Ermittler nennen neue Details Die Helfer des Nizza-Attentäters

„Komplizen und Unterstützer“: Für die französischen Ermittler deutet alles darauf hin, dass der Attentäter von Nizza nicht allein gehandelt hat. Hinweise auf eine Beteiligung der Terrororganisation IS gibt es nicht.

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Erinnerung an die Opfer des Anschlags in der Nacht vom 14. Juli. Quelle: dpa

Paris Der Pariser Staatsanwalt François Molins hat am Donnerstagnachmittag bekräftigt, dass der Nizza-Attentäter Mohamed Lahouaiej „Komplizen und Unterstützer“ hatte und seine Tat mehrere Monate im Voraus geplant habe. Molins ist mit der Untersuchung des Anschlags betraut, bei dem am Abend des französischen Nationalfeiertags in der vergangenen Woche 84 Menschen mit einem Lastwagen getötet wurden.

Molins hob hervor, dass man die Handyverbindungen und gespeicherte Fotos sowie Internet-Suchen des Attentäters ausgewertet habe. Es gebe einen regen Austausch mit Ramzi A., einem 1994 geborenen, viermal wegen kleinerer Delikte verurteilten Franzosen, dem Tunesier Choukri C., der nicht vorbestraft ist sowie zwei Albanern, die ihm die Pistole des Kalibers 7,62 Millimeter verschafft haben, mit der er während seiner Todesfahrt auf Polizisten schoss. Von einem der Genannten habe man Fingerabdrücke im Lastwagen gefunden, den Lahouaiej für die Tat nutzte.

Die Fotos zeigten die Feuerwerke vom 14. Juli und August 2015 auf der Promenade der Anglais in Nizza, auf der Lahouaiej ein Jahr später sein Massaker verrichtete. Mehrfach habe er die anwesende Menschenmenge fokussiert. Mit einem der Verdächtigen habe er sich auf der Promenade abgelichtet. Fotografiert habe er außerdem Zeitungsartikel – unter anderem einen aus „Nice Matin“ mit dem Titel: „Er fährt absichtlich mit dem LKW auf die Terrasse eines Restaurants.“ Intensiv habe er sich mit dem Anschlag vor dem Kommissariat des 18. Pariser Arrondissements befasst, bei dem der Täter mit einer Axt und einer Attrappe eines Sprenggürtels auf die Beamten losstürmte, aber erschossen wurde, bevor er Unheil anrichten konnte, berichten die Ermittler.

Einer der als Komplizen Verdächtigen habe ihm eine SMS geschickt: „Lade zwei Tonnen Eisen in den Laster und halte drauf!“ Noch kurz vor der Tat habe Lahouaiej mit den Komplizen telefoniert. Die Albaner habe er um weitere Waffen gebeten. In deren Unterkunft habe man eine Kalaschnikow gefunden, die aber nicht in die Hände des Täters gelangte.

Molins präzisierte allerdings auch, dass es nach wie vor keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Islamische Staat (oder Daesh, die abfällige arabische Bezeichnung der Terrororganisation) die Tat in Auftrag gegeben oder gar geplant habe. Er sprach sich gegen „bruchstückhafte und einseitige“ Interpretationen einiger der Untersuchungsergebnisse aus, die in den Medien aufgetaucht seien.


Vorwürfe gegen Innenminister Cazeneuve

Wie schnell es zu aufgebauschten Stellungnahmen kommen kann, machte leider Molins selbst ungewollt mit seinen Aussagen über ein Amphetamin-Derivat deutlich. Der Staatsanwalt verwies darauf, dass Lahouaiej sich intensiv für Captagon interessiert hat, ein Stimulans, „das viele Dschihadisten benutzt haben, bevor sie ihre Mordtaten begangen haben“. Was Molins nicht sagte: bis in die 2000er-Jahre wurde Captagon als Dopingmittel verwendet. In den 80er- und 90er-Jahren wurde es auch in Deutschland benutzt, um auf extreme Weise die Konzentration zu steigern oder Depressionen zu bekämpfen. Später wurde die Substanz verboten.

In der französischen Politik nimmt der schrille Ton in der Auseinandersetzung um das Attentat zu. Die Opposition wirft dem Innenminister Bernard Cazeneuve vor, völlig versagt zu haben. Staatspräsident François Hollande musste ihn am Donnerstag von Irland aus in Schutz nehmen, wo er sich zu einem Besuch aufhielt. „Der Innenminister hat während der Fußball-Europameisterschaft und den vielen Demonstrationen, die wir erlebt haben, mit kühlem Kopf, großer Umsicht und Pflichtbewusstsein gehandelt.“

Die Opposition versucht den Eindruck zu erwecken, dass die Regierung leichtfertig das Leben der Franzosen aufs Spiel gesetzt habe und zu wenig für ihren Schutz tue. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy stürmt mit Forderungen wie der nach Ausweisung aller Ausländer, die in den Karteien der Geheimdienste als eventuelles Sicherheitsrisiko gespeichert sind (auf Französisch „fiche S“) nach vorn. Andere wollen sie gleich in Schutzhaft nehmen. Gebracht hätte dies im konkreten Fall überhaupt nichts: Weder Lahouaiej noch die als Komplizen Verdächtigen hatten oder haben eine „fiche S“.  

Zur politischen Verunsicherung trägt bei, dass der Innenminister es angeblich mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Die Tageszeitung „Libération“ wirft ihm am Donnerstag vor, gelogen zu haben. Anders als von Cazeneuve behauptet, habe es am Abend des 14. Juli keine Angehörigen der nationalen Polizei gegeben, die mit Autos die Zufahrt zur Promenade versperrten. Dort habe lediglich ein Auto der städtischen Polizei gestanden. Das konnte Lahouaiej mit seinem Lkw bequem umfahren.

Der konservative Präsident der Region PACA (Provence Alpes Côte d’Azur), Christian Estrosi, hatte sich schon kurz nach dem Anschlag darüber beschwert, dass es zu wenig nationale Polizei in Nizza gegeben habe. Was Estrosi nicht sagte: Mehrere Tage vor dem Anschlag einigten sich der Vertreter der Regierung und die städtischen Sicherheitsbeauftragten darauf, mangels verfügbarer Beamter auf ausführliche Sicherheitskontrollen der Schaulustigen am Abend des 14. Juli, wie sie ursprünglich geplant waren, zu verzichten.  

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