeworfen. Schon in den Monaten zuvor hatte die Regierung mehrere Medienhäuser mit angeblichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung unter staatliche Zwangsaufsicht gestellt und auf Regierungslinie gebracht. Bereits vor dem Putschversuch galten etwa 85 Prozent aller türkischen Medien als regierungstreu. Nach den jüngsten Zwangsmaßnahmen dürfte sich dieser Prozentsatz weiter erhöhen.

Ziel Erdogans ist es offenbar, den Putschversuch zu nutzen, um alle kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen und seine Macht zu zementieren. Darauf deuten die umfangreichen Säuberungen in der Justiz mit rund 3000 suspendierten Richtern und Staatsanwälten ebenso hin wie jetzt die Massenentlassungen im Bildungswesen und die Zwangsschließung von Radio- und Fernsehstationen.

Die bisherige Bilanz der Säuberungen: „Mindestens 49.000“ Staatsbedienstete seien bisher entlassen worden, meldete die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ am Dienstagabend auf ihrer Internetseite. Es gibt kaum einen Bereich des Staatsapparats, vor dem Erdogans Säuberungen Halt machen: Nachdem am Montag bereits 7899 Polizeibeamte, 30 Provinzgouverneure und 47 Regionalpräfekten entlassen wurden, enthob die Regierung am Dienstag auch rund 100 Mitarbeiter des Geheimdienstes ihrer Posten.

Im Amt des Premierministers Binali Yildirim wurden 257 der rund 2600 Beschäftigten suspendiert, das Familienministerium entließ 393 Mitarbeitende. Sogar beim Staatsfernsehen TRT, das Sprachrohr der Regierung ist, scheint es Erdogan-Kritiker gegeben zu haben: Am Dienstag leitete die Staatsanwaltschaft von Ankara Ermittlungsverfahren gegen 370 TRT-Mitarbeiter ein, die angebliche Verbindungen zur „Gülenistischen Terror-Organisation“ haben sollen. Auch in seiner unmittelbaren Umgebung greift Erdogan jetzt durch: einer der Militärberater des Präsidenten wurde am Dienstag in seinem Urlaubsort Antalya festgenommen.

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